Rn 78

Ist der ArbN, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, mit anderen ArbN vergleichbar, so ist aufgrund der gesetzlich angeordneten Sozialauswahl, § 1 III 1 Hs 1 KSchG, nicht unbedingt ihm zu kündigen, sondern dem vergleichbaren ArbN, der bei ausreichender Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitsdauer (richtiger: Unternehmenszugehörigkeit), Lebensalter (BAG NZA 17, 902 [BAG 27.04.2017 - 2 AZR 67/16]; Kriterium ist keine Diskriminierung iSd AGG, BAG NZA 12, 1044 [BAG 15.12.2011 - 2 AZR 42/10]; Rentenbezug oder -nähe darf zulasten des ArbN berücksichtigt werden, BAG 8.12.22 – 6 AZR 31/22), Unterhaltspflichten und etwaiger Schwerbehinderung am wenigsten sozial schutzbedürftig ist. Zum Einfluss des AGG s § 10 AGG Rn 21 ff. Methodisch fehlerhafte Sozialauswahl ist unschädlich, wenn das Ergebnis richtig ist (BAG NZA 18, 234 [BAG 27.07.2017 - 2 AZR 476/16]).

 

Rn 79

Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren, dh austauschbaren ArbN bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach ausgeübter Tätigkeit (›qualifikationsmäßige Austauschbarkeit‹, BAG NZA 10, 1352 [BAG 10.06.2010 - 2 AZR 420/09]), dh Berufsgruppe, Ausbildungsberuf, individuellen Kenntnissen, Fähigkeiten, Leistungsbereitschaft, Lernfähigkeit und Erfahrungen; ein bloßer Routinevorsprung hindert die Vergleichbarkeit nicht. Der ArbN muss in der Lage sein, die neue Funktion nach angemessener Einarbeitungszeit – ›Faustregel‹: drei Monate – zu übernehmen (BAG NZA 08, 1122 [BAG 05.06.2008 - 2 AZR 907/06]). Vergleichbar sind aber nur solche Arbeitsplätze, auf die der ArbG den ArbN einseitig, also kraft Direktionsrechts, um- oder versetzen kann (›arbeitsvertragliche Austauschbarkeit‹; BAG aaO). Daraus folgt zugleich, dass nur auf derselben Ebene der Betriebshierarchie beschäftigte Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einzubeziehen sind (sog ›horizontale Vergleichbarkeit‹; BAG NZA 05, 1302 [BAG 24.05.2005 - 8 AZR 398/04]).

 

Rn 80

Die Sozialauswahl beschränkt sich auf den jeweiligen Betrieb (§ 611 Rn 33; auch Gemeinschaftsbetrieb, BAG NZA 08, 1060 [BAG 03.04.2008 - 2 AZR 879/06]; nicht Teilbetrieb, BAG NZA 05, 285 [BAG 28.10.2004 - 8 AZR 391/03]), auch bei betriebsübergreifender Versetzungsklausel (BAG NZA 06, 590 [BAG 15.12.2005 - 6 AZR 199/05]).

 

Rn 81

Für die Sozialauswahl zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften gilt: trifft der ArbG eine konkretisierte Organisationsentscheidung, für bestimmte Arbeiten nur Vollzeitkräfte einzusetzen, ist keine übergreifende Sozialauswahl erforderlich; anders jedoch insb bei bloßem Abbau insgesamt geleisteter Arbeitsstunden (BAG NZA 05, 523; 00, 30; DB 99, 487; krit Bauer/Klein BB 99, 1162). Im Betrieb eines Verleihers sind alle ArbN unabhängig davon, ob sie sich im Einsatz befinden, in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG NZA 13, 837 [BAG 20.06.2013 - 2 AZR 271/12]).

 

Rn 82

ArbN mit gesetzlichem Sonderkündigungsschutz (zu Betriebsratsmitgliedern BAG NZA 09, 1264 [BAG 12.03.2009 - 2 AZR 47/08]) sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn die erforderliche Zustimmung zum Kündigungszeitpunkt nicht vorliegt (str bei ArbN, bei denen die ordentliche Kündigung von der Zustimmung der zuständigen Behörde abhängig ist, zB schwerbehinderte Menschen, § 151 SGB IX; ArbN in Elternzeit, § 18 BEEG; vgl KR/Griebeling § 1 KSchG Rz 717). Tarifvertraglich kündigungsgeschützte ArbN sind nur einzubeziehen, wenn die Sozialauswahl sonst gemäß § 1 III KSchG grob fehlerhaft wäre (BAG NZA 14, 208 [BAG 20.06.2013 - 2 AZR 295/12]; unklar bei einzelvertraglich kündigungsgeschützten ArbN: Bauer/Röder 156 f; BAG NZA 08, 1120 [BAG 05.06.2008 - 2 AZR 907/06]). ArbN in der sechsmonatigen Wartefrist (§ 1 KSchG; Rn 51) sind ggü kündigungsgeschützten ArbN vorrangig zu kündigen.

 

Rn 83

Die Kriterien für die soziale Schutzbedürftigkeit (§ 1 III 1 KSchG, Rn 78) sind abschließend (BAG NZA 08, 33 [BAG 31.05.2007 - 2 AZR 276/06]).

 

Rn 84

Bei Gewichtung der Kriterien im Verhältnis zueinander hat der ArbG einen Wertungsspielraum (§ 1 III 1 KSchG), soziale Gesichtspunkte sind nur ›ausreichend‹ zu berücksichtigen (BAG NZA 15, 426 [BAG 29.01.2015 - 2 AZR 164/14]). Vertraglich vereinbarte Betriebszugehörigkeitszeiten sind in den Grenzen des Missbrauchs zu beachten (BAG BB 06, 496 [BAG 02.06.2005 - 2 AZR 480/04]). Bei Betriebsänderungen beschränkt sich der Prüfungsmaßstab bei Interessenausgleich mit Namensliste auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 1 V KSchG; Rn 88). War die Sozialauswahl fehlerhaft, konnte sich nach früherer Rspr jeder schutzwürdigere vergleichbare ArbN darauf berufen (›Dominotheorie‹: BAG BB 85, 1263 [BAG 07.02.1985 - 6 AZR 370/82]); jedenfalls bei Sozialauswahl anhand abschließenden Punkteschemas gilt das nur noch für den, dem bei fehlerfreier Sozialauswahl nicht gekündigt worden wäre (BAG AP 87 zu § 1 KSchG – ›betriebsbedingte Kündigung‹ m Anm Lingemann/Beck; Bauer/Gotham BB 07, 1729).

 

Rn 85

Die Sozialauswahl muss gem § 1 III 2 KSchG nicht erstreckt werden auf ArbN, deren Weiterbeschäftigung insb wegen ihrer...

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