Leitsatz (amtlich)

a) Der Antrag, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, enthält nicht zugleich einen Antrag auf Verlängerung einer laufenden Berufungsbegründungsfrist.

b) Ist die Berufung unzulässig, weil die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt ist, so darf im Berufungsverfahren ein Anerkenntnisurteil jedenfalls dann nicht ergehen, wenn das Anerkenntnis nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist erklärt worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 251 S. 2, § 520 Abs. 2 S. 2, § 307

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Beschluss vom 12.03.2009; Aktenzeichen 17 U 169/07 (08))

LG Mannheim (Urteil vom 21.08.2007; Aktenzeichen 9 O 429/06)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 12.3.2009 wird als unzulässig verworfen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 20.135,96 EUR.

 

Gründe

I.

[1] Die Parteien streiten um die von den Klägern begehrte Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Fondsbeteiligung gewährten Darlehens.

[2] Gegen das Urteil des LG, mit dem die Klage abgewiesen worden ist, haben die Kläger, denen dieses Urteil am 29.8.2007 zugestellt worden ist, am 26.9.2007 Berufung eingelegt. Auf Antrag der Kläger und mit Zustimmung der Beklagten hat das Berufungsgericht am 10.10.2007 nach § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In dem Beschluss ist ausdrücklich auf "§ 251 Satz 2 ZPO" hingewiesen worden.

[3] Mit Schriftsatz vom 4.12.2008 haben die Kläger die Berufung begründet. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15.1.2009 Teilanerkenntnis erklärt und im Übrigen die Zurückweisung der Berufung beantragt. In Höhe des nicht anerkannten Teils haben die Kläger unter dem 27.1.2009 die Klage zurückgenommen. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19.2.2009 das Teilanerkenntnis widerrufen, die Ansicht vertreten, das Anerkenntnis sei wirkungslos, und die Verwerfung der Berufung beantragt.

[4] Nach entsprechendem Hinweis hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 12.3.2009 die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei von den Klägern nicht innerhalb der bis zum 29.10.2007 laufenden Frist begründet worden. Nach §§ 251 Satz 2, 233 ZPO habe die Anordnung des Ruhens des Verfahrens den Lauf der Begründungsfrist nicht beeinflusst. Entgegen der Auffassung der Kläger enthalte deren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens vom 9.10.2007 keinen stillschweigenden Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dafür liefere der Wortlaut des Antrags keinen Anhalt. Zudem sei nicht erkennbar, dass der wirkliche Wille der Kläger damals dahin gegangen sei, auch eine Verlängerung der Begründungsfrist zu beantragen. Die Unzulässigkeit der Berufung schließe den Erlass eines Anerkenntnisurteils aus. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass einer Entscheidung im Rechtsmittelverfahren zwingend die Prüfung der Rechtsmittelvoraussetzungen vorauszugehen habe.

II.

[5] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des BGH weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) noch zur Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) erforderlich.

[6] 1. Der Beschluss des Berufungsgerichts geht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten und deswegen die Berufung der Beklagten unzulässig ist. Das Berufungsgericht hat dabei entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht weder die für die Auslegung von Prozesserklärungen geltenden Regeln missachtet, noch das Recht der Kläger auf effektiven Rechtsschutz oder auf rechtliches Gehör (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG NJW 2003, 281) verletzt.

[7] a) Die Berufung der Kläger ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der in § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Frist begründet worden ist. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat den Lauf dieser Frist nach §§ 251 Satz 2, 233 ZPO nicht beeinflusst.

[8] b) Der Verwerfung der Berufung steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht nicht über eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entschieden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 3.2.1988 - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581; v. 5.4.2001 - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931). Das Berufungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger keinen solchen Antrag gestellt haben. Insbesondere ist deren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung auszulegen.

[9] aa) Bei Auslegung einer Prozesserklärung darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1999 - XII ZR 94/98, NJW-RR 2000, 1446; v. 17.5.2000 - VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512, 1514; v. 16.9.2008 - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751, Tz. 11; Beschlüsse v. 30.4.2003 - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388; v. 2.7.2004 - V ZR 290/03, NJW-RR 2005, 371, 372; v. 24.3.2009 - VI ZB 89/08, MDR 2009, 760). Dabei bestimmen allerdings, was die Rechtsbeschwerde übersieht, nicht allein die tatsächlichen Interessen der erklärenden Partei das Verständnis der abgegebenen Erklärung. Vielmehr müssen sich diese aus den im Zeitpunkt der Erklärung äußerlich in Erscheinung tretenden Umständen ersehen lassen. Maßgebend ist unter Beachtung der durch die gewählte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen der objektiv zum Ausdruck kommende Wille des Erklärenden (BGH, Beschl. v. 15.3.2006 - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862, Tz. 13; v. 30.5.2007 - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640, Tz. 26; v. 24.3.2009 - VI ZB 89/08, MDR 2009, 760).

[10] bb) Nach diesen Grundsätzen eröffnet, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bereits der Wortlaut des Antrags der Kläger keinen Raum für eine Auslegung als doppelte Prozesserklärung, die sowohl auf die Anordnung des Ruhens des Verfahrens als auch auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gerichtet ist. Weder der Antrag noch die Mitteilung der Zustimmung der Klägerseite weisen irgendeinen Bezug auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf.

[11] Zudem war auch aus den sonstigen Umständen weder für das Berufungsgericht noch für die Beklagte erkennbar, dass die Kläger mit ihrem Schriftsatz vom 9.10.2007 nicht nur das Ruhen des Verfahrens, sondern zudem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrten. Zu diesem Zeitpunkt konnte nämlich die am 29.10.2007 ablaufende Frist für die Berufungsbegründung, worauf die Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist, ohne Schwierigkeiten noch eingehalten werden. Es mag zwar damals ein Interesse der Kläger bestanden haben, aus Kostengründen zunächst von einer Begründung der Berufung abzusehen. Dies hat jedoch weder in dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 9.10.2007 noch in sonstigen Äußerungen einen Niederschlag gefunden.

[12] cc) Das Berufungsgericht befindet sich damit - worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung ebenfalls zutreffend hinweist - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH, so dass auch aus diesem Grund die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. In der Rechtsprechung des BGH wird ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens für sich genommen nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für eine Berufung aufgefasst (vgl. Beschl. v. 28.9.2000 - V ZB 35/00, NJW-RR 2001, 572; zustimmend MünchKomm/ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 251 Rz. 16; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., § 251 Rz. 5; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 251 Rz. 9). Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht, das bei seiner Würdigung auch die Umstände des vorliegenden Falles bedacht hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

[13] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts, trotz eines Teilanerkenntnisses durch die Beklagte die Berufung der Kläger insgesamt als unzulässig zu verwerfen, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft.

[14] Das Berufungsgericht ist vielmehr der Rechtsprechung des BGH gefolgt, nach der im Rechtsmittelverfahren ein Anerkenntnisurteil nicht ergehen darf, wenn das Rechtsmittel unzulässig ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1993 - IX ZR 51/93, WM 1994, 608, 609). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage ist jedenfalls für den hier entscheidungserheblichen Fall eines Anerkenntnisses nach Eintritt der Unzulässigkeit des Rechtsmittels geklärt.

[15] Mit einem Anerkenntnis kann der Beklagte zwar über den sachlich-rechtlichen Anspruch disponieren, so dass es dem Gericht verwehrt ist, den ihm ursprünglich vorgelegten Streitstoff zu überprüfen (vgl. BGHZ 10, 333, 335; BGH, Urt. v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414). Die Parteien können jedoch grundsätzlich nicht über Prozess- und Rechtsmittelvoraussetzungen verfügen, so dass diese auch im Falle eines Anerkenntnisses vom Gericht zu prüfen sind (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1993 - IX ZR 51/93, WM 1994, 608, 609; v. 30.3.2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414). Die Literatur teilt ganz überwiegend diesen Standpunkt der Rechtsprechung (Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 307 Rz. 48; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 307 Rz. 4; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 307 Rz. 10; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 307 Rz. 19; a.A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 131 Rz. 55).

[16] Das Reichsgericht äußert sich - anders als die Rechtsbeschwerde meint - in einer älteren Entscheidung (RGZ 165, 85 ff.), die ein Verzichtsurteil betrifft, nicht zu dessen Erlass trotz Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Vielmehr war in dem vom Reichsgericht zu beurteilenden Sachverhalt die Berufung bei Erklärung eines teilweisen Verzichts zulässig, so dass sich das Reichsgericht (RGZ 165, 85, 86 ff.) mit der - für die vorliegende Rechtsbeschwerde bedeutungslosen - Frage zu befassen hatte, ob die Berufung nachträglich unzulässig wird, wenn der nach Erklärung eines Teilverzichts verbleibende Streitwert die Berufungssumme nicht mehr erreicht.

[17] Das Teilanerkenntnis der Beklagten enthob damit das Berufungsgericht nicht der Notwendigkeit, alle prozessualen Urteilsvoraussetzungen zu prüfen. Die im Zeitpunkt der Erklärung des Anerkenntnisses bereits beistehende Unzulässigkeit der Berufung stand dem Erlass eines Anerkenntnisurteils entgegen.

[18] 3. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist zum einen im Berufungsverfahren nicht beantragt worden und kommt - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nach § 233 ZPO zudem sachlich nicht in Betracht, da die Versäumung der Begründungsfrist auf einem schuldhaften Versehen der Prozessbevollmächtigten der Kläger beruht (§ 85 Abs. 2 ZPO). Diese haben ersichtlich die Regelung des § 251 Satz 2 ZPO übersehen, obwohl das Berufungsgericht darauf in seinem Beschluss vom 10.10.2007 ausdrücklich hingewiesen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2269135

EBE/BGH 2009

FamRZ 2010, 206

NJW-RR 2010, 275

MDR 2010, 164

Mitt. 2010, 94

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