1  § 1 Absatz 5 AStG und die BsGaV setzen den Inhalt des OECD-Betriebsstättenberichts in innerstaatliches Recht um. Der OECD-Betriebsstättenbericht beruht auf den international entwickelten Grundsätzen (Authorised OECD Approach – AOA) zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die grenzüberschreitende Ermittlung der Einkünfte einer Betriebsstätte, wenn die Betriebsstätte eines Unternehmens ihre Geschäftstätigkeit in einem anderen Staat ausübt als dem, in dem das Unternehmen ansässig ist. Nach dem AOA sind einer Betriebsstätte die Gewinne (dies schließt begrifflich Verluste mit ein) zuzurechnen, die sie – insbesondere in ihren wirtschaftlichen Beziehungen (sog. Dealings) mit dem übrigen Unternehmen – erzielen würde, wenn sie ein selbständiges und unabhängiges Unternehmen wäre (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 8). Der Begriff "übriges Unternehmen" bezeichnet alle Teile des Unternehmens mit Ausnahme der betreffenden Betriebsstätte.

2  Die Besteuerung grenzüberschreitender Geschäftsvorfälle (§ 1 Absatz 4 AStG) zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie die Besteuerung entsprechender Geschäftsvorfälle zwischen nahestehenden Personen (s. insbesondere § 1 Absatz 1 und 3 AStG). Damit wird eine Betriebsstätte für die Gewinnaufteilung im Verhältnis zu dem Unternehmen, zu dem sie gehört, weitgehend einem diesem nahestehenden Unternehmen gleich gestellt. Zu diesem Zweck ist es erforderlich zu entscheiden, welche Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens der Betriebsstätte zuzuordnen sind und welcher Anteil des Eigenkapitals des Unternehmens (Dotationskapital) der Betriebsstätte zuzuordnen ist (§ 1 Absatz 5 Satz 3 AStG und §§ 4 bis 15 BsGaV). Zu den zuzuordnenden Chancen und Risiken gehören ggf. auch bestimmte Geschäftsvorfälle des Unternehmens (§ 9 BsGaV).

3 Zur weitgehenden Annäherung der steuerlichen Behandlung von Betriebsstätten im Verhältnis zu nahestehenden Personen gehört darüber hinaus auch, dass zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen Geschäftsvorfälle (§ 1 Absatz 4 Satz 1 AStG) stattfinden können, die dazu führen, Vertragsbeziehungen jeder Art zu fingieren (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.d. § 1 Absatz 4 und 5 AStG, § 16 BsGaV, s. Rn. 164 ff.), die auch zwischen nahestehenden Unternehmen denkbar sind. Der Unterschied zwischen dem Betriebsstättenfall und dem Fall nahestehender Personen besteht darin, dass zwischen nahestehenden Personen im Regelfall ein gültiger zivilrechtlicher Vertrag vorliegt, während im Betriebsstättenfall ein solcher Vertrag nicht mit zivilrechtlicher Wirkung abgeschlossen werden kann, so dass in diesem Fall auf einen wirtschaftlichen Vorgang abgestellt werden muss, der dann eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung auslöst.

4 Die konkrete Qualifikation der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung (z.B. fiktiver Kauf-, Dienstleistungs- oder Nutzungsüberlassungsvertrag) hängt von der durchzuführenden Funktions- und Risikoanalyse des wirtschaftlichen Vorgangs im Verhältnis der Betriebsstätte zum übrigen Unternehmen ab, die von den jeweils ausgeübten Personalfunktionen ausgeht. Die Qualifikation der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung erfolgt unabhängig davon, ob im Einzelfall entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz der Verrechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (§ 16 BsGaV) zu korrigieren ist.

5 Weil grundsätzlich alle Arten von Vertragsbeziehungen fingiert werden können (s. aber einschränkend Rn. 174 f. zu fiktiven Darlehen), sind für Betriebsstätten auch Verrechnungssysteme anzuerkennen, die auf vergleichbaren Grundsätzen beruhen wie Kostenumlagen (OECD-Betriebsstättenbericht, Teil I Tz. 211 ff.), wenn in der Sache die Voraussetzungen dafür vorliegen (s. VWG Umlageverträge; anstelle der dort geforderten schriftlichen Verträge reichen klare unternehmensinterne Aufzeichnungen [s. Rn. 63] und die entsprechende Durchführung in der Hilfs- und Nebenrechnung aus).

6 Trotz der weitgehenden Annäherung von Betriebsstätten (Artikel 7 OECD-MA, § 1 Absatz 5 AStG) und verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen (Artikel 9 OECD-MA, § 1 Absatz 1 AStG) bei der Gewinnaufteilung bzw. Gewinnermittlung verbleiben Unterschiede, die darauf beruhen, dass eine Betriebsstätte zivilrechtlich unverändert ein untrennbarer Teil des Unternehmens ist, zu dem sie gehört. Diese Unterschiede erfordern es, die Betriebsstätte nicht völlig uneingeschränkt wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, § 1 Absatz 5 Satz 2 letzter Halbsatz AStG. Die Unterschiede sind abschließend in der BsGaV geregelt. Wegen dieser Unterschiede sind für Betriebsstätten z.B.

  • die Zuordnungsregelungen der §§ 5 bis 11 BsGaV erforderlich, um der Betriebsstätte die Zuordnungsgegenstände – unabhängig von deren Erfassung als Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 BsGaV) – zuordnen zu können,
  • die Bestandteile der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung nach §§ 12 ff. B...

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