A. Einführung.

I. Wesen und Bedeutung der Bürgschaft.

 

Rn 1

Die Bürgschaft ist ein Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger eines Dritten, in dem sich der Bürge einseitig ggü dem Gläubiger verpflichtet, für die Verbindlichkeit des Dritten (des Hauptschuldners) einzustehen (Schuldhelfer). Aufgrund des Vertrages tritt der Bürge für eine fremde Schuld ein (Interzedent). Die Bürgschaft dient der Sicherung des Gläubigers. Dieser Grundgedanke prägt die Anwendung des Bürgschaftsrechts; im Detail geht es um die Herbeiführung eines ausbalancierten Systems zur Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten. Dabei belässt das Gesetz den Parteien viel Raum für eine vom Gesetz abw Vertragsgestaltung: Uneingeschränkt kommt das Gesetz nur selten zur Anwendung (Bsp: Ein Vertrag wird ›als Bürge‹ mitunterschrieben, s § 766 Rn 13). Wirtschaftlich stellt die Bürgschaft das wichtigste ›persönliche‹ Kreditsicherungsgeschäft dar.

 

Rn 2

Darüber hinaus gibt es noch andere – gesetzlich bisher nicht geregelte – Fälle des Eintretens für die Schuld eines anderen. Große praktische Bedeutung haben insb die selbstständige Garantie, der Schuldbeitritt und die Patronatserklärung (s Rn 56 ff).

 

Rn 3

Das Bürgschaftsrecht der §§ 765–778 wird durch weitere Regelungen ergänzt: zB §§ 239, 566a. An zahlreichen Stellen hat der Gesetzgeber auf das Recht der Bürgschaft verwiesen: zB §§ 232 II, 239 II, 566 II 1, 1251 II 2; § 36 II 2 VerlG (zur Insolvenz des Verlegers); §§ 349350 HGB; § 28e II 1 SGB IV (bürgengleiche Haftung des Entleihers von Arbeitnehmern für Sozialversicherungsbeiträge, dazu BGH NJW 05, 884, 886 [BGH 02.12.2004 - IX ZR 200/03]); § 14 AEntG; § 13 MiLoG; s § 771 Rn 3. Überdies enthalten die §§ 1137 I 1, 1143 I 2, 1211 I 1 und § 1225 2 Verweise auf einzelne Vorschriften des Bürgschaftsrechts.

 

Rn 4

Die Bürgschaft ist durch folgende Grundprinzipien gekennzeichnet:

1. Selbstständige Verpflichtung.

 

Rn 5

Durch den Bürgschaftsvertrag übernimmt der Bürge eine eigene Verpflichtung (BGHZ 147, 99, 101 mwN), die selbstständig verjährt (s Rn 36). Er verspricht weder die Erfüllung der Hauptschuld noch die Erfüllung durch den Hauptschuldner. Vielmehr steht er für die Hauptverbindlichkeit ein: Er verschafft dem Gläubiger möglichst das Gleiche wie die Erfüllung der Hauptschuld. Damit schuldet der Bürge und haftet nicht bloß (Weber 59). Die Bürgenschuld ist selbstständig einklagbar und wird durch das Urt über die Hauptforderung nicht präjudiziert (RGZ 56, 109, 110). Wenn der Bürge an den Gläubiger zahlt, so erfüllt er seine eigene Verbindlichkeit ggü dem Gläubiger, nicht diejenige des Hauptschuldners (Erman/Zetzsche § 765 Rz 1). Gleichwohl muss der Hauptschuldner nicht mehr an den Gläubiger leisten, dem aufgrund des Forderungsübergangs nach § 774 I 1 kein Anspruch gegen den Hauptschuldner mehr zusteht. Bürge und Hauptschuldner sind – anders als zB im englischen Recht (s Rn 70) – nicht Gesamtschuldner, auch nicht im Falle der selbstschuldnerischen Bürgschaft (BGH WM 68, 918) oder bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern (Ausnahme: § 43 InsO, s Rn 48).

2. Abstrakte Verpflichtung.

 

Rn 6

Der Grund, warum sich der Bürge ggü dem Gläubiger verpflichtet, liegt meist in seinem Verhältnis zum Hauptschuldner. Dieses sog ›Deckungsverhältnis‹ hat aber keinen Einfluss auf den Bürgschaftsvertrag (RGZ 59, 11). Der Bürgschaftsvertrag ist somit abstrakt. Er trägt als gesetzlich geregelte Sicherungsform seinen Rechtsgrund iSv § 812 I in sich selbst und ist unabhängig vom Bestand der Hauptschuld gültig (BGHZ 147, 99, 101).

3. Haftung mit dem gesamten Vermögen.

 

Rn 7

Der Bürgschaftsvertrag ist ein Risikogeschäft (BeckOGK/Madaus § 765 Rz 6) und begründet wie alle Formen der persönlichen Kreditsicherung die Haftung mit dem ›gesamten‹ Vermögen. Sie ist im Unterschied zu dinglichen Formen der Kreditsicherung nicht auf einzelne Vermögensgegenstände beschränkt. Im Gegensatz zu historischen Formen der Bürgschaft betrifft die Haftung nicht die Freiheit: in Rom drohte Sklaverei, im Mittelalter der Schuldturm. Durch die prozessualen Schutzschranken des Zwangsvollstreckungsrechts in §§ 811 ff, 851 ff ZPO wird die Haftung mit dem gesamten Vermögen eingeschränkt. Bürgen, die natürliche Personen sind, ermöglicht das Insolvenzrecht unter den Voraussetzungen von §§ 286 ff InsO auch die materiell-rechtlich wirkende Befreiung von der Bürgschaftsschuld (§ 301 I InsO). Die gleichwohl nach wie vor sehr weit reichende persönliche Haftung führt zu einem strengen Beurteilungsmaßstab bei der Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag die Grenzen der guten Sitten durchbricht (vgl § 765 Rn 21 ff zur Sittenwidrigkeit).

4. Möglich für jede schuldrechtliche Verbindlichkeit.

 

Rn 8

Die gesicherte Hauptschuld kann jede schuldrechtliche Verbindlichkeit sein (Mot II 659, vgl zB BGH NJW 69, 1480, 1481: Bürgschaft für einen Freistellungsanspruch; private Bürgschaft für öffentlich-rechtliche Schuld (BGH WM 04, 1648, 1649 f: Zollschuld; BGH WM 09, 1180, 1182: Rückforderung einer staatlichen Subvention durch Verwaltungsakt). Dingliche Rechte (zB aus §§ 1113, 1147) können durch eine Bürgschaft hingegen nicht gesichert werden (RGZ 93, 234, 236). Es ist aber möglich, sich für das geldwerte Interesse des dinglichen Anspruchs zu verbür...

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