Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes

Das BMF-Schreiben vom 22.12.2016 nimmt auf 186 Seiten Stellung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 5 AStG und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) auf die Einkünftezuordnung von in- oder ausländischen Betriebsstätten.

Für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und für die Prüfung der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens gilt Folgendes:

Regelungsziel

Abs. 5 AStG und die BsGaV setzen den Inhalt des OECD-Betriebsstättenberichts in innerstaatliches Recht um. Der OECD-Betriebsstättenbericht beruht auf den international entwickelten Grundsätzen (Authorised OECD Approach – AOA) zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die grenzüberschreitende Ermittlung der Einkünfte einer Betriebsstätte, wenn die Betriebsstätte eines Unternehmens ihre Geschäftstätigkeit in einem anderen Staat ausübt als dem, in dem das Unternehmen ansässig ist. Nach dem AOA sind einer Betriebsstätte die Gewinne (dies schließt begrifflich Verluste mit ein) zuzurechnen, die sie – insbesondere in ihren wirtschaftlichen Beziehungen (sog. Dealings) mit dem übrigen Unternehmen – erzielen würde, wenn sie ein selbstständiges und unabhängiges Unternehmen wäre (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 8). Der Begriff „übriges Unternehmen“ bezeichnet alle Teile des Unternehmens mit Ausnahme der betreffenden Betriebsstätte.

Welche Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens sind der Betriebsstätte zuzuordnen?

Die Besteuerung grenzüberschreitender Geschäftsvorfälle (§ 1 Abs. 4 AStG) zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie die Besteuerung entsprechender Geschäftsvorfälle zwischen nahe stehenden Personen (siehe insbesondere § 1 Abs. 1 und 3 AStG). Damit wird eine Betriebsstätte für die Gewinnaufteilung im Verhältnis zu dem Unternehmen, zu dem sie gehört, weitgehend einem diesem nahe stehenden Unternehmen gleich gestellt. Zu diesem Zweck ist es erforderlich zu entscheiden, welche Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens der Betriebsstätte zuzuordnen sind und welcher Anteil des Eigenkapitals des Unternehmens (Dotationskapital) der Betriebsstätte zuzuordnen ist (§ 1 Abs. 5 Satz 3 AStG und §§ 4 bis 15 BsGaV). Zu den zuzuordnenden Chancen und Risiken gehören ggf. auch bestimmte Geschäftsvorfälle des Unternehmens (§ 9 BsGaV).

Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Zur weitgehenden Annäherung der steuerlichen Behandlung von Betriebsstätten im Verhältnis zu nahe stehenden Personen gehört darüber hinaus auch, dass zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen Geschäftsvorfälle (§ 1 Abs. 4 Satz 1 AStG) stattfinden können, die dazu führen, Vertragsbeziehungen jeder Art zu fingieren (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i. S. d. § 1 Abs. 4 und 5 AStG, § 16 BsGaV), die auch zwischen nahe stehenden Unternehmen denkbar sind. Der Unterschied zwischen dem Betriebsstättenfall und dem Fall nahe stehender Personen besteht darin, dass zwischen nahe stehenden Personen im Regelfall ein gültiger zivilrechtlicher Vertrag vorliegt, während im Betriebsstättenfall ein solcher Vertrag nicht mit zivilrechtlicher Wirkung abgeschlossen werden kann, sodass in diesem Fall auf einen wirtschaftlichen Vorgang abgestellt werden muss, der dann eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auslöst.

Funktions- und Risikoanalyse

Die konkrete Qualifikation der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung (z. B. fiktiver Kauf-, Dienstleistungs- oder Nutzungsüberlassungsvertrag) hängt von der durchzuführenden Funktions- und Risikoanalyse des wirtschaftlichen Vorgangs im Verhältnis der Betriebsstätte zum übrigen Unternehmen ab, die von den jeweils ausgeübten Personalfunktionen ausgeht. Die Qualifikation der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung erfolgt unabhängig davon, ob im Einzelfall entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz der Verrechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (§ 16 BsGaV) zu korrigieren ist.

Verrechnungssysteme

Weil grundsätzlich alle Arten von Vertragsbeziehungen fingiert werden können, sind für Betriebsstätten auch Verrechnungssysteme anzuerkennen, die auf vergleichbaren Grundsätzen beruhen wie Kostenumlagen (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 211 ff.), wenn in der Sache die Voraussetzungen dafür vorliegen (siehe VWG Umlageverträge; anstelle der dort geforderten schriftlichen Verträge reichen klare unternehmensinterne Aufzeichnungen und die entsprechende Durchführung in der Hilfs- und Nebenrechnung aus).

Betriebsstätte zivilrechtlich unverändert ein untrennbarer Teil des Unternehmens

Trotz der weitgehenden Annäherung von Betriebsstätten (Art. 7 OECD-MA, § 1 Abs. 5 AStG) und verbundenen Unternehmen bzw. nahe stehenden Personen (Art. 9 OECD-MA, § 1 Abs. 1 AStG) bei der Gewinnaufteilung bzw. Gewinnermittlung verbleiben Unterschiede, die darauf beruhen, dass eine Betriebsstätte zivilrechtlich unverändert ein untrennbarer Teil des Unternehmens ist, zu dem sie gehört. Diese Unterschiede erfordern es, die Betriebsstätte nicht völlig uneingeschränkt wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, § 1 Abs. 5 Satz 2 letzter Halbsatz AStG. Die Unterschiede sind abschließend in der BsGaV geregelt. Wegen dieser Unterschiede sind für Betriebsstätten z. B.

  • die Zuordnungsregelungen der §§ 5 bis 11 BsGaV erforderlich, um der Betriebsstätte die Zuordnungsgegenstände – unabhängig von deren Erfassung als Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 BsGaV) – zuordnen zu können,
  • die Bestandteile der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung nach §§ 12 ff. BsGaV (insbesondere Dotationskapital) zu bestimmen und
  • die übrigen Passivposten ggf. nach § 14 Abs. 3 BsGaV indirekt zuzuordnen.

Rating

Eine Betriebsstätte teilt die Kreditwürdigkeit (sog. Rating) des Unternehmens, zu dem sie gehört (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 99). Demgegenüber kann für ein rechtlich selbstständiges verbundenes Unternehmen bzw. nahe stehende Person nicht davon ausgegangen werden, dass in jedem Fall dieselbe Kreditwürdigkeit besteht wie für die betreffende Obergesellschaft oder die Unternehmensgruppe.

Im Weiteren regelt das BMF-Schreiben vom 22.12.2016 Folgendes:

  • Allgemeines
  • Vorschriften der BsGaV
  • Auswirkungen des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG für die Anwendung von DBA und Auswirkungen des AOA auf Zeiträume vor dem 1.1.2013
  • Regelungen des § 1 Abs. 4 und 5 AStG und der BsGaV in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31.12.2012 bzw. schon vor dem 1.1.2015 anzuwenden sind
  • Übergangsregelung für Fälle, in denen zu Beginn des Wirtschaftsjahrs, das nach dem 31.12.2014 beginnt, Zuordnungsgegenstände des § 5 ff. BsGaV anders zuzuordnen sind, als sie bisher zugeordnet waren, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein wirtschaftlicher Vorgang (§ 1 Abs. 4 Satz 1 AStG) i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV vorliegt
  • Weitgehende Überlagerung der VWG Betriebsstätten und der VWG Dotationskapital durch § 1 Abs. 5 AStG, durch die BsGaV und durch dieses BMF-Schreiben

BMF, Schreiben v. 22.12.2016, IV B 5 - S 1341/12/10001-03