Gesetzestext

 

(1) Hat jemand durch besondere Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kundgegeben, dass er einen anderen bevollmächtigt habe, so ist dieser auf Grund der Kundgebung im ersteren Falle dem Dritten gegenüber, im letzteren Falle jedem Dritten gegenüber zur Vertretung befugt.

(2) Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird.

A. Dogmatische Grundlagen; Anwendungsbereich der §§ 171, 172.

 

Rn 1

Die §§ 171 ff sind Anwendungsfälle des allg Rechtsgrundsatzes, dass derjenige, der einem gutgläubigen Dritten ggü zurechenbar den Anschein der Bevollmächtigung eines anderen setzt, sich zum Schutz des Vertragsgegners und des Rechtsverkehrs so behandeln lassen muss, als habe er dem anderen wirksam Vollmacht erteilt. Sie setzen die Beteiligung eines Dritten voraus; Vertreter und Vertretener können sich dagegen im Verhältnis untereinander nicht auf den Gutglaubensschutz der §§ 171 ff berufen (BGH WM 12, 3424 Rz 13). Die §§ 171, 172 sind nur auf eine Innenvollmacht anwendbar (BeckOKBGB/Schäfer Rz 3). Da Anknüpfungspunkt für den Rechtsschein die Kundgabe der Vollmacht nach außen ist, finden die §§ 171, 172 anders als § 170 auch auf eine nichtige Vollmacht Anwendung (BGH WM 05, 1520, 1522; aA Hellgardt/Mayer 04, 2380, 2382; zur Heilung einer nach Art 1 § 1 RBerG iVm § 134 nichtigen Vollmacht s § 167 Rn 24). Auch wenn eine Vollmacht niemals erteilt wurde (str) oder nachträglich erloschen ist, finden die §§ 171 ff Anwendung (Staud/Schilken Rz 7). Das Gleiche gilt, wenn die Vollmachtskundgabe von dem tatsächlichen Umfang der Vollmacht abweicht (Staud/Schilken Rz 1). Zur Unanwendbarkeit der §§ 171 ff auf die Prozessvollmacht s § 167 Rn 38. I gilt iVm § 106 AktG für die Empfangsvollmacht gelisteter Aufsichtsratsmitglieder entspr (BGHZ 225, 222 Rz 64).

B. Tatbestandsvoraussetzungen des § 171.

I. Vollmachtskundgabe iSv § 171 I.

1. Rechtsnatur und Anfechtbarkeit.

 

Rn 2

Die Vollmachtskundgabe ist nach hM eine rein deklaratorische, rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf welche die Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 104 ff) entspr anzuwenden sind (Staud/Schilken Rz 2; aA Flume II § 51 9). Es muss ein adressatengerichteter Kundgabewille vorliegen (Bork Rz 1524) und der Kundgebende muss voll geschäftsfähig sein (BGH NJW 77, 622, 623 [BGH 12.10.1976 - VI ZR 172/75]). Die von einem nur beschränkt Geschäftsfähigen vorgenommene Vollmachtskundgabe ist ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nur wirksam, wenn der beschränkt Geschäftsfähige das Rechtsgeschäft gem § 107 selbst vornehmen konnte (BeckOKBGB/Schäfer Rz 6). Der Dritte muss von der Vollmachtskundgabe Kenntnis genommen haben; allein der Zugang der Mitteilung oder der Vollzug der öffentlichen Bekanntgabe genügen nicht. Die Kenntnisnahme wird aber vermutet, wenn die Mitteilung zugegangen oder die öffentliche Bekanntmachung erfolgt ist (MüKo/Schubert Rz 13). Nach hM kann die Kundgabeerklärung analog §§ 119 ff angefochten werden, weil sie ansonsten eine stärkere Bindungswirkung als eine wirksame Außenvollmacht (s § 167 Rn 48) hätte (Bork Rz 1525; Erman/Maier-Reimer/Finkenauer Rz 7; abw für die Unanfechtbarkeit der Rechtsscheinvollmacht bei öffentlicher Bekanntmachung Neuner § 50 Rz 74). Allerdings kann die Anfechtung nicht auf einen Irrtum über die aus § 171 resultierende Rechtsfolge der Vollmachtskundgabe (unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum) oder das Vorliegen einer Vollmacht (unbeachtlicher Motivirrtum) gestützt werden. Die Anfechtung der Vollmachtskundgabe hat zur Folge, dass der Vertreter nach § 179 und der Vollmachtgeber nach § 122 haften, s § 167 Rn 17.

2. Mitteilung an einen Dritten.

 

Rn 3

Eine Vollmachtskundgabe durch Mitteilung liegt vor, wenn jemand anderer als der Bevollmächtigte formlos von der Bevollmächtigung unterrichtet wird. Die Mitteilung kann auch durch schlüssiges Handeln (konkludent) erfolgen, wobei die Abgrenzung zur konkludenten Außenvollmacht schwierig sein kann (MüKo/Schubert Rz 4). Ein Vertrauenstatbestand wird nur gesetzt, wenn der Dritte zweifelsfrei auf die Person des Vertretenen und den Umfang der Vollmacht schließen kann (BeckOKBGB/Schäfer Rz 7). Die Mitteilung muss dem Geschäftsgegner spätestens bei Abschluss des Vertretergeschäfts kundgemacht worden sein (BGH WM 08, 1266 Rz 19).

3. Öffentliche Bekanntmachung.

 

Rn 4

Die Vollmacht wird öffentlich bekannt gemacht, wenn sie einer unbestimmten Vielzahl von Personen etwa durch eine Zeitungsanzeige, einen Aushang oder eine Eintragung im Handelsregister zugänglich gemacht wird (BGHZ 225, 198 Rz 71). Nicht unter § 171 fällt die Anmeldung zum Gewerberegister (Hamm NJW 85, 1846, 1847).

II. Gutgläubigkeit.

 

Rn 5

Derjenige, der sich auf die Richtigkeit der Vollmachtskundgabe beruft, muss gutgläubig sein (s § 173).

III. Das Erlöschen der Rechtsscheinvollmacht durch Widerruf (Abs 2).

 

Rn 6

Die Beseitigung der Vollmacht erfolgt gem II durch actus contrarius. Der Widerruf der Kundgabe muss möglichst in derselben Weise erfolgen wie die Vollmachtskundgabe, dh je nachdem wie die Vollmachtskundgabe erfolgt ist, durch Mitteilung oder öffentliche Bekanntmachung. Die Kundgabe und der Widerruf müssen jedoch nicht absolut gleichartig sein. Die schriftliche Kundgebung kann vielmehr auch mündlich und die öffentliche Bekanntmachung durch besondere Mitteilung an einzelne...

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