Rz. 1

Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.[1] Im Streitfall ist daher nicht die tatsächliche Kenntnisname durch den Empfänger zu beweisen, sondern lediglich die Möglichkeit der Kenntnisnahme gemäß den genannten Vorgaben der Rechtsprechung. Die Beweislast für den Zugang der Willenserklärung beim Empfänger trägt dabei nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der sich darauf beruft;[2] dies ist in der Regel der Erklärende.

 

Rz. 2

In Ausnahmefällen gewährt das Gesetz Beweiserleichterungen, indem es den Zugang beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen fingiert. So gilt eine Willenserklärung gemäß § 132 BGB als zugegangen, wenn sie durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers oder im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt worden ist. Sofern ein Versicherungsnehmer eine Änderung seiner Anschrift dem Versicherer nicht mitgeteilt hat, genügt gemäß § 13 VVG für den Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen die Versendung durch einen eingeschriebenen Brief an die letzte dem Versicherer bekannte Anschrift des Versicherungsnehmers.

 

Rz. 3

Von der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung werden hinsichtlich des Zugangs von Willenserklärungen keine Beweiserleichterungen eingeräumt.[3] So besteht für Postsendungen kein Anscheinsbeweis, dass sie zugegangen sind.[4] Dies gilt auch für Standard-Einschreibesendungen,[5] Faxsendungen[6] oder E-Mails.[7] Auch der "OK-Vermerk" eines Sendeberichtes von Faxübermittlungen ist nach ständiger Rechtsprechung zwar kein Anscheinsbeweis, wohl aber bestätigt dieser Vermerk das Zustandekommen einer Verbindung mit der in der Faxbestätigung genannten Nummer.[8] Daher hat der Empfänger in einem Prozess im Rahmen seiner sekundären Beweislast sich unter anderem darüber zu äußern, welches Gerät er betreibt, ob die Verbindung im Speicher enthalten ist und ob ein Journal geführt wird, das ggf. vorzulegen ist etc.[9] Bei Einwurfeinschreiben nehmen die Untergerichte jedoch teilweise schon einen Zugang an, sofern der Briefkasteneinwurf ordnungsgemäß dokumentiert worden ist.[10] Davon unabhängig ist in solchen Fällen zu beachten, dass nicht nur der Zugang des Briefes zu beweisen ist, sondern dass der Brief auch einen bestimmten Inhalt hatte.[11]

 

Rz. 4

Angesichts dieser Beweislastverteilung ist es naheliegend, dass der Verwender mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen versucht, den ihm obliegenden Nachweis des Zugangs seiner Willensklärungen durch eine Zugangsfiktion zu erleichtern. Der Empfänger wird so dem Risiko ausgesetzt, dass durch den fingierten Zugang von Willenserklärungen für ihn nachteilige Rechtsfolgen ausgelöst werden können, von denen er keine Kenntnis hat. Andererseits besteht im modernen Wirtschaftsleben, insbesondere im Massengeschäft, das unverkennbare Bedürfnis, bei einer Vielzahl von Versendungen den organisatorischen und finanziellen Aufwand hierfür in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Dieser unterschiedlichen Interessenlage will § 308 Nr. 6 BGB Rechnung tragen. Nach dieser Norm sind lediglich Bestimmungen unwirksam, die vorsehen, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gilt. Für Erklärungen des Verwenders ohne besondere Bedeutung gilt dieses Verbot nicht; für sie sind Zugangsfiktionen grundsätzlich zulässig. § 308 Nr. 6 BGB stellt eine Ausnahme von § 309 Nr. 12a BGB dar, der ein umfassendes Verbot von Beweiserleichterungen in AGB-Klauseln statuiert. Im Rahmen von § 308 Nr. 6 BGB zulässige Zugangsfiktionen sind daher nicht nach § 309 Nr. 12a BGB unwirksam; sie werden lediglich daran gemessen, ob sie dem Angemessenheitsgebot des § 307 BGB entsprechen.

 

Rz. 5

§ 308 Nr. 6 BGB findet lediglich auf Zugangsfiktionen und Zugangsvermutungen Anwendung. Für Erklärungsfiktionen gilt § 308 Nr. 5 BGB, für sonstige Tatsachenfiktionen § 309 Nr. 12b BGB. Werden hingegen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Zugangserschwernisse durch besondere Zugangserfordernisse aufgestellt, welche von den gesetzlichen Vorschriften abweichen, ist § 309 Nr. 13 BGB einschlägig. § 308 Nr. 6 BGB stimmt mit dem außer Kraft getretenen § 10 Nr. 6 AGBG überein.

[2] OLG Saarbrücken NJW 2004, 2908.
[3] Vgl. UBH/Schmidt, § 308 Nr. 6 Rn 3.
[5] BGH NJW 1996, 2033.
[7] Ebenso Stoffels, AGB, Rn 659; der allerdings mit Mankowski, NJW 2004, 1897 Zugang annimmt, wenn Zugangs- und Lesebestätigungen vorgelegt werden können.
[8] BGH DB 2014, 594; BGH NJW-RR 2014, 179.

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