Gesetzestext

 

1Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. 2Die Anordnung hat auf den Lauf der in § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.

 

Rn 1

Das Ruhen ist ein Unterfall der Aussetzung (vgl vor §§ 239 ff Rn 9, 10). Die Vorschrift gilt für das Erkenntnisverfahren (vgl im Einzelnen: vor §§ 239 ff Rn 1) und entsprechend in den ›echten Streitverfahren‹ der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zweibr NJW-RR 12, 1245 – nicht bei Löschung einer Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit). Sie ist nicht anwendbar im Insolvenzverfahren (BGH ZIP 10, 856) und bei beschleunigungsbedürftigen Verfahren, wie beim selbstständigen Beweisverfahren oder im Arrest- bzw Einstweiligen Verfügungsverfahren (Anders/Gehle/Becker ZPO § 251 Rz 5; aA Ddorf NJW-RR 09, 496 [OLG Düsseldorf 29.07.2008 - I-21 W 19/08]). § 251 findet über § 173 S 1 VwGO auch im Verwaltungsprozess Anwendung, wobei hier die Zustimmung der notwendigen Beigeladenen nicht erforderlich ist (OVG Lüneburg BeckRS 12, 46275). Die Vorschrift ist auch in SGG-Verfahren anwendbar (BSG 1977, 864) und in finanzgerichtlichen Verfahren, § 155 FGO (Anders/Gehle/Becker ZPO § 251 Rz 5). Das Ruhen hat grds dieselben Wirkungen wie die Aussetzung, dh es gelten grds die Abs 1 und 2 des § 249 (vgl Erläuterungen zu § 249). Nach S 2 besteht lediglich die Besonderheit, dass die Fristen des § 233 – das sind insb Notfristen iSd § 224 I 2 und die Rechtsmittelbegründungsfristen nach §§ 520 II 1, 551 II 1 (BGH NJW-RR 10, 275 [BGH 10.11.2009 - XI ZB 15/09]) – weiterlaufen; diese Fristen unterliegen nicht der Disposition der Parteien (vgl BGH NJW 09, 1149 [BGH 12.02.2009 - VII ZB 76/07] – Berufungsbegründungsfrist beim Mediationsverfahren).

 

Rn 2

Die Vorschrift setzt voraus, dass beide Parteien das Ruhen beantragen (BFH/NV 10, 908 [BFH 30.11.2009 - I B 171/09]; BeckRS 12, 95797; zum Parteienbegriff vgl § 239 Rn 5–8), und zwar schriftsätzlich, elektronisch (§§ 130a–130d), in der mündlichen Verhandlung oder im amtsgerichtlichen Verfahren auch zu Protokoll der Geschäftsstelle nach § 496 (Anders/Gehle/Becker ZPO § 251 Rz 7). Für den Antrag auf Ruhen des Verfahrens gilt Anwaltszwang nach § 78; der Antrag einer Partei reicht aus, wenn die andere Partei zustimmt; die Zustimmung muss nicht gegenüber dem Gericht erklärt werden (BGH BeckRS 22, 3230 und 3224 Rz 5; ThoPu/Hüßtege § 251 Rz 2). In gesetzlich geregelten Einzelfällen (zB §§ 251a III, 278 IV, 278a II) wird das Ruhen auch vAw angeordnet. Der Antrag iSv § 251 enthält nicht zugleich den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (BGH NJW-RR 10, 275 [BGH 10.11.2009 - XI ZB 15/09]; BeckRS 12, 22980). Übersieht der ProzBev die Regelung des § 251 S 2, kommt auch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist grds nicht in Betracht (BGH BeckRS 12, 22980). Stimmen die Parteien trotz entsprechender Anfrage des Gerichts dem Ruhen nicht zu, ist das Verfahren auch bei Zweckmäßigkeit des Ruhens (vgl Rn 3) vom Gericht weiter zu fördern; mangelnde Förderung kann für die Entscheidung nach § 198 GVG bedeutsam sein (BFH/NV 14, 1393 [BFH 09.04.2014 - X K 10/13]; SteuK 14, 461). Waren für die fehlende Zustimmung keine Gründe erkennbar, wird uU keine Entschädigung nach § 198 GVG gewährt, eventuell aber eine Feststellung iSv § 198 IV 1 GVG getroffen (BFH/NV 16, 758 [BFH 02.12.2015 - X K 4/14]).

 

Rn 3

Das Ruhen des Verfahrens wird durch das Gericht nur dann angeordnet, wenn es zweckmäßig ist. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der voll überprüfbar ist (OVG Bln/Bbg NVwZ-RR 11, 624; Lüneburg DVBl 11, 649). Dabei hat das Gericht im Zivilprozess abzuwägen zwischen der Dispositionsmaxime einerseits und der Prozessförderung bzw Prozesswirtschaftlichkeit andererseits (Anders/Gehle/Becker ZPO § 251 Rz 1). Das Gesetz nennt beispielhaft schwebende Vergleichsverhandlungen; in diesem Fall kann uU das Ruhen des Verfahrens auf Antrag auch angeordnet werden, wenn die Sache entscheidungsreif ist; das folgt aus § 278 I (BGH MDR 20, 282 = WuM 20, 164). Dagegen hat der BFH (ZSteu 09, R 1021, 2. Senat; BFH/NV 09, 1633, 4. Senat; vgl auch FG Düsseldorf EFG 10, 428 – Anhörungsrüge) bei Unzulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde die Anordnung des Ruhens des Verfahrens abgelehnt. Diese Zweckmäßigkeitserwägungen in der Finanzgerichtsbarkeit sind jedenfalls auf die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht ohne weiteres zu übertragen, weil insoweit wegen der Dispositionsmaxime eine andere Wertung gilt. Ist eine streitentscheidende Norm Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens, ist die Zweckmäßigkeit zu bejahen (BFH FamRZ 14, 1367). Beantragen beide Parteien einvernehmlich wegen ernsthaft beabsichtigter Vergleichsgespräche die Verlegung des Verkündungstermins, ist idR ein erheblicher Grund iSd § 227 I gegeben; das Gericht muss den Parteien zumindest auch Gelegenheit geben,...

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