Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Mängeln in der Büroorganisation

 

Leitsatz (NV)

Sind Kanzlei- und Privatadresse bei einem Prozeßbevollmächtigten identisch und ist es deshalb möglich, daß an einem Montag Posteingänge vom Samstag, Sonntag und Montag zu bearbeiten sind, muß durch entsprechende Anweisungen und Vorkehrungen - etwa durch Aufteilen der Post in unterschiedliche Mappen oder Behältnisse - sichergestellt sein, daß der unterschiedliche Zeitpunkt des Eingangs bei Fristsachen festgehalten und bei der weiteren büromäßigen Bearbeitung der Fristsachen ohne weiteres beachtet werden kann.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts (FG), mit dem die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen wurde, wurde einem Angehörigen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) lt. Postzustellungsurkunde am Sonnabend, dem 27. August 1988, zugestellt. Die Nichtzulassungsbeschwerde, eingelegt vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers, ging erst am 28. September 1988 und damit verspätet beim FG ein. Dies wurde dem Kläger mit Schreiben vom 25. Oktober 1988 am 28. Oktober 1988 unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mitgeteilt. Mit Schreiben vom 15. November 1988, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 21. November 1988, stellte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor: Die Zustellung des Urteils sei am 27. August 1988 möglich gewesen, da Kanzlei- und Privatadresse des Prozeßbevollmächtigten identisch sind. Wörtlich heißt es in der Beschwerdebegründung weiter: ,,Der Posteingang wurde jedoch erst mit der übrigen Kanzleipost am Montag, dem 29. August 1988, im Sekretariat bearbeitet. Die Posteingänge werden zunächst von der Bürovorsteherin A bearbeitet, die seit Jahren bei Herrn B tätig ist und Fristen notiert. Auch in diesem Falle hatte sie selbst die Urteilsausfertigung mit einem Eingangsstempel versehen. Dabei hat sie aber übersehen, daß das Urteil bereits am 27. August 1988 zugestellt wurde. Das Urteil wurde mit dem Eingangsstempel vom 29. August 1988 versehen. Dementsprechend wurde als Fristablauf der 29. September 1988 notiert.

Die Akte wurde mit der Frist zum 29. September 1988 zur Einlegung der Beschwerde vorgelegt und dementsprechend fristgerecht bearbeitet.

Erst nach dem Eingang der dortigen Verfügung vom 25. Oktober 1988 am 28. Oktober 1988 wurde der Irrtum bemerkt. Da sich die Bürovorsteherin vom 31. Oktober bis 11. November 1988 im Urlaub befand, konnte eine endgültige Sachverhaltsaufklärung erst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub stattfinden. . . ."

Zur Glaubhaftmachung hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine Versicherung an Eides Statt der Rechtsanwaltsgehilfin A vorgelegt, in der die Angaben zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestätigt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist, da nicht in der Frist des § 115 Abs. 3 FGO eingelegt, unzulässig. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Beschwerdefrist ist nicht zu entsprechen.

a) Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten ist dem Kläger zuzurechnen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

b) Im Streitfall hat der Kläger am 28. Oktober 1988 Kenntnis erhalten von dem verspäteten Eingang seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat er erst am 21. November 1988 und damit nach Ablauf der zweiwöchigen Antragsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) gestellt.

c) Auch wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO kann gemäß § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag gewährt werden, wenn der Kläger den Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 2 FGO innerhalb der Frist gestellt hat, in der Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beantragen war. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Ob der Kläger die Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ohne Verschulden versäumt hat, kann im Streitfall offenbleiben; denn dem Kläger ist jedenfalls das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten bei der Versäumung der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 FGO zuzurechnen. Es ist zwar anerkannt, daß den Prozeßbevollmächtigten keine Schuld trifft, wenn eine Fristversäumnis auf einem sog. ,,Büroversehen" beruht. Es ist auch nicht zweifelhaft, daß ein Rechtsanwalt (Steuerberater) mechanische Tätigkeiten untergeordneter Art wie das Eintragen von Fristen in die Fristenkontrolle und die Überwachung der Fristen einer zuverlässigen Bürokraft überlassen darf. Es ist des weiteren anerkannt, daß der Berater ein Versehen der Bürokraft bei der Eintragung von Fristen oder bei der Fristenkontrolle nicht als eigenes Verschulden zu vertreten braucht. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß der Prozeßbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür trifft, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und daß er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge trägt (BFH-Beschlüsse vom 30. Juni 1967 VI R 248/66, BFHE 89, 330, BStBl III 1967, 613, und vom 23. Oktober 1985 II R 69/85, BFH /NV 1986, 740). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Sind Kanzlei- und Privatadresse bei einem Prozeßbevollmächtigten identisch und ist es deshalb möglich, daß an einem Montag - wie im Streitfall - Posteingänge vom Samstag, Sonntag und Montag zu bearbeiten sind, muß durch entsprechende Anweisungen und Vorkehrungen - etwa durch Aufteilen der Post in unterschiedliche Mappen oder Behältnisse - sichergestellt sein, daß der unterschiedliche Zeitpunkt des Eingangs bei Fristsachen festgehalten und bei der weiteren büromäßigen Bearbeitung der Fristsachen ohne weiteres beachtet werden kann. Im Streitfall ist nichts dafür vorgetragen, daß der Prozeßbevollmächtigte seinen Bürobetrieb in der Weise organisiert hatte, daß Schriftstücke, die am Samstag oder Sonntag zugestellt wurden, routinemäßig getrennt einen entsprechenden Eingangsvermerk erhielten. Der Prozeßbevollmächtigte selbst hat nicht vorgetragen, entsprechende Anordnungen erteilt oder die notwendigen Vorkehrungen getroffen zu haben. Daß derartige Anordnungen oder Vorkehrungen tatsächlich bestanden, wird auch nicht durch den - als wahr unterstellten - vom Prozeßbevollmächtigten tatsächlichen Ablauf des Geschehens im Streitfall belegt. Hierin liegt ein Organisationsmangel, der der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegensteht. Die Nichtzulassungsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416750

BFH/NV 1990, 649

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