
Ein Antrag auf Verfahrenskostenhilfe wird nur bewilligt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. –verteidigung hinreichende Erfolgsaussichten bietet. Daran sind allerdings keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. In einem Sorgerechtsstreitverfahren ist diese Hürde noch geringer, da die Elternrechte gem. Art. 6 einen hohen Grundrechtsschutz genießen.
In dem vom OLG zu entscheidenden Verfahren hatten die Eltern eine Aufhebung der Ergänzungspflegschaft und die Rückführung des gemeinsamen Kindes in ihren Haushalt beantragt.
Kind sollte aus der Pflegefamilie zurückkehren
Das Kind wurde im Jahr 2011 in Obhut des Jugendamtes genommen und lebt seither in einer Pflegefamilie. Gleichzeitig mit dem Rückführungsantrag stellten die Eltern den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Diese wurden vom Amtsgericht Gladbeck zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung legten die Eltern sofortige Beschwerde ein, der vom Familiengericht nicht abgeholfenwurde.
Erfolgsaussichten, sobald der Sachverhalt ermittelt werden muss
Das OLG Hamm war jedoch der Ansicht, dass das Familiengericht dem Begehren der Kindseltern zu Unrecht die Erfolgsaussichten abgesprochen habe:
- In einem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Sorgerechtsverfahren seien hinreichende Erfolgsaussichten bereits dann gegeben,
- wenn das Familiengericht den Sachverhalt ermitteln und gegebenenfalls eine Regelung treffen müsse
- und sich nicht darauf beschränken könne, den Antrag ohne jegliche Anhörung der Beteiligten bzw. ohne jegliche Ermittlung zurückzuweisen.
#Trennung vom #Kind ist ein starker Eingriff in das #Elterngrundrecht
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- Zudem stelle die Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen der stärkste Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elterngrundrecht dar.
- Der sei nur unter strengen Voraussetzungen, und zum Schutz des Kindes vor nachhaltigen Gefährdungen erlaubt sei.
Für die Trennung des Kindes von den Eltern gelten daher strenge verfassungsrechtliche Vorgaben.
Daher werde eine Entscheidung des Familiengerichts, welche den Antrag der Eltern auf Rückübertragung der elterlichen Sorge ohne ausführliche Darlegung im Hinblick auf eine Gefährdung des Kindswohls zurückweist, den vorgenannten strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.
Sachverhalt ist zu ermitteln, daher PKH-Anspruch
Das Familiengericht war vielmehr gehalten, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln. Zumindest eine persönliche Anhörung der Beteiligten, insbesondere des Kindes und der Pflegeeltern, seien vorliegend geboten. Auch weitere Fragen hinsichtlich des Kindeswohls seien einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten und könnten nicht schon im Verfahren auf Prüfung der Verfahrenskostenhilfe abschließend beurteilt werden. Daher habe der Antrag der Eltern unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichende Aussicht auf Erfolg.
(OLG Hamm, Beschluss v. 16.08.2016, 2 WF 46/15).
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Hintergrund: Hoher Schutz des Elternrechts
Das Bundesverfassungsgericht hat grundlegend entschieden (BVerfG, Beschluss v. 8.3.2012, 1 BvR 206/12), dass die Erziehung des Kindes primär im Verantwortungsbereich der Eltern liegt. Dabei müsse das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein. Vor diesem Hintergrund sei die Trennung des Kindes von seinen Eltern der stärkste denkbarer Eingriff in das Elternrecht. Dieser sei nur gerechtfertigt, wenn ein elterliches Fehlverhalten von solchem Ausmaß vorliege, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen und seelischen Wohl nachhaltig gefährdet sei (so später auch: BVerfG, Beschluss v. 19.11.2014, 1 BvR 1178/14).
Misshandelte Kinder und Behördenversagen
Haltung des BVerfG nicht unumstritten
Während Juristen die Haltung im Hinblick auf Art. 6 GG mehrheitlich teilen, äußeren sich Jugendämter und Psychologen eher kritisch.
Zum Teil wird argumentiert, dass dem Kindeswohl häufig mehr gedient sei, wenn bei erheblicher Gefährdung des Kindes dieses aus seinem bisherigen, nicht fürsorglichen Lebenskreis vollständig herausgelöst würde und den häufig vielfältigen Gefährdungen u.a. durch körperliche Gewalt der Eltern nicht weiter ausgesetzt bliebe.
In der Praxis würden die hohen, vom BVerfG aufgestellten Hürden häufig dazu führen, dass Kinder allzu schnell der familiären "Hölle", der sie durch die Entscheidung eines Gerichts eben noch entronnen wären, wieder schutzlos ausgeliefert würden.
Die geltende Rechtslage ist unbefriedigend
Auch viele Familienrechtler beklagen, dass infolge der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung das Recht der Eltern in der behördlichen Praxis häufig über die Interessen des Kindes gestellt würde. Sie fordern ein einheitliches Kinderschutzgesetz, das im Fall des Vorliegens von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung den Schutz des Kindes über das Elternrecht stellt und ein schnelleres Handeln der Jugendämter ermöglicht. Für die Jugendämter selbst wird ein Regelwerk gefordert, das objektivierte Maßstäbe für die Bewertung von Kindeswohlgefährdungen aufstellt und so den Jugendämtern eine in der Praxis handbare Bewertungsrichtlinie an die Hand gibt.