Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts. Anerkennung einer von einem geistlichen Gericht eines Drittstaats ausgesprochenen Privatscheidung. Anwendungsbereich der Verordnung

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1259/2010

 

Beteiligte

Sahyouni

Soha Sahyouni

Raja Mamisch

 

Tenor

Art. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts ist dahin auszulegen, dass eine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht bewirkte Ehescheidung wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2016, in dem Verfahren

Soha Sahyouni

gegen

Raja Mamisch

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und E. Regan,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Mamisch, vertreten durch Rechtsanwältin C. Wenz-Winghardt,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und J. Mentgen als Bevollmächtigte,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, D. Segoin und E. Armoët als Bevollmächtigte,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér, G. Koós und M. Tátrai als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und M. Carvalho als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Heller als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. September 2017

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung der Art. 1 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (ABl. 2010, L 343, S. 10).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Soha Sahyouni und Herrn Raja Mamisch über die Anerkennung einer von einer religiösen Instanz in einem Drittstaat ausgesprochenen Ehescheidung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1259/2010

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 9 und 10 der Verordnung Nr. 1259/2010 heißt es:

„(9) Diese Verordnung sollte einen klaren, umfassenden Rechtsrahmen im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts in den teilnehmenden Mitgliedstaaten vorgeben, den Bürgern in Bezug auf Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Flexibilität sachgerechte Lösungen garantieren und Fälle verhindern, in denen ein Ehegatte alles daran setzt, die Scheidung zuerst einzureichen, um sicherzugehen, dass sich das Verfahren nach einer Rechtsordnung richtet, die seine Interessen seiner Ansicht nach besser schützt.

(10) Der sachliche Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 [des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1)] im Einklang stehen. …

…”

Rz. 4

Art. 1 der Verordnung Nr. 1259/2010 sieht vor:

„(1) Diese Verordnung gilt für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.

(2) Diese Verordnung gilt nicht für die folgenden Regelungsgegenstände, auch wenn diese sich nur als Vorfragen im Zusammenhang mit einem Verfahren betreffend die Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes stellen:

…”

Rz. 5

Nach Art. 4 „Universelle Anwendung”) dieser Verordnung gilt:

„Das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaats ist.”

Rz. 6

Art. 5 der Verordnung Nr. 1259/2010 sieht vor:

„…

(2) Unbeschadet des Absatzes 3 kann eine Rechtswahlvereinbarung jederzeit, spätestens jedoch zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, geschlossen oder geändert werden.

(3) Sieht das Recht des Staates des angerufenen Gerichts dies vor, so können die Ehegatten die Rechtswahl vor Gericht auch im Laufe des Verfah...

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