Mahnbescheid hemmt Verjährung nur für individualisierte Ansprüche

Der BGH hat sich nach einem knappen Jahr zum zweiten Mal mit den Voraussetzungen der Hemmung der Verjährungsfrist durch Zustellung eines Mahnbescheides auseinandergesetzt und seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Nach beiden Entscheidungen ist Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung eines Mahnbescheids,
- dass aus dem Erkenntnishorizont des Empfängers erkennbar ist,
- aus welchem Sachverhalt und Rechtsgrund der Gläubiger seinen Anspruch herleitet.
- Die hierzu erforderlichen Angaben können auch nachträglich
- auch außerhalb des gerichtlichen Verfahrens gegenüber dem Schuldner erfolgen,
- sofern der geltend gemachte Anspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt ist.
Klagen auf Zahlung restlichen Werklohns und auf Schadenersatz
In dem älteren Verfahren hatte der BGH über die restliche Werklohnforderung eines Bauunternehmens gegen die Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 677.347,64 EUR nach Renovierung einer Kindertagesstätte zu entscheiden. Im aktuellen Fall ging es um Schadenersatz und Ersatz von Verfahrenskosten in Höhe von insgesamt ca. 67.000 EUR wegen mangelhafter Ingenieurleistungen.
Keine hinreichende Anspruchsindividualisierung im Mahnbescheid
In beiden Fällen wurden die Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist zum Zwecke der Verjährungshemmung per Mahnbescheid geltend gemacht. In beiden Fällen waren die geltend gemachten Ansprüche schon in den Mahnbescheidsanträgen nicht ausreichend individualisiert. Ebenfalls in beiden Fällen hatten die Anspruchsteller ihre Forderungen durch außergerichtliche Schreiben bzw. durch eine E-Mail näher erläutert und individualisiert.
Klageabweisung wegen Anspruchsverjährung
Die erstinstanzlich zuständigen Landgerichte hatten die Klage in beiden Fällen wegen Verjährung abgewiesen. Die hiergegen eingelegten Berufungen waren jeweils erfolglos. Die Instanzgerichte vertraten unter Hinweis auf die BGH-Rechtsprechung die Auffassung, dass die Mahnbescheide den gesetzlichen Individualisierungsanforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht gerecht geworden seien.
Vorinstanzen erkannten außergerichtliche Individualisierung nicht an
Die Mahnbescheide hatten nach Auffassung der Instanzgerichte nicht eindeutig erkennen lassen, aus welchem Sachverhalt bzw. Rechtsgrund die jeweiligen Forderungen geltend gemacht wurden. Außergerichtliche Mitteilungen an den Schuldner könnten diese Individualisierungsanforderungen nicht ersetzen. Die Individualisierung der Ansprüche habe im gerichtlichen Verfahren zu erfolgen. Die Mahnbescheide hätten deshalb die Verjährung nicht hemmen können.
Anspruchsindividualisierung nach BGH auch außergerichtlich möglich
In beiden Fällen hatten die beim BGH eingelegten Revisionen Erfolg. Die Auffassung der Instanzgerichte, die Individualisierung eines per Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs müsse in unverjährter Zeit per Schriftsatz bei Gericht geltend gemacht werden, findet nach der Entscheidung des BGH keinerlei Stütze im Gesetz. Entscheidend für die Individualisierung des Anspruchs sei allein, dass aus dem Erkenntnishorizont des Schuldners (BGH, Beschluss v. 25.4.2017, VIII ZR 217/16) dieser die mit Mahnbescheid geltend gemachte Forderung und das zugrundeliegende Rechtsverhältnis hinreichend klar erkennen kann (BGH, Beschluss v. 17. 6. 2020, VII 111/19). Ob die Individualisierung innerhalb des Gerichtsverfahrens oder außerhalb erfolge, sei unerheblich.
Nachholung der Individualisierung ist in unverjährter Zeit möglich
Dies gilt nach der Entscheidung des BGH auch in dem älteren Fall, in dem die Individualisierung des Anspruchs per E-Mail erst nach Zustellung des Mahnbescheides an den Schuldner erfolgte. Auf den Zeitpunkt der Individualisierung komme es nur insoweit an, als diese innerhalb unverjährter Zeit erfolgen müsse. Die Hemmung der Verjährung trete zwar gemäß § 304 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht rückwirkend ein, wirke aber ab dem Zeitpunkt der Vornahme der Individualisierung (BGH, Urteil v. 21.10.2008, IX 466/07).
Vorinstanzen müssen erneut entscheiden
In beiden Fällen hob der BGH die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Verfahren zum Zweck der weiteren Sachaufklärung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das jeweilige Berufungsgericht zurück.
(BGH, Urteil v. 7.6.2023, VII ZR 594/21 und Urteil v. 14.7.2022, VII ZR 255/21)
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