I. Vorbemerkung

Nach wie vor beschäftigt sich die Rechtsprechung in erheblichem Umfang mit der Abrechnung der anwaltlichen Reisekosten. Dies betrifft zum einen die Frage, ob und in welchem Umfang die in einem gerichtlichen Verfahren unterlegene Partei die anwaltlichen Reisekosten des obsiegenden Gegners nach § 91 ZPO und vergleichbaren Erstattungsvorschriften anderer Verfahrensordnungen übernehmen muss; Gleiches gilt in Straf- und Bußgeldsachen, soweit die Landeskasse die notwendigen Auslagen des Beschuldigten oder des Betroffenen übernehmen muss. Zum anderen ergeben sich die gleichen Fragen für die Fälle, in denen der Anwalt im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe tätig wird. Hier stellen sich die Probleme bereits bei der Beiordnung, aber auch nachträglich nochmals bei der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG.

II. Kostenerstattung

1. Beauftragung eines auswärtigen Anwalts aus dem Gerichtsbezirk

Ist der Anwalt im Gerichtsbezirk niedergelassen, so sind dessen Reisekosten stets und in voller Höhe erstattungsfähig. Hierbei ist es völlig irrelevant, wo die Partei ihren Sitz oder Wohnsitz hat. Die Reisekosten eines Anwalts aus dem Gerichtsbezirk sind daher nicht nur dann erstattungsfähig, wenn der Mandant außerhalb des Gerichtsorts oder gar außerhalb des Gerichtsbezirks wohnt bzw. dort seinen Sitz hat. Die Reisekosten sind auch dann erstattungsfähig, wenn der Mandant am Ort des Gerichts wohnt bzw. dort seinen Sitz hat.

 

Beispiel:

Die in Essen wohnende Partei beauftragt für einen Rechtsstreit vor dem LG Essen einen Anwalt aus Gelsenkirchen.

Da Gelsenkirchen zum LG-Bezirk Essen gehört, sind die Reisekosten in voller Höhe erstattungsfähig.

Die uneingeschränkte Erstattungspflicht ergibt sich in diesen Fällen aus § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO, wonach eine Notwendigkeitsprüfung hinsichtlich der Reisekosten eines Anwalts nur stattfindet, wenn er seine Kanzlei nicht im Gerichtsbezirk unterhält und dort auch nicht wohnhaft ist. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Reisekosten eines Anwalts aus dem Gerichtsbezirk stets in voller Höhe ohne Notwendigkeitsprüfung zu erstatten sind. Dies gilt sowohl für die Fahrtkosten (Nr. 7003, 7004 VV RVG) als auch für Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) und sonstige Kosten (Nr. 7006 VV RVG).

In Zivilsachen ist dies mittlerweile einhellige Rechtsprechung:

 

Rechtsprechungshinweise:

  • LG Krefeld (AGS 2011, 577 = RVGreport 2011, 235 = JurBüro 211, 307; AGS 2014, 424 = JurBüro 2014, 377 = NJW-Spezial 2014, 540),
  • AG Siegburg (AGS 2012, 594 m. Anm. Thiel = NJW-Spezial 2013, 93),
  • AG Limburg (AGS 2013, 98 = NJW-Spezial 2013, 124),
  • LG Gera (AGS 2014, 251),
  • AG Gießen (AGS 2014, 544 = NJW-Spezial 2015, 93 = ErbR 2015, 135),
  • LG Bonn (AGS 2016, 31 = AnwBl 2016, 361 = NZFam 2016, 187 = NJW-Spezial 2016, 187).

Diese Rechtsprechung gilt auch in Strafsachen, da die maßgebliche Vorschrift zur Kostenerstattung (§ 464a StPO) in Absatz 2 Nr. 2 ausdrücklich auf § 91 Abs. 2 ZPO verweist.

2. Beauftragung des Anwalts außerhalb des Gerichtsbezirks

a) Notwendigkeitsprüfung

Wohnt die Partei am Ort des Gerichts oder hat sie dort ihren Sitz, beauftragt sie aber einen auswärtigen Anwalt, der nicht im Gerichtsbezirk niedergelassen ist, findet eine Notwendigkeitsprüfung statt (§ 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO).

b) Notwendigkeit bejaht

Wird die Notwendigkeit ausnahmsweise bejaht, sind die Reisekosten in voller Höhe erstattungspflichtig. Eine Notwendigkeit wird allerdings nur in Ausnahmefällen angenommen. Die Rechtsprechung bejaht nur in besonderen Fällen eine Erstattungsfähigkeit, etwa dann, wenn zu dem auswärtigen Anwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder es sich um einen besonderen Spezialisten handelt und ein solcher im Gerichtsbezirk nicht zu finden ist.

 

Rechtsprechungshinweise:

  • OLG Frankfurt (AGS 2004, 210 = OLGR 2004, 222 [bejaht bei Milchquotenrecht und Sonderrecht des Beitrittsgebiets]),
  • OLG Frankfurt (AGS 2016, 497 [bejaht bei Sortenschutzsachen]),
  • VG Freiburg (AGS 2006, 101 [bejaht bei Luftverkehrsrecht]),
  • OLG Jena (AGS 2013, 151 = MDR 2012, 1437 = NJW-RR 2013, 317 [bejaht bei spezieller Arzthaftungsfrage; Implantation eines Port-Systems]).

c) Notwendigkeit verneint

Ergibt die Prüfung, dass die Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts nicht notwendig war, führt dies nach der ganz überwiegenden Zivilrechtsprechung allerdings nicht zum völligen Ausschluss der Kostenerstattung. Vielmehr sind die Kosten dieses Anwalts zu erstatten bis zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts.

 

Rechtsprechungshinweise:

  • AG Kiel (AGS 2014, 8 = NJW-RR 2013, 892 = JurBüro 2013, 591),
  • AG Marbach am Neckar (AGS 2014, 210 = Rpfleger 2014, 289 = NJW-Spezial 2014, 348),
  • LG Düsseldorf (AGS 2015, 7 = NJW 2015, 498 m. Anm. Schons = AnwBl 2015, 351 = MDR 2015, 427 = Rpfleger 2015, 369 = JurBüro 2015, 255 = ErbR 2015, 135 = RVGprof. 2015, 76),
  • OLG Schleswig (AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2015, 385),
  • OLG Köln (AGS 2016, 55 = AnwBl 2016, 361 = RVGreport 2016, 68 = NJW-Spezial 2016, 157 = MDR 2016, 184 = NZFam 2016, 186),
  • OLG Frankfurt – 25. Senat (AGS 2017, 101),
  • OLG Frankfurt – 6. Senat (Beschl. v. 8.2.2017 – 6 W 91/16, zur Veröffentlichung vorgesehen in AGS 5/2017),
  • AG Waldbröl (Beschl. v. 25.4...

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