Rn 74

›Betriebsbedingt‹ ist die Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie auf dringenden Erfordernissen beruht, die der Weiterbeschäftigung des ArbN im Betrieb entgegenstehen, § 1 II 1 Var 3 KSchG. Dies setzt voraus, dass der Arbeitsplatz weggefallen ist (Rn 75 f), keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht (Rn 77) und die Sozialauswahl zu Lasten des zu kündigenden ArbN ausfällt (Rn 78 ff; Lingemann Kündigungsschutz, 42 ff).

a) Arbeitsplatzwegfall.

 

Rn 75

Der Arbeitsplatz kann wegfallen durch außerbetriebliche (Auftragsrückgang, Rohstoffmangel, Liefersperren) oder innerbetriebliche Ursachen, typischerweise auf Basis einer Unternehmerentscheidung (Bader NZA-Beil 2/10, 85; Kleinebrinck DB 08, 1858; Gilberg NZA 03, 817), zB zur Stilllegung eines Betriebes oder Betriebsteils (BAG NJW 19, 2955), Einführung neuer Arbeits- bzw Produktionsmethoden, Aufgabe einzelner Produktionsbereiche, Fremdvergabe von Arbeiten (BAG NZA 15, 679), Streichung einer Hierarchieebene (BAG NZA 11, 505), dauerhaften Personalreduzierung (BAG BB 06, 1572), Änderung der Aufgabenprofile (BAG DB 06, 341). Nicht ausreichend: schlechte wirtschaftliche Lage oder die drohende Insolvenz (BAG NZA 13, 959 zur außerordentlichen Kündigung).

 

Rn 76

Die Unternehmerentscheidung unterliegt nur gerichtlicher Missbrauchskontrolle dahin, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG NZA 12, 852; 12, 148 [BAG 07.07.2011 - 2 AZR 12/10]). Bei Ausgliederung eines Betriebsteils mit Kündigung aller ArbN und anschließender Neugründung einer GmbH, die wirtschaftlich in das Unternehmen eingegliedert wurde und dieselben Aufgaben übernahm, hat das BAG Missbrauch bejaht (BAG NZA 03, 549; vgl auch BAG NZA 12, 852 [BAG 23.02.2012 - 2 AZR 548/10]). Je näher die Unternehmerentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, desto mehr muss der ArbG verdeutlichen, dass das Beschäftigungsbedürfnis für den ArbN entfallen ist, insb das verbleibende Arbeitsvolumen ohne überobligationsmäßige Leistung verbleibender ArbN bewältigt werden kann (BAG NZA 17, 985 [BAG 28.03.2017 - 2 AZR 551/16]). Die Unternehmerentscheidung muss bei Zugang der Kündigung noch nicht umgesetzt worden, aber endgültig und vorbehaltlos sein (BAG NZA 15, 679 [BAG 20.11.2014 - 2 AZR 512/13]). In der GmbH trifft die Unternehmerentscheidung idR die Gesellschafterversammlung (§ 49 II GmbHG); ein Beschl der Geschäftsführung reicht bei der Prognose im Kündigungszeitpunkt, dass die Entscheidung planmäßig durchgeführt wird (BAG aaO), aus.

b) Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit.

 

Rn 77

Trotz Arbeitsplatzwegfalls ist die betriebsbedingte Kündigung sozial nicht gerechtfertigt, wenn der ArbN an einem anderen freien (auch bei vorübergehender oder beabsichtigter Leiharbeit: LAG Hessen BeckRS 12, 72271) geeigneten Arbeitsplatz im selben Unternehmen (§ 611 Rn 34) im Inland (BAG NZA 15, 1457 [BAG 24.09.2015 - 2 AZR 3/14]) weiterbeschäftigt werden kann (§ 1 II 2 Nr 1b KSchG; BAG NZA 18, 234 [BAG 27.07.2017 - 2 AZR 476/16]; 14, 1200 [BAG 08.05.2014 - 2 AZR 1001/12]). Der Anspruch greift idR nicht konzernweit (§ 611 Rn 35). Der ArbG muss dem ArbN eine zumutbare Weiterbeschäftigung zu gleichen oder schlechteren, nicht zu besseren (BAG aaO; aA Houben NZA 08, 851) Vertragsbedingungen anbieten und ggf durch Änderungskündigung umsetzen (BAG aaO), auch auf nach § 14 I TzBfG befristete Stellen (BAG NZA 15, 1083). Die Zumutbarkeit entfällt nur in Extremfällen (BAG 14, 1200; krit Bauer/Winzer BB 06, 266). Der ArbN muss aber dem Anforderungsprofil der freien Stelle entsprechen (BAG NZA 18, 234), das der ArbG in den Grenzen des Missbrauchs bestimmen kann (BAG NZA 08, 1180 [BAG 05.06.2008 - 2 AZR 107/07]). Konkurrieren mehrere ArbN um denselben freien Arbeitsplatz, ist wohl nach den Grundsätzen umgekehrter Sozialauswahl zuzuordnen (BAG NZA 18, 234 [BAG 27.07.2017 - 2 AZR 476/16]). Auf den Widerspruch des Betriebsrates kommt es entgegen § 1 II 2 Nr 1b KSchG nicht an (ErfK/Oetker § 1 KSchG Rz 248).

c) Sozialauswahl.

 

Rn 78

Ist der ArbN, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, mit anderen ArbN vergleichbar, so ist aufgrund der gesetzlich angeordneten Sozialauswahl, § 1 III 1 Hs 1 KSchG, nicht unbedingt ihm zu kündigen, sondern dem vergleichbaren ArbN, der bei ausreichender Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitsdauer (richtiger: Unternehmenszugehörigkeit), Lebensalter (BAG NZA 17, 902 [BAG 27.04.2017 - 2 AZR 67/16]; Kriterium ist keine Diskriminierung iSd AGG, BAG NZA 12, 1044 [BAG 15.12.2011 - 2 AZR 42/10]; Rentenbezug oder -nähe darf zulasten des ArbN berücksichtigt werden, BAG 8.12.22 – 6 AZR 31/22), Unterhaltspflichten und etwaiger Schwerbehinderung am wenigsten sozial schutzbedürftig ist. Zum Einfluss des AGG s § 10 AGG Rn 21 ff. Methodisch fehlerhafte Sozialauswahl ist unschädlich, wenn das Ergebnis richtig ist (BAG NZA 18, 234 [BAG 27.07.2017 - 2 AZR 476/16]).

 

Rn 79

Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren, dh austauschbaren ArbN bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach ausgeübter Tätigkeit (›qualifikationsmäßige Austauschbar...

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