Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit der Anhörung der sorgeberechtigten Elternteile vor Erlass einer einstweiligen Anordnung über die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung eines minderjährigen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einstweiligen Anordnungen über die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung eines Minderjährigen nach dem FamFG ist vor Erlass derselben immer, auch bei Gefahr im Verzug, die persönliche, das heißt mündliche Anhörung der sorgeberechtigten Elternteile erforderlich.

 

Normenkette

BGB § 1361b; FamFG § 167

 

Verfahrensgang

AG Merseburg (Beschluss vom 01.12.2009; Aktenzeichen 2 F 458/09)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des AG - Familiengerichts - Merseburg vom 1.12.2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden - von der Beteiligten zu 3 abgesehen - nicht erstattet.

Der Beschwerdewert beträgt 1.500 EUR.

 

Gründe

I. Das betroffene Kind (Beteiligte zu 1) wird am 24.12.2009 volljährig.

Am 30.11.2009 wurde das Kind vom Notarzt in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des C. - Klinikums GmbH in M. eingeliefert. Das Kind hatte sich in Hausschuhen zur Polizei begeben, um Strafanzeige wegen Diebstahls seiner persönlichen Sachen zu erstatten. Auf Grund seines verwirrten Zustands hatte die Polizei den Notarzt alarmiert. Das Kind will nicht in der Klinik bleiben.

Vor diesem Hintergrund hat die allein sorgeberechtigte Kindesmutter - der Kindesvater ist verstorben - beim Familiengericht noch am 30.11.2009 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - Genehmigung der vorläufigen Unterbringung ihres Kindes (§ 1631b BGB) - eingereicht (§§ 151 Nr. 6, 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 312 Nr. 1, 331 Nr. 1 FamFG). Außerdem wurde dem Familiengericht unter dem 30.11.2009 ein ärztliches Zeugnis des Chefarztes der besagten Klinik vorgelegt (167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6, § 331 Nr. 2 FamFG). Ergänzend hat das Familiengericht am 1.12.2009 die behandelnde Klinikpsychologin D. angehört. An diesem Tag wurde auch das betroffene Kind persönlich angehört (§ 159 Abs. 1 Satz 1, § 167 Abs. 1 Satz 1, § 331 Nr. 4 FamFG).

Noch am 1.12.2009 hat das Familiengericht die angefochtene einstweilige Anordnung erlassen (§ 167 Abs. 1 Satz 1, § 331 Nr. 1 FamFG), mit der die vorläufige Unterbringung des betroffenen Kindes in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 23.12.2009 - d.h. bis zur Volljährigkeit - genehmigt (§ 1631b BGB) und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet worden ist (§ 167 Abs. 1 Satz 1, § 324 Abs. 2 FamFG). In demselben Beschluss hat das Familiengericht die Beteiligte zu 3 zum Verfahrensbeistand des Kindes bestellt (§ 158, 167 Abs. 1, § 317 FamFG), deren Anhörung soll unverzüglich nachgeholt werden.

II. 1. Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 63 Abs. 2, § 64 FamFG) der Beteiligten zu 3 (§ 167 Abs. 1 Satz 1, § 335 Abs. 2 FamFG) ist begründet, weil das Verfahren des Familiengerichts an einem wesentlichen Mangel leidet, zur Entscheidung zu aufwendige Ermittlungen des Senats notwendig wären und die Beteiligte zu 3 eine Aufhebung und Zurückverweisung beantragt hat (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG):

a) Das Familiengericht durfte zwar wegen Gefahr im Verzug von der Anhörung des Verfahrensbeistands absehen, um diese Verfahrenshandlung unverzüglich nachzuholen (§ 167 Abs. 1, § 332 FamFG). Entsprechendes gilt hinsichtlich der unterbliebenen Anhörung des Jugendamts (§ 162 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Denn das Familiengericht hat diese Verfahrensweise begründet, und zwar damit, dass die begonnene Diagnostik und Behandlung zum Schutz des Kindeswohls nicht unterbrochen werden solle.

b) Das Familiengericht hatte aber auf jeden Fall die allein sorgeberechtigte Kindesmutter - "persönlich" - anzuhören (§ 167 Abs. 4 FamFG). Mit der "persönlichen" Anhörung ist eine mündliche Anhörung gemeint, damit sich das Gericht auch einen "persönlichen" Eindruck von dem sorgeberechtigten Elternteil verschaffen kann (so schon Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 50a Rz. 12 m.w.N.; ferner Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 167 Rz. 27). Dass sich die sorgeberechtigte Kindesmutter bereits mit der Begründung ihres Antrags nach § 1631b BGB schriftlich in das Verfahren eingebracht hat, genügt also nicht.

Die nach bisherigem Recht bestehende Ausnahmeregelung, nach der in einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 1631b BGB aus schwerwiegenden Gründen, insbesondere bei Gefahr im Verzug, von der persönlichen Anhörung sorgeberechtigter Elternteile abgesehen werden durfte und diese Verfahrenshandlung im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung nachgeholt werden konnte (vgl. § 50a Abs. 3 FGG einerseits und § 70d Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 70h Abs. 1 Satz 3 FGG andererseits), wurde im FamFG ersatzlos gestrichen. Denn die für die Unterbringung Minderjähriger maßgebende Vorschrift zu § 167 Abs. 4 FamFG ist lex specialis ggü. den - über § 167 Abs. 1 Satz 1 FamFG entsprechend anwendbaren - Bestimmung...

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