Gesetzestext

 

Die Vorschriften des § 170, des § 171 Abs. 2 und des § 172 Abs. 2 finden keine Anwendung, wenn der Dritte das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt oder kennen muss.

A. Normzweck und Anwendungsbereich.

 

Rn 1

Auf den Vertrauensschutz der §§ 170–173 kann sich nicht berufen, wer bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts den Mangel der Vollmacht kennt oder kennen muss. Entgegen seinem Wortlaut gilt § 173 nicht nur für das das Erlöschen der Vollmacht (§§ 171, II, 172 II). Ebenso ist § 173 anzuwenden, wenn eine Vollmacht überhaupt nicht bestanden hat (§§ 171 I, 172 I) oder nachträglich inhaltlich verändert, insb beschränkt wurde (BGH NJW 00, 2270, 2271 [BGH 02.05.2000 - XI ZR 108/99]; Staud/Schilken Rz 6 f).

B. Kenntnis und Kennenmüssen iSv § 173.

I. Kenntnis.

 

Rn 2

Kenntnis iSv § 173 meint positives Wissen um den Mangel der Vollmacht (Staud/Schilken Rz 2).

II. Kennenmüssen.

 

Rn 3

Kennenmüssen ist gem §§ 122 II, 276 als grob fahrlässige Unkenntnis zu verstehen, die vorliegt, wenn die Unkenntnis des Vertragspartners über den Mangel der Vollmacht auf einer Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht (BGH NJW 85, 730 [BGH 08.11.1984 - III ZR 132/83]; aA für Evidenzmaßstab Staud/Schilken Rz 2). Hiervon ist auszugehen, wenn für einen durchschnittlichen Teilnehmer am jeweiligen Geschäftsverkehr erkennbare Zweifel an der Vollmacht bestehen, die einen sorgfältigen Geschäftspartner zu Nachforschungen veranlassen würden (Neuner § 50 Rz 65). IRd §§ 170173 besteht jedoch keine allg Überprüfungs- und Nachforschungspflicht (BGHZ 167, 223 Rz 29; WM 06, 1060 Rz 27). Ferner kommt es für § 173 nicht nur auf die Kenntnis und das Kennenmüssen der den Mangel der Vertretungsmacht begründenden Umstände an, sondern auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Mangels selbst (BGH WM 08, 683 Rz 30). Erforderlich ist daher, dass der Vertragspartner aus den ihm bekannten Umständen den rechtlichen Schluss zieht, dass die Vollmacht nicht besteht. Dabei stellt die Rspr an eine Bank, die über rechtlich versierte Fachkräfte verfügt, strengere Sorgfaltsanforderungen, als an einen juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittsbürger (BGHZ 167, 223 Rz 29; WM 06, 1060 Rz 27). Dennoch kann einer Bank ebenso wenig wie einem Notar (BGHZ 145, 265, 275 ff) der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens gemacht werden, wenn ihr vor dem Bekanntwerden der hierzu im Jahr 2000 ergangenen Rspr verborgen geblieben ist, dass die ihr vorgelegte Vollmacht des Geschäftsbesorgers/Treuhänders zur Abwicklung eines Immobilienerwerbs iRe Steuersparmodells gegen Art 1 § 1 RBerG verstoßen und deshalb nichtig sein könnte (BGH WM 08, 683 Rz 28). § 173 greift jedoch bei Vorlage einer formunwirksamen (§ 167 II) unwiderruflichen Vollmacht zum Erwerb einer Immobilie ein (BGHZ 174, 344 Rz 18). Der Darlehensgeber durfte dagegen darauf vertrauen, dass eine ihm 1986 vorgelegte notarielle Vollmacht nicht nach § 1 I HWiG aF widerruflich ist (BGHZ 144, 223, 230 f).

III. Maßgeblicher Zeitpunkt.

 

Rn 4

Nach hM muss der gute Glaube des Vertragspartners nicht nur bis zur Abgabe bzw bei der passiven Stellvertretung iSv § 164 III dem Zugang der Erklärung des Vertretenen (zur passiven Vertretung BGHZ 225, 198 Rz 74), sondern grds auch noch bei Vollendung des Rechtsgeschäfts vorliegen. Ausn bestehen jedoch analog §§ 878, 892 II und bei bedingten Geschäften (Neuner § 50 Rz 66; aA Staud/Schilken Rz 8; MüKo/Schubert Rz 7 ff). Hierfür sprechen der Wortlaut des § 173 und der Umstand, dass der Dritte vor dem Abschluss des Vertretergeschäfts nicht schutzwürdig ist.

C. Beweislast.

 

Rn 5

Die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Dritten trifft den Vertretenen (BeckOKBGB/Schäfer Rz 8).

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