Gesetzestext

 

(1) Ein Rechtsgeschäft ist formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird.

(2) Wird ein Vertrag zwischen Personen geschlossen, die sich in verschiedenen Staaten befinden, so ist er formgültig, wenn er die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts eines dieser Staaten erfüllt.

(3) Wird der Vertrag durch einen Vertreter geschlossen, so ist bei Anwendung der Absätze 1 und 2 der Staat maßgebend, in dem sich der Vertreter befindet.

(4) Ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht an einer Sache begründet oder über ein solches Recht verfügt wird, ist nur formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts erfüllt, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist.

A. Einführung.

I. Einordnung und Auslegung.

 

Rn 1

Art 11 ordnet für die Frage der Form, die stets als Teilfrage eines anderweitig angeknüpften (zB Art 13, Art 3 ff ROM I/Art 27 ff, sog Geschäfts- oder Wirkungsstatut) rechtlichen Verhältnisses auftaucht, eine Sonderanknüpfung an. Soweit das Rechtsverhältnis ein Schuldvertrag (mit Ausn eines Gesellschaftsvertrages, vgl Art 1 II Buchst f ROM I) ist, ist Art 11 seit 17.12.09 durch Art 11 ROM I verdrängt. Die in Art 11 IV aF enthaltene Regelung für Schuldverträge über Grundstücke (jetzt Art 11 V ROM I) konnte damit aufgehoben werden. An die Stelle des IV aF ist V aF gerückt. Anwendung findet Art 11 noch auf familien- u erbrechtliche Rechtsgeschäfte, Verfügungsgeschäfte und die Vollmacht, s.u. Rn 6. Anliegen des Art 11 ist es, die Formwirksamkeit von Rechtsgeschäften zu fördern (favor negotii). Zu diesem Zwecke erfolgt eine Alternativanknüpfung nach dem Günstigkeitsprinzip: Es reicht aus, wenn entweder die Formvorschriften des Ortsrechts oder des auf die Hauptfrage der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts anwendbaren Geschäftsstatuts eingehalten worden sind (I). II u III klären, von welchem Ort bei Vertragsschlüssen über die Grenze (Distanzgeschäften) und bei Einschaltung von Stellvertretern auszugehen ist. IV aF u IV nF formulieren für schuldrechtliche Grundstücksverträge und für Verfügungsgeschäfte Ausnahmen von den Erleichterungen des Art 11.

 

Rn 2

Bei der Auslegung ist zu beachten, dass Art 11 im wesentlichen auf Art 9 EVÜ zurückgeht, dessen international einheitliche Auslegung und Anwendung anzustreben ist (Art 18 EVÜ, seit 1.8.04 Vorlagemöglichkeit an den EuGH, vgl EVÜ-Auslegungsprot BGBl 06 II 348). Dies sollte auch nach Wegfall der Relevanz des Art 11 für Schuldverträge gelten, da es sich insoweit um eine überschießende Umsetzung handelt, die auf einheitliche Grundsätze der Formanknüpfung abzielt. Ausgenommen hiervon ist IV, der keinen staatsvertraglichen Ursprung hat und daher auf Grundlage nur des deutschen Rechts auszulegen ist.

II. Ähnliche Vorschriften.

 

Rn 3

Für eine Reihe von Rechtsgeschäften mit Auslandsbezug finden sich im EGBGB, anderen Gesetzen und Staatsverträgen vorrangige Sonderregelungen der einzuhaltenden Form, die teilweise das Günstigkeitsprinzip einschränken: für die Eheschließung im Inland Art 13 III, für die Ehescheidung im Inland Art 17 II, für Rechtswahlverträge Art 14 IV, 15 III, für letztwillige Verfügungen Art 27 f EuErbVO, für Verträge Art 11 ROM I; Art 92 I, 97 WG; Art 62 I, 66 ScheckG, für ausnahmsweise zulässige Preisbindungen § 130 II iVm 15 II GWB, für Frachtbriefe Art 4 CMR (BGBl 61 II 1120) und Art 6 CIM (BGBl 74 II 381) und für Schiedsklauseln Art 2 II des New Yorker UN-Üb über die Anerkennung und Vollstreckung ausl Schiedssprüche (BGBl 61 II 1229).

B. Anknüpfungsgegenstand.

I. Form.

1. Qualifikation.

 

Rn 4

Anknüpfungsgegenstand des Art 11 ist die Form, dh die Art und Weise der Äußerung einer Willenserklärung (Erman/Hohloch Rz 13; Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 49). Abzugrenzen ist einerseits von den sachlichen Voraussetzungen, die der lex causae unterliegen, und andererseits von prozessualen Fragen, die der lex fori unterliegen. Testfrage für die Qualifikation kann sein, ob die fremde Norm typischen Formzwecken, wie der Beratung, dem Schutz vor Übereilung oder der Beweissicherung dient (BGHZ 29, 142).

2. Beispiele.

 

Rn 5

Zum Formstatut gehört, ob eine Form überhaupt erforderlich ist (Lorenz IPRax 94, 196 [KG Berlin 27.04.1993 - 1 W 1902/93]), wer sich ihrer bedienen muss oder darf (Volljährigkeit für eigenhändiges Testament, vgl Kropholler § 41 III 3b), die Folgen von Formverstößen (Looschelders Rz 15) und die einzelnen Anforderungen, zB das Erfordernis einer Verkörperung (mündlich, schriftlich, elektronisch, per Telefax, handschriftlich, eigenhändig), Verwendung einer festen sprachlichen Formel, die Höchstpersönlichkeit (s BGHZ 29, 137 zur Zulässigkeit der sog Handschuhehe durch Boten oder Stellvertreter; dazu Sturm IPRax 13, 412; VG Magdeburg BeckRS 20, 12578: Heiratsantrag u Annahme durch die am Ort der Eheschließung anwesenden Vertreter der Parteien; VGH München StAZ 22, 306 zur Online-Trauung), die Mitwirkung von Amts- oder anderen Personen (öffentliche Beglaubigung, Beurkundung, Anw...

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