Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbeschwerde. Fahrverbot. Fahrverbotsdauer. Abkürzung. Geschwindigkeitsüberschreitung. Erkrankung. Angehöriger. Besorgungsfahrt. Unaufmerksamkeit. Schuldeinsicht. Härtefall. Existenzgrundlage. Arbeitsplatzverlust. Vollstreckungsaufschub. Voraussetzungen für Abkürzung der Regelfahrverbotsdauer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Verkürzung der Dauer des wegen eines groben Pflichtenverstoßes an sich verwirkten Regelfahrverbots gelten die gleichen Grundsätze wie für ein Absehen vom Regelfahrverbot (Festhaltung u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 18.03.2014 - 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332 = VM 2014, Nr 36 = ZfS 2014, 471 = OLGSt StVG § 25 Nr 57).

2. Es ist rechtsfehlerhaft, die Verkürzung der Dauer des an sich verwirkten Regelfahrverbots damit zu begründen, die Geschwindigkeitsüberschreitung sei aus "Unachtsamkeit" erfolgt (Festhaltung OLG Bamberg, Beschl. v. 27.01.2017 - 3 Ss OWi 50/17 [bei [...]]).

3. Stützt das Tatgericht seine Erwägungen zur Abkürzung der Dauer des Regelfahrverbots auf die Einlassung des Betroffenen, so stellt es einen sachlich-rechtlichen Fehler dar, wenn der Tatrichter die Richtigkeit dieser Einlassung nicht überprüft hat (Festhaltung u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 17.01.2017 - 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233 und v. 08.12.2015 - 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53, 192 = ZfS 2016, 290).

 

Normenkette

StVO §§ 24, 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c; BKatV § 4 Abs. 1; BKat Nr. 11.3.9; StVO § 25 Abs. 2a S. 1, §§ 26a, 49 Abs. 1 Nr. 3; BKatV § 4 Abs. 4

 

Tatbestand

Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 65 km/h (§§ 3 III Nr. 2c; 49 I Nr. 3 StVO) zu einer Geldbuße von 440 Euro verurteilt und - abweichend von Nr. 11.3.9 BKat, der ein Fahrverbot von zwei Monaten vorsieht - ein Fahrverbot lediglich für die Dauer eines Monats verhängt. Einen Ausspruch über den Vollstreckungsaufschub nach § 25 IIa StVG hat es nicht getroffen. Zur Begründung für die Abkürzung der Regelfahrverbotsdauer auf einen Monat hat das AG ausgeführt, dass der Betr. in der Hauptverhandlung "Schuldeinsicht" gezeigt habe, die Tat auf "Unaufmerksamkeit" des Betr. beruhe und er "Besorgungsfahrten für seinen herzkranken Vater" leiste. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten - Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das AG nicht ein (Regel-) Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt hat. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

 

Entscheidungsgründe

I. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, ist begründet.

1. Das AG hat zutreffend erkannt, dass gemäß §§ 24, 25 I 1 1. Alt., 26a StVG i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.9 der Tab. 1 zum BKat neben der Anordnung einer Geldbuße in Höhe von 440 Euro die Verhängung eines Regelfahrverbots für die Dauer von zwei Monaten wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht kam.

2. Allerdings hält die Begründung, mit der das AG abweichend von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot von zwei Monaten ein Fahrverbot für die Dauer lediglich eines Monats verhängt hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 I BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 I 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGHSt 38, 125; 231; BayObLG VRS 104, 437/438; stRspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284; OLG Zweibrücken DAR 2003, 531; KG NZV 2002, 47). Hierzu zählt jedoch nicht nur die Frage, ob gegen einen Betr. ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 I 1 BKatV), sondern auch - wie sich aus § 4 I 2 BKatV ergibt - die "in der Regel" festzusetzende Dauer des verwirkten Fahrverbots (vgl. nur OLG Bamberg Beschl. v. 18.03.2014 - 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332 = VM 2014, Nr 36 = ZfS 2014, 471 = OLGSt StVG § 25 Nr. 57 m.w.N.).

b) Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betr. anzunehmen sind und deshalb der vom BKat erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einer Verkürzung der im BKat vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Abkürzung rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfert...

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