Gesetzestext
(1) 1Vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten müssen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. 2Ist in einem Land auf Grund des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz ein oberstes Landesgericht errichtet, so müssen sich die Parteien vor diesem ebenfalls durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. 3Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Parteien durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen.
(2) Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich als Beteiligte für die Nichtzulassungsbeschwerde durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
(3) Diese Vorschriften sind auf das Verfahren vor einem beauftragten oder ersuchten Richter sowie auf Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können, nicht anzuwenden.
(4) Ein Rechtsanwalt, der nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
A. Allgemeines.
Rn 1
Die Vorschrift regelt, vor welchen Gerichten Anwaltszwang besteht und welche Personen sich in einem gerichtlichen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Soweit diese Verpflichtung besteht, spricht das Gesetz von einem Anwaltsprozess (Gegenbegriff: Parteiprozess, § 79). Die Vorschrift dient zum einen dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege (BGH FamRZ 87, 58; BVerwG NJW 05, 3018). Denn durch die Einschaltung von Rechtsanwälten soll der Prozessstoff in rechtlicher Hinsicht aufbereitet und dadurch die Effektivität der mündlichen Verhandlung und der Verfahrensdurchführung gesichert, der Streit versachlicht und Chancengleichheit hergestellt werden. Zum anderen dient die Vorschrift dem Schutz der Prozessparteien, da ihr Begehren schon vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens einer kritischen, an rechtlichen Maßstäben orientierten Prüfung unterzogen wird und die Partei Hilfestellung bei der Einhaltung der Verfahrensvorschriften erhält (Zö/Althammer § 78 Rz 5; MüKoZPO/Toussaint § 78 Rz 3; Anders/Gehle/Weber ZPO § 78 Rz 3). Die Vorschriften über den Anwaltszwang sind verfassungsgemäß (BVerfG NJW 93, 3192; NJW 17, 2670 Rz 12; BGH NJW 90, 3085 [BGH 07.06.1990 - III ZR 142/89]; 06, 966), auch die Regelung zur Singularzulassung beim BGH (BVerfG NJW 02, 3765 [BVerfG 31.10.2002 - 1 BvR 819/02]; 17, 2670 [BVerfG 13.06.2017 - 1 BvR 1370/16] Rz 12; BGH GRUR-RR 20, 509 Rz 12), die auch gemeinschaftsrechtlich zulässig ist (BGH Beschl v 16.6.11 – IX ZB 166/11). Ebenso wenig verstoßen die Regelungen gegen Art 6 EMRK (EGMR, NJW 108, 2317 Rz 130; BGH Beschl v 13.3.2018 – XI ZB 17/18 Rz 10). Die Anordnung des Anwaltszwanges ist zwingend, die Gerichte müssen sie vAw in jeder Verfahrenslage beachten (BGH NJW 92, 2706). Der Anwaltszwang in Familiensachen ist in § 114 FamFG geregelt.
B. Bedeutung des Anwaltszwangs.
Rn 2
Der Anwaltszwang hat zur Folge, dass nur der zugelassene Rechtsanwalt postulationsfähig ist und damit nur dieser wirksam Prozesshandlungen vornehmen kann. Fehlt die Postulationsfähigkeit zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung, fehlt es an einer Prozesshandlungsvoraussetzung (BGH NJW 80, 2317, 2318 [OLG Düsseldorf 12.06.1980 - 6 UF 177/79]; 05, 3773, 3774 [BGH 11.10.2005 - XI ZR 398/04]) mit der Folge, dass diese unwirksam ist. Eine Klage ist unzulässig, wenn diese von einer nicht postulationsfähigen Person erhoben wurde (BGH NJW 84, 1559). Unschädlich ist, wenn die Postulationsfähigkeit nach der Vornahme der Handlung entfällt, bspw sie zwar noch gegeben war, als die Rechtsmittelschrift auf den Weg zu Gericht gebracht wurde (= Einreichung), sie aber zum Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht fehlte (BGH NJW 90, 1305). Soweit der Anwaltszwang reicht, kann die Partei Prozesshandlungen selbst nicht wirksam vornehmen. Die Prozesshandlungen der Parteien können allerdings durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten genehmigt und damit geheilt werden, wofür eine Bezugnahme auf die unwirksame Handlung idR genügt. Dies gilt auch für die Klagerhebung (BGH NJW 90, 3085). Allerdings hat die Genehmigung keine Rückwirkung (BGH NJW 84, 1559; FamRZ 93, 695) und setzt deshalb bei fristgebundenen Handlungen eine Genehmigung innerhalb der Frist voraus (BGH NJW 90, 3085, 3086; 06, 2779 [BGH 29.06.2006 - IX ZR 176/04]). Die Partei kann aber neben dem Anwalt an der mündlichen Verhandlung teilnehmen und selbst das Wort ergreifen (§ 137 IV), Geständnisse und sonstige tatsächliche Erklärungen abgeben (BGHZ 8, 235, 237; Musielak/Voit/Weth § 78 Rz 5; aA Zö/Greger § 288 Rz 3c), Geständnisse und Erklärungen des Prozessbevollmächtigten widerrufen oder berichtigen (§ 85 I 2). Sie ist außerdem im Gütetermin zu hören (§ 278 II 3). Eine Heilun...