Entscheidungsstichwort (Thema)

Konkurrenzverhältnis von § 439 Abs. 3 HGB und § 203 BGB. Verlust von Transportgut. Hemmung der Verjährung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verjährungsvorschrift des § 439 Abs. 3 HGB ist im Verhältnis zur allgemeinen Hemmungsregelung des § 203 BGB nicht lex specialis. Beide Bestimmungen stehen vielmehr uneingeschränkt nebeneinander.

 

Normenkette

HGB § 439 Abs. 3; BGB § 203

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 07.06.2006; Aktenzeichen 5 S 14/06)

AG Bonn (Entscheidung vom 12.12.2005; Aktenzeichen 9 C 79/05)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Bonn vom 7.6.2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger nimmt die Beklagte, die D. AG, wegen des Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch. Die auf den Verlust von vier Paketen gestützte Klage ist nur hinsichtlich eines Pakets im Wert von 500 EUR in die Revisionsinstanz gelangt.

[2] Der Kläger beauftragte die Beklagte am 13.12.2003 mit der Beförderung von vier Paketsendungen zu verschiedenen Empfängern in Deutschland. Die Pakete kamen bei den Empfängern nicht an.

[3] Nach einem erfolglosen Nachforschungsauftrag vom 17.12.2003 und einer Haftungsablehnung der Beklagten vom 22.1.2004 machte der Kläger mit Schreiben vom 24.2.2004 ggü. der Beklagten wegen des Verlustes der vier Pakete eine Schadensersatzforderung i.H.v. 2.011,02 EUR geltend. Die Beklagte ließ das Schadensersatzverlangen unbeantwortet. Mit Anwaltsschreiben vom 10.9.2004 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und teilte ihr mit, dass deren Haftungsablehnung für ihn nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus forderte er die Beklagte auf, ihm einen Ansprechpartner zu nennen, an den der Originaleinlieferungsschein übersandt werden könne. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 21.9.2004, sie benötige für die Einleitung des Ersatzanspruchsverfahrens eine vollständig ausgefüllte Schadensersatzmeldung über die Höhe der Ersatzforderung sowie eine Kopie der dem Warenempfänger erteilten Rechnung oder einen anderen Nachweis über den Paketinhalt. Daraufhin ließ der Kläger am 24.9.2004 durch seine damaligen Bevollmächtigten mitteilen, dass er den Originaleinlieferungsschein bei Benennung eines Ansprechpartners jederzeit übermitteln könne. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 15.10.2004, da der Kläger ihrer Aufforderung bezüglich der Zusendung der erforderlichen Unterlagen nicht nachgekommen sei, sende sie ihm zu ihrer Entlastung seine eingesandten Unterlagen zurück und betrachte die Bearbeitung damit als abgeschlossen. Dieses Schreiben enthielt im Betreff u.a. folgende Angaben: "Identcode 853718206741/Einlieferdatum: 13.12.2003 von ... Alexander S. ... an Christian K. ...".

[4] Der Kläger hat am 2.2.2005 wegen Verlustes des an den Empfänger G. adressierten Pakets eine Schadensersatzklage i.H.v. 506,60 EUR eingereicht.

[5] Er hat - soweit in der Revisionsinstanz von Bedeutung - beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 506,60 EUR nebst Zinsen zu zahlen.

[6] Die Beklagte hat ggü. dem geltend gemachten Anspruch die Einrede der Verjährung erhoben.

[7] Das AG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG dem Kläger unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels eine Ersatzforderung i.H.v. 506,60 EUR nebst Zinsen zuerkannt (LG Bonn, Urt. v. 7.6.2006 - 5 S 14/06, juris).

[8] Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

[9] I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers i.H.v. 500 EUR aus § 425 Abs. 1 HGB wegen Verlustes der an den Empfänger G. adressierten Paketsendung für begründet erachtet. Darüber hinaus hat es dem Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung des Beförderungsentgelts für diese Sendung i.H.v. 6,60 EUR zuerkannt. Dazu hat es ausgeführt:

[10] Das an den Empfänger G. adressierte Paket sei unstreitig am 13.12.2003 bei der Beklagten eingeliefert worden und bei dem Empfänger nicht angekommen. Dadurch sei dem Kläger ein Schaden i.H.v. 500 EUR entstanden.

[11] Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 425 Abs. 1 HGB sei nicht gem. § 439 HGB verjährt. Die Verjährungsfrist betrage ein Jahr, da der Kläger ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht behaupte. Der Lauf der Verjährungsfrist habe am 17.12.2003 eingesetzt und wäre danach am 16.12.2004, also vor Einreichung der Klage am 2.2.2005, abgelaufen gewesen. Der Lauf der Verjährungsfrist sei nicht nach § 439 Abs. 3 HGB gehemmt gewesen. Durch den Nachforschungsauftrag des Klägers vom 17.12.2003 sei keine Hemmung erfolgt. Ebenso wenig habe eine Hemmung der Verjährungsfrist durch das Anspruchsschreiben des Klägers vom 24.2.2004 eintreten können, da die Beklagte ihre Haftung bereits zuvor mit Schreiben vom 22.1.2004 abgelehnt habe.

[12] Die Beklagte sei jedoch durch ihr Schreiben vom 21.9.2004, mit dem sie auf das Schadensregulierungsverlangen des Klägers vom 10.9.2004 reagiert habe, in Verhandlungen über den Anspruch eingetreten. Dadurch sei die Verjährung gem. § 203 BGB, der neben § 439 Abs. 3 HGB zur Anwendung komme, gehemmt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Haftung zuvor mit Schreiben vom 22.1.2004 bereits abgelehnt habe.

[13] Dementsprechend sei ab dem 10.9.2004, dem Datum des Schreibens der anwaltlichen Vertreter des Klägers, eine Hemmung der Verjährung eingetreten. Diese sei hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs wegen Verlustes des an den Kunden G. versandten Pakets nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 15.10.2004 beendet worden, weil sich dieses Schreiben auf ein anderes, ebenfalls verlorengegangenes Paket bezogen habe. Die Verjährungshemmung könne aber auch dadurch enden, dass ein Abbruch der Verhandlungen durch "Einschlafenlassen" erfolge. In einem solchen Fall komme es maßgeblich auf den Zeitpunkt an, zu dem der Berechtigte nach Treu und Glauben eine Antwort der Gegenseite spätestens habe erwarten dürfen. Unter den im Streitfall gegebenen Umständen sei eine Äußerung der Beklagten betreffend des bei dem Adressaten G. nicht angekommenen Pakets bis spätestens 15.11.2004 zu erwarten gewesen. Die Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 HGB sei danach ab dem 16.11.2004 weitergelaufen. Zu diesem Zeitpunkt seien acht Monate und 24 Tage von der Verjährungsfrist verstrichen gewesen, so dass diese am 22.2.2005 geendet habe. Die am 2.2.2005 eingereichte Klage wegen Verlustes der an den Kunden G. adressierten Sendung sei mithin rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist erhoben worden.

[14] Gemäß § 432 Satz 1 HGB stehe dem Kläger auch ein Anspruch auf Erstattung des für die Beförderung zu dem Adressaten G. entrichteten Entgelts i.H.v. 6,60 EUR. Die dem Kläger zuerkannten Zinsen seien gem. § 353 HGB, §§ 280, 286, 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

[15] II. Die Revision hat keinen Erfolg.

[16] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend eine Haftung der Beklagten für den Verlust des an den Empfänger G. adressierten Pakets gemäß § 425 Abs. 1 HGB bejaht. Dadurch ist dem Kläger unstreitig ein Schaden i.H.v. 500 EUR entstanden. Die Revision erhebt insoweit auch keine Beanstandungen.

[17] 2. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass dieser von dem Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht verjährt ist.

[18] a) Gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjähren die Ansprüche gegen den Frachtführer aus einem Güterbeförderungsvertrag grundsätzlich in einem Jahr. Davon ist auch im Streitfall auszugehen, weil der Kläger ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten nicht dargelegt hat. Die Verjährungsfrist beginnt im Falle der unterbliebenen Ablieferung des Gutes nach § 439 Abs. 2 Satz 2 HGB mit dem Tag, an dem das Gut hätte abgeliefert werden müssen. Das war hier nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts der 16.12.2003, so dass die Verjährungsfrist am 17.12.2003 zu laufen begonnen hat und gem. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, Alt. 1 BGB am 16.12.2004, mithin vor Einreichung der Schadensersatzklage, abgelaufen wäre.

[19] b) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Lauf der Verjährungsfrist nicht gem. § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB gehemmt worden ist. Nach dieser Vorschrift wird die Verjährung eines gegen den Frachtführer gerichteten Anspruchs durch ein schriftliches Schadensersatzverlangen des Absenders bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, in dem der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt.

[20] Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Nachforschungsauftrag des Klägers vom 17.12.2003 nicht den an ein Anspruchsschreiben i.S.d. § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB zu stellenden Anforderungen genügt hat. Erst mit Schreiben vom 24.2.2004 hat der Kläger ggü. der Beklagten hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sie wegen des Verlustes von vier bei ihr eingelieferten Paketen auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Dieses Schreiben konnte jedoch keine Verjährungshemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB mehr bewirken, weil die Beklagte bereits zuvor mit Schreiben vom 22.1.2004 eine Haftung für die in Rede stehenden Verluste abgelehnt hatte. Ein solches Verhalten rechtfertigt die Annahme, dass der spätere Anspruchsgegner, der schon vor Erhebung eines Schadensersatzanspruchs seine Haftung zurückgewiesen hat, sich auf ein Anspruchsschreiben hin nicht zu Verhandlungen bereit findet, die zu einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien führen (vgl. Ramming, TranspR 2002, 45, 52; wohl auch Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 439 HGB Rz. 44).

[21] c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei eine Hemmung der Verjährung nach § 203 BGB bejaht.

[22] aa) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die allgemeine, die Hemmung der Verjährung regelnde Vorschrift des § 203 BGB nicht durch § 439 Abs. 3 HGB verdrängt wird. Die Bestimmung des § 439 Abs. 3 HGB ist nicht lex specialis im Verhältnis zu § 203 BGB. Vielmehr stehen beide Vorschriften uneingeschränkt nebeneinander (vgl. Koller, a.a.O., § 439 HGB Rz. 31; ders., TranspR 2001, 425, 429; Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 439 Rz. 23; Heymann/Schlüter, HGB, 2. Aufl., § 439 Rz. 8; Grothe in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 203 Rz. 13; Staudinger/Peters, BGB [Bearb. 2004], § 203 Rz. 20; Ramming, TranspR 2002, 45, 52 f.; a.A. Harms, TranspR 2001, 294, 297; Drews, TranspR 2004, 340, 341 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 203 Rz. 1). Diese Annahme rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass die Anwendungsvoraussetzungen beider Vorschriften erhebliche Unterschiede aufweisen und § 439 Abs. 3 HGB nicht darauf abzielt, die allgemeinen Hemmungstatbestände einzugrenzen (vgl. Grothe in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 203 Rz. 13; Koller, TranspR 2001, 425, 429).

[23] Der Eintritt der Verjährungshemmung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB erfordert lediglich ein einseitiges Schadensersatzverlangen des Anspruchstellers. Demgegenüber knüpft § 203 BGB für die Hemmung der Verjährungsfrist an Verhandlungen zwischen den Parteien an. Damit erfordert die Anwendung des § 203 BGB - anders als § 439 Abs. 3 HGB - das Hervorrufen eines besonderen Vertrauens seitens des Schuldners beim Gläubiger (Koller, a.a.O., § 439 HGB Rz. 31; Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, § 439 HGB Rz. 34). Daher kann der Lauf der Verjährungsfrist gem. § 203 BGB - sofern dessen Voraussetzungen gegeben sind - selbst dann noch gehemmt werden, wenn andere Hemmungstatbestände, die auf dem gleichen Rechtsgedanken beruhen, vom Anwendungsbereich her zwar eröffnet sind, ihre Voraussetzungen aber nicht (mehr) bestehen (vgl. Grothe in MünchKomm/BGB, a.a.O., § 203 Rz. 13). Daraus ergibt sich, dass Verhandlungen nach formgerechter Zurückweisung eines Schadensersatzverlangens grundsätzlich erneut den Ablauf der Verjährungsfrist hemmen können (Koller, a.a.O., § 439 HGB Rz. 31; Ramming, TranspR 2002, 45, 53). Das erfordert allerdings eine hinreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs seitens des Gläubigers, damit der Schuldner - gerade wenn es sich dabei um einen Spediteur/Frachtführer handelt, der massenweise Paketsendungen befördert - den Anspruch zuordnen und prüfen kann, ob er die Forderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt zurückgewiesen hatte.

[24] Die parallele Anwendung von § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB und § 203 BGB führt auch nicht zu einer Umgehung der erstgenannten Bestimmung. Im Falle des § 203 BGB muss es zu Verhandlungen zwischen den Parteien kommen. Erforderlich ist also eine Mitwirkung des in Anspruch genommenen Frachtführers. Reagiert dieser auf ein erneutes Schadensersatzverlangen nicht oder weist er dieses nochmals zurück, so verbleibt es bei der Regelung des § 439 Abs. 3 Satz 2 HGB, wonach durch die erneute Erhebung des Anspruchs keine (weitere) Verjährungshemmung eintritt. Tritt der Schuldner dagegen nach einer vorangegangenen Zurückweisung der Ansprüche erneut in Verhandlungen ein, so hat er sich des Schutzes, den ihm § 439 Abs. 3 HGB grundsätzlich gewährt, selbst begeben. Dies steht nicht im Widerspruch zum Zweck des handelsrechtlichen Hemmungstatbestandes.

[25] bb) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend die Voraussetzungen für die Anwendung des § 203 BGB bejaht. Der Kläger hat der Beklagten in seinem Anspruchsschreiben vom 10.9.2004 ein Aktenzeichen, unter dem der Vorgang bei der Beklagten bearbeitet wurde, sowie vier Einlieferungsnummern und eine Kundenkennung mitgeteilt. Diese Angaben ermöglichten der Beklagten eine Zuordnung des Schadensersatzverlangens sowie die Prüfung, ob und mit welchem Ergebnis sie mit dem geltend gemachten Anspruch schon einmal befasst war. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 21.9.2004 in Verhandlungen über den vom Kläger erhobenen Schadensersatzanspruch eingetreten ist. Revisionsrechtlich ist schließlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Hemmung der Verjährungsfrist hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs, den der Kläger auf den Verlust der an seinen Kunden G. adressierten Sendung stützt, bis zum 15.11.2004 angenommen hat. Insoweit wird von der Revision auch nichts erinnert.

[26] 3. Die Zuerkennung des Zinsanspruchs lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen.

[27] III. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2030388

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge