Gesetzestext

 

1Schweben zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, so ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. 2Die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein.

A. Begriff der Hemmung.

 

Rn 1

Verhandlungen (Rn 2) können seitens des Schuldners beim Gläubiger besonderes Vertrauen hervorrufen (BGH MDR 08, 1347 [BGH 13.03.2008 - I ZR 116/06] Rz 23). Zudem sollen sie nicht unter den Druck ablaufender Verjährungsfrist gestellt sein (BGH 1.7.14 – VI ZR 391/13 Rz 24; NJW-RR 10, 975 [BGH 14.07.2009 - XI ZR 18/08] Rz 22). Das berücksichtigt die Hemmung der Verjährung. Sie hat zur Folge, dass eine angelaufene Verjährungsfrist von Gesetzes wegen zum Stillstand kommt und erst nach Wegfall der Hemmung weiterläuft. Der Eintritt eines Hemmungsgrundes kann allerdings vor Anlaufen der Verjährungsfrist, insb also im Fall der Regelverjährung vor dem Ablauf des 31.12., dazu führen, dass eine Verjährungsfrist zunächst gar nicht anläuft. Auch insoweit bewirkt der Wegfall des Hemmungsgrundes das Anlaufen der Verjährung, falls die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind. Anders als bei der Ablaufhemmung (Rn 5) wird so aus der Verjährungsfrist nur ein bestimmter Zeitraum ausgeklammert, nicht jedoch die Frist als solche verlängert. Für § 203 gilt nicht § 204 II (BGH NJW 19, 1219 [BGH 24.01.2019 - IX ZR 233/17] Rz 13). – Zu unterscheiden ist der Neubeginn einer Verjährung, der nur in wenigen Fällen angeordnet ist (§ 212). Kommen Verhandlungen zustande, beginnt die Hemmung rückwirkend mit der ersten Geltendmachung des Anspruchs ggü dem Schuldner (BGH NJW 14, 3435 Rz 9; 19.12.13 – IX ZR 120/11 Rz 2), es sei denn, diese stünde in keinem Zusammenhang zur Verhandlung (BGH VersR 62, 615, 616 [BGH 13.02.1962 - VI ZR 195/61]) oder es ist zwischenzeitlich wegen Einschlafens (Rn 4) Verjährung eingetreten (BGH 15.12.16 – IX ZR 58/16). § 203 gilt generell für alle Verjährungsfristen (BTDrs 14/6040, 111) und wird nicht durch § 439 III HGB verdrängt (BGH MDR 08, 1347 [BGH 13.03.2008 - I ZR 116/06] Rz 22); ebenso gilt neben § 202 beim Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer § 115 II 3 VVG. Erfasst ist auch die Mediation als drittunterstützte Verhandlung (BGH NJW 19, 1219 [BGH 24.01.2019 - IX ZR 233/17] Rz 13).

B. Verhandlungen.

I. Begriff der Verhandlungen.

 

Rn 2

Der Begriff der ›Verhandlungen‹ ist weit auszulegen. Der Gläubiger muss dafür lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner (bzw sein Vertreter; vgl Schlesw 22.8.11 – 3 U 101/10) dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein (BGH 31.1.14 – III ZR 84/13 Rz 8; zum Schriftwechsel über die Richtigkeit einer Rechnung BGH NJW-RR 22, 1286 [BGH 14.07.2022 - VII ZR 255/21] Rz 23). Dafür kann zB genügen, dass der Anspruchsgegner mitteilt, er habe die Angelegenheit seinem Haftpflichtversicherer zur Prüfung übersandt, wenn dieses nicht nur Ausdruck versicherungsrechtlicher Obliegenheiten (BGH NJW 11, 1594 [BGH 03.02.2011 - IX ZR 105/10] Rz 16) ist bzw die erhobenen Ansprüche zugleich zurückgewiesen werden (BGH NJW 12, 2435 [BGH 10.05.2012 - IX ZR 125/10] Rz 63 f), oder dass bei geltend gemachtem Rückzahlungsanspruch (§ 346 I) mehrere Gespräche mit dem Ziel geführt wurden, den Vertrag wiederaufleben zu lassen (BGH 8.12.11 – V ZR 110/11; s.a. BGH NJW-RR 11, 98 [BGH 28.10.2010 - VII ZR 82/09] Rz 10: Bauträger führt wegen Mängeln im Einvernehmen mit dem Besteller Rechtsstreit gegen seinen Nachunternehmer). Nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder dass Erfolgsaussicht besteht (BGH NJW 20, 3653 [BGH 17.06.2020 - VII ZR 111/19] Rz 28; 14, 2574 Rz 17; 12, 3633 Rz 36). Soweit aus Sicht des Empfängers die Bereitschaft zur Findung einer einverständlichen Regelung von Seiten des Schuldners geäußert wird, ist schon von Verhandlungen auszugehen (BGH NJW 07, 1723 Rz 6: zur Ankündigung der Mitteilung, wie die weitere Vertretung erfolge; 01, 1723; enger NJW 86, 2309, 2312 [BGH 06.02.1986 - III ZR 109/84]), nicht jedoch bei bloßer Zahlungsaufforderung (BGH 21.6.18 – IX ZR 129/17 Rz 11) oder Darlegung der Gründe der iÜ eindeutigen Ablehnung des Anspruchs (Kobl OLGR 06, 569) oder einer bloßen Eingangsanzeige. Laufen Verhandlungen, setzt die Erklärung des Schuldners, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Verjährungseinrede nicht zu erheben, dem Hemmungstatbestand keine zeitliche Grenze (BGH NJW 04, 1654 [BGH 17.02.2004 - VI ZR 429/02]). Die gemeinschaftliche Prüfung von Mängeln führt ebenso zur Verhandlung wie die Aufforderung zu Verhandlungen im Fall entspr ve...

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