Wann zeugt eine richterliche Unmutsäußerung von Befangenheit?

Das BVerfG verlangt nach Art. 101 Abs. 1 GG wissbegierige Richter. Was nicht geht ist, wenn der Richter einem Prozessbeteiligten zuruft: „Die Wahrheit interessiert mich nicht!“ Solchen Äußerungen können nicht nur den Eindruck richterlicher Befangenheit wecken, sie verstoßen auch gegen das garantierte Recht auf einen gesetzlichen Richter.

Belehrung durch die Anwältin war für den Richter unerträglich

Die Prozessbevollmächtigte belehrte darauf den Richter dahingehend, es sei seine Aufgabe die Wahrheit zu erforschen. Diese Äußerung ihm gegenüber empfand der Richter als überheblich, er fühlte sich provoziert und ließ sich zu der trotzig, aggressiv und lautstarken  Bemerkung hinreißen:

„Die Wahrheit interessiert mich nicht!!“.

Unbefangen: Desinteresse an der Wahrheit geht nicht zu Lasten einer Partei

Der hierauf von der Anwältin gestellte Befangenheitsantrag wurde durch die Instanzen abgewiesen. LG und OLG vertraten die Auffassung, die Bemerkung des Richters, dass ihn die Wahrheit nicht interessiere,

  • sei zwar zu monieren,
  • ein Befangenheitsgrund sei aber hieraus nicht abzuleiten,
  • dies auch deshalb, weil die Ignorierung der Wahrheit nicht einseitig eine Partei belaste, sondern grundsätzlich zulasten beider Parteien gehe.
  • Die offensichtlich auf Verärgerung beruhende unwirsche Reaktion des Gerichts sei in diesem Fall nicht geeignet, den Eindruck einer willkürlichen, sachwidrigen Voreingenommenheit zu erwecken. 

Gericht sollte schon an der Wahrheit interessiert sein

Beim BVerfG fand diese feinsinnige Argumentation der Instanzgerichte keine Gnade (BVerfG, Beschluss v. 12.12.2012, 2 BvR 1750/12).

Die Bundesverfassungsrichter wiesen auf das verfassungsrechtlich garantierte Recht des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 GG hin.

Hiernach dürfe jeder Rechtssuchende darauf vertrauen,

  • vor Gericht auf einen Richter zu treffen, der unabhängig und unparteiisch urteilt und
  • der einzig und allein an der Wahrheit interessiert ist.
  • Sei dies nicht gewährleistet, so sei der Anspruch des Rechtssuchenden auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 GG verletzt. 

Richter: Ich habe mich provozieren lassen

Nach Auffassung der Verfassungsrichter war auch die dienstliche Stellungnahme des Richters zum der Befangenheitsantrag nicht geeignet, den objektiven Anschein der Voreingenommenheit zu beseitigen. Der Richter hatte in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass er sich durch das vorausgegangene, an der Grenze zur Beleidigung des Gerichts stehende Verhalten der Anwältin habe provozieren lassen und dadurch etwas ungehalten reagiert habe. Natürlich habe er nicht ernsthaft zum Ausdruck bringen wollen, dass ihn die Wahrheit nicht interessiere.

Richterliche Äußerung war inakzeptabel

Die Verfassungsrichter hielten diese Einlassung nicht für geeignet, den Eindruck der Befangenheit zu widerlegen. Der Richter habe mit seiner Äußerung hinsichtlich seines Desinteresses an der Wahrheit nämlich nicht nur seinen Unmut über das Verhalten der Anwältin zum Ausdruck gebracht, sondern objektiv bekundet, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht, nämlich der Wahrheit zu dienen, nicht interessiert sei. Eine so unbedachte Äußerung sei – auch wenn sie nicht wirklich ernst gemeint sei – in einer gerichtlichen Verhandlung nicht zu akzeptieren. 

Unmutsäußerungen durch Gerichte kommen häufiger vor

Unmutsäußerungen durch Richter in der Hauptverhandlung sind in der Praxis gar nicht so selten und werden von Instanzgerichten häufig eher milde beurteilt.

In einem Zivilrechtsstreit, bei dem in der mündlichen Verhandlung die Eigenschaft von Erde eine Rolle spielte, verlor der Richter ob der ausführlichen und belehrenden Äußerungen einer Prozessbeteiligten die Geduld und herrschte diese an:

„Die Eigenschaften von Erde kann ich Ihnen gerne erklären. Am besten, wir gehen mal eben runter in den Gerichtsgarten, dann werde ich Ihnen anschaulich demonstrieren, welche Eigenschaften Erde hat“.

Das OLG Zweibrücken sah diese Ausführungen zwar als nicht unbedingt geschickt an, der Eindruck der Befangenheit des Richters kann nach Auffassung des OLG hieraus aber nicht ein abgeleitet werden (OLG Zweibrücken, Beschluss v. 8.1.2013, 3 W 146/12).

Auch das BVerfG urteilt bei Richterunmut differenziert

Als bloße, den Ausgang des Verfahrens nicht beeinflussende Unmutsäußerung, hat auch das BVerfG die abfällige Handbewegung einer beisitzenden Richterin während der Vernehmung einer Zeugin, verbunden mit der Bemerkung: „Das ist doch unglaublich“ bewertet. In diesem Fall waren die Verfassungsrichter der Auffassung, dass eine kurzzeitig unbedachte Reaktion einer beisitzenden Richterin im Rahmen des Gesamtprozessverlaufs bei einem verständigen Prozessbeteiligten nicht den Eindruck der Befangenheit der Richterin erwecken konnte (BVerfG, Beschluss v.13.5.2009, 2 BvR 247/09).

Der Wahrheit dienen, ist oberstes Gebot

Trotz unterschiedlicher Entscheidung im Einzelfall, bringen die Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts zu richterlichen Unmutsäußerungen im Ergebnis die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass Gerichte im wesentlichen eine dienende Funktion haben und ein Richter seine persönlichen Befindlichkeiten seiner Pflicht, der Wahrheit zu dienen, unterzuordnen hat. Eine gegenteilige Äußerung eines Richters in der mündlichen Verhandlung ist nicht zu akzeptieren. Mit seiner Entscheidung hinsichtlich der unbedachten Äußerung des Richters über sein Desinteresse an der Wahrheitsfindung lässt das höchste deutsche Gericht zu Recht nicht zu, dass auf diese Farbe des Rechts ein Schatten fällt.