Rn 4

Abs 2 erfasst Scheidungen, die nicht unter die ROM III-VO fallen. Diese Vorschrift schließt die Lücke, die durch eine EuGH-Entscheidung (C-372/16 Sahyouni, FamRZ 18, 169 m Anm C Mayer = NJW 18, 44 m Aufs Antomo, NJW 18, 435 = IPRax 18, 261 m Aufs Coester-Waltjen, IPRax 18, 238 = ECLI:EU:C:2017:988) entstanden ist. Danach erfasst die VO nur Entscheidungen, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (s IPR-Anh 3 Art 1 Rom III Rn 2). Eine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht bewirkte Ehescheidung (Privatscheidung) fällt nicht in ihren sachlichen Anwendungsbereich. Stattdessen kommt es auf nationale kollisionsrechtliche Lösungen an (dazu Schlürmann FamRZ 19, 1035 ff). Nach Abs 2 gelten für solche Scheidungen die Kollisionsvorschriften der VO entsprechend, um einen möglichst weitgehenden kollisionsrechtlichen Gleichklang für alle Scheidungsarten zu erreichen (RegE BTDrs 19/4852 S 38; Antomo StAZ 19, 33 ff).

 

Rn 5

Da die ROM III-VO ein gerichtliches oder behördliches Verfahren voraussetzt, enthält Abs 2 mehrere Modifikationen. Gem II Nr 1 findet Art 5 I lit d ROM III-VO keine Anwendung, da keine Wahl der lex fori möglich ist. Soweit die ROM III-VO auf die Anrufung des Gerichts abstellt (Art 5 II, 6 II u Art 8), legt Abs 2 einen anderen Zeitpunkt fest. Nach II Nr 2 kommt es auf die Einleitung des Scheidungsverfahrens an. Sie kommt dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts am nächsten. Eingeleitet idS ist die Scheidung in dem Moment, in dem der Scheidungsgegner mit der Scheidung erstmals förmlich befasst wird (Antomo StAZ 19, 33, 39: erste rechtlich relevante Handlung). Vorbereitungshandlungen, wie die Mandatierung eines Anwalts oder Notars zur einvernehmlichen Scheidung, genügen nicht (RegE BTDrs 19/4852 S 38).

 

Rn 6

II Nr 3 übernimmt den Regelungsgehalt des Art 5 III ROM III-VO. Die Entscheidung, ob die Rechtswahl noch im Laufe des Verfahrens möglich ist, wird dem gewählten Recht überlassen. Dieses entscheidet auch über die Berücksichtigung von Vorgängen aus der Zeit vor der Rechtswahl. Nach Wirksamwerden der Scheidung ist eine Rechtswahl nicht mehr möglich (RegE BTDrs 19/4852 S 38). Ist das Privatscheidungsverfahren vor der Rechtswahl endgültig gescheitert, muss es danach neu eingeleitet werden. An die Stelle der nicht möglichen gerichtlichen Protokollierung tritt die Formvorschrift des Art 7 ROM III-VO.

 

Rn 7

Bei der objektiven Staatsangehörigkeitsanknüpfung (Art 8 lit c ROM III-VO) gilt der Eigenrechtsvorrang des nationalen Rechts gem Art 5 I 2 EGBGB (BGH FamRZ 20, 1811 Rz 48). Letzte Sprosse der Anknüpfungsleiter ist die engste Verbindung (II Nr 4). Nach II Nr 5 ist anstelle der Vorbehaltsklauseln der jew auf den Staat des angerufenen Gerichts abstellenden Art 10 u 12 ROM III-VO die allgemeine Vorbehaltsklausel des Art 6 EGBGB anzuwenden (krit Schlürmann FamRZ 19, 1035, 1037). Ist die Ehefrau im gesamten unter gerichtl Mitwirkung erfolgten Verstoßungsverfahren nicht beteiligt worden und erklärt sich auch nachträglich nicht mit der Scheidung einverstanden, ist der Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Stuttg FamRZ 19, 1532 [Katar]). Der Inlandsbezug besteht bei deutschem gewöhnlichen Aufenthalt auch bei ausländischer Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten (Hambg MDR 21, 1469 [OLG München 28.07.2021 - 34 Wx 47/21] mAnm Mankowski NZFam 21, 932). Bei Einverständnis oder einem Scheidungsgrund nach deutschem Recht wird ein ordre public-Verstoß idR fehlen (BGH FamRZ 20, 1811 Rz 54; Antomo StAZ 20, 33, 40 f). Ausdruck des ordre public ist auch, dass im Inland eine Ehe nur durch ein Gericht geschieden werden kann (vgl Rn 18). Ein ausdrücklicher Ausschluss der Anwendung des Art 13 ROM III-VO ist nicht erfolgt, da bei einer Privatscheidung ohnehin kein Gericht eine Ehescheidung auszusprechen hat (RegE BTDrs 19/4852 S 38).

 

Rn 8

Abs 2 nF ist erst am 21.12.18 in Kraft getreten. Da die Vorschrift aber eine Regelungslücke schließen soll, ist sie auch auf Altfälle anwendbar, soweit der zeitliche Anwendungsbereich der ROM III-VO (21.6.12) eröffnet ist und die Scheidung eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist (Stuttg FamRZ 19, 1532). Abs 2 gilt wg seiner Lückenfüllungsfunktion für seit 29.1.13 (Außerkrafttreten von Art 17 I aF) durchgeführte Privatscheidungen (BGH NJW 20, 3592 Rz 29 zust Anm Antomo m Aufs Henrich IPRax 22, 37; Helms StAZ 21, 1, 2 f). Soweit Scheidungen nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der ROM III-VO (21.6.12) fallen, bleibt es bei dem vor Inkrafttreten der VO geltenden deutschen Recht. Die Neuregelung in Abs 2 bezieht sich nur auf Fälle, in denen der sachliche Anwendungsbereich der ROM III-VO nach der Rspr des EuGH nicht eröffnet ist (RegE BTDrs 19/4852 S 39).

 

Rn 9

Eheauflösungen ausl Rechts, die durch Vertrag (zu Japan KG FamRZ 21, 302), Verstoßung (talaq; dazu Andrae NJW 08, 1730) oder Übergabe des Scheidebriefs (get; BGH FamRZ 08, 1409) erfolgen, ...

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