Erstattung von Anwaltskosten bei sich kreuzende Schriftsätzen

Die Kosten für die anwaltliche Tätigkeit sind dann zu erstatten, wenn diese zum damaligen Zeitpunkt aus der Sicht einer verständigen und wirtschaftlich denkenden Partei notwendig waren. Maßgeblich ist dabei kein objektiver Maßstab, sondern vielmehr die „verobjektivierte ex-ante Sicht“ der jeweilige Prozesspartei, so der BGH in seinem Beschluss.

Der Kläger legte am 16.06.2016 Berufung gegen das klageabweisende Urteil ein. Mit Schriftsatz vom 24.06.2016, den Beklagtenvertretern am 5.7.2016 zugestellt, nahm der Kläger die Berufung zurück.

Sich kreuzende Schriftsätze zu Berufungsabweisung bzw. Berufungsrücknahme

Die Rechtsanwälte der Beklagten hatten jedoch,

  • noch  bevor sie von der Rücknahme erfuhren,
  • mit Schriftsatz vom 01.07.2016,
  • eingegangen beim OLG München am 06.07.2016,
  • die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten sodann die Festsetzung der Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren in Höhe von insgesamt 1.768,70 EUR (1,1 Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 70.000 EUR sowie Pauschale zzgl. USt.).

Befassung mit der Berufung vor Zustellung und Kenntnis der Berufungsrücknahme

Auf Hinweis der Rechtspflegerin teilten die Rechtsanwälte mit, dass die am 28.06.2016 zugestellte Berufungsschrift ein bis zwei Tage danach zur Bearbeitung vorgelegen habe und sodann im Auftrag der Beklagten die Formalien überprüft und der Bestellungsschriftsatz mit Datum vom 01.07.2016 diktiert wurde.

Somit habe eine Befassung vor Zustellung und Kenntnis der Berufungsrücknahme stattgefunden. Die Rechtspflegerin wies den Festsetzungsantrag der Beklagten zurück. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hatte Erfolg. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen diese Entscheidung wurde vom BGH zurückgewiesen.  

Notwendigkeit bestimmt sich nach „verobjektivierten“ ex-ante Sicht

Grundsätzlich habe gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO die unterliegende Partei und im Fall der Berufungsrücknahme (§ 516 Abs. 3 ZPO) der Berufungskläger die dem Gegner erwachsenen Kosten zu tragen, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, so der BGH.

Maßstab für die Beurteilung einer Notwendigkeit sei,

„ob eine verständige und wirtschaftlich denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme zum damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte.“

Die Notwendigkeit, so der BGH weiter, bestimme sich daher aus einer „verobjektivierten“ ex-ante Sicht der jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe war die anwaltliche Tätigkeit, welche in Unkenntnis der Berufungsrücknahme erfolgte, nach Auffassung des Karlsruher Gerichts zum damaligen Zeitpunkt notwendig im Sinne von § 91 Abs.1 S.1 ZPO und somit erstattungsfähig.

Gegenseite hätte über Berufungsrücknahme frühzeitig informieren können

Darauf, dass es der Beauftragung eines Rechtsanwaltes aufgrund der Berufungsrücknahme objektiv nicht mehr bedurfte, komme es daher nicht an. Auch sei der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, in welchem der Berufungsbeklagte durch Zugang eines Hinweises Kenntnis von der Absicht des Berufungsgerichts erlangt, die Berufung zurückzuweisen. Schließlich sei das Ergebnis nach der Auffassung des BGH auch sachgerecht: Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei könne regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung zu veranlassen sei und ihr könne auch nicht zugemutet werden, weitere Entscheidungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten. Vielmehr habe es der Berufungskläger selbst in der Hand, über seinen Rechtsanwalt die Gegenseite frühzeitig über eine beabsichtigte Berufungsrücknahme zu informieren.

(BGH, Beschluss v. 10.04.2018, VI ZB 70/16).


Hintergrund:

Stillhalteabkommen mit der Gegenseite bei fristwahrender Berufung

Grundsätzlich kann ein Berufungsbeklagter die Kosten seines Rechtsanwalts auch dann nach Rücknahme der Berufung erstattet verlangen, wenn die Berufung nur "fristwahrend" eingelegt war.

  • Etwas anderes gilt nur, wenn ein sogenanntes "Stillhalteabkommen" zustande gekommen ist,
  • also eine Vereinbarung, nach der sich der Vertreter des Berufungsbeklagten so lange nicht zu den Akten der zweiten Instanz legitimieren soll, bis sich der Berufungskläger darüber klar geworden ist, ob er die Berufung tatsächlich durchführen will oder nicht.

Streit herrscht noch über die Frage, ob das Schweigen des Rechtsmittelbeklagten auf eine entsprechende Stillhaltebitte schon bindend wirkt oder nicht. (LAG Hessen, Beschluss v. 11.04.2011,13 Ta 104/11).