Verfahrensgang

LG Dresden (Urteil vom 27.02.1996; Aktenzeichen 15-S-0024/95)

 

Tenor

Das Urteil des Landgerichts Dresden vom 27. Februar 1996 – 15-S-0024/95 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit es die Klage des Beschwerdeführers auf Unterlassung der Mitbenutzung seines Grundstücks, Flurstück Nr. 35b der Gemarkung Niederwartha, abgewiesen hat. Es wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die analoge Anwendung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes in einem Nachbarrechtsstreit um ein Wegerecht gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot verstößt.

  • 1. Der Beschwerdeführer begehrte im Ausgangsverfahren von seinem Grundstücksnachbarn, dem Beklagten, unter anderem die Unterlassung der Mitbenutzung seines im Beitrittsgebiet belegenen Grundstücks. Der Beklagte hat auf seinem an eine öffentliche Straße grenzenden Grundstück frühestens 1979 eine Garage errichtet, die allein über eine Zufahrt auf dem Grundstück des Beschwerdeführers zu erreichen ist. Das Kreisgericht hat der Klage des Beschwerdeführers stattgegeben, weil dem Beklagten mangels der nach § 321 Abs. 1 Satz 3 des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: Zivilgesetzbuch – ZGB) erforderlichen schriftlichen Vereinbarung kein Mitbenutzungsrecht am Grundstück des Beschwerdeführers zustehe. Das Landgericht hat dagegen mit dem angegriffenen Urteil auf die Berufung des Beklagten die Klage insoweit abgewiesen:

    Es sei in analoger Anwendung der §§ 18 ff. des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (SchuldRAnpG) eine Art gesetzlicher Nutzungsberechtigung des Beklagten anzunehmen, die jedenfalls bis zum Ablauf des 31. Dezember 1999 nicht gekündigt werden könne (§ 23 Abs. 1 SchuldRAnpG). Die für eine Analogie notwendige Regelungslücke sei gegeben.

    Der Beklagte habe weder ein Mitbenutzungsrecht gemäß § 321 ZGB noch eine zwischen ihm und der Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers vor dem 1. Januar 1976 (dem Tag des Inkrafttretens des Zivilgesetzbuchs) getroffene Vereinbarung über ein Mitbenutzungsrecht, die nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik auch nach diesem Zeitpunkt weiterhin wirksam gewesen wäre (vgl. NJ 1989, S. 80), nachweisen können. Die Rechtsvorgängerin habe zwar der Mitbenutzung ihrer Zufahrt nicht widersprochen, sondern sie aus Gefälligkeit gebilligt. Dies sei aber ohne rechtsgeschäftlichen Bindungswillen geschehen. Dem Beklagten stehe auch kein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 BGB zu (unter Hinweis auf BGH, LM Nr. 11 zu § 917 BGB und NJW 1980, S. 585). Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) und das Schuldrechtsanpassungsgesetz seien ebenfalls nicht unmittelbar anwendbar, weil der Beklagte auf einem fremden Grundstück weder eine bauliche Erschließungsanlage im Verständnis des § 1 Abs. 1 Nr. 4 SachenRBerG noch ein Bauwerk im Sinne von § 1 SchuldRAnpG errichtet habe. Es bestehe jedoch eine Rechtsähnlichkeit mit den in den §§ 18 ff. SchuldRAnpG geregelten Sachverhalten, weil eine Garage zwar ohne dingliche Sicherung ihrer Nutzung, aber in einer das Eigentum eines anderen in Anspruch nehmenden Weise errichtet worden sei.

    2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.

    Die Rechtsanwendung des Landgerichts sei unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich, so daß sich der Schluß aufdränge, daß das angegriffene Urteil auf sachfremden Erwägungen beruhe. Das Schuldrechtsanpassungs- und das Sachenrechtsbereinigungsgesetz seien geschaffen worden, um das Recht der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an Grund und Boden in der Deutschen Demokratischen Republik, das sich von den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs weit entfernt gehabt habe, an die nach der Wiedervereinigung veränderten rechtlichen Verhältnisse anzupassen. Die für den vorliegenden Fall im Recht der Deutschen Demokratischen Republik vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten seien jedoch mit denen des Bürgerlichen Gesetzbuchs vergleichbar, so daß es hier einer Rechtsangleichung nicht bedürfe. Die Erwägungen des Landgerichts zum Vorliegen einer Regelungslücke seien offensichtlich sachfremd und dienten nur dazu, dem Beklagten ein unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehendes Recht dennoch zubilligen zu können. Das angegriffene Urteil verletze deshalb das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG.

    3. Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich das Sächsische Staatsministerium der Justiz geäußert. Es hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Landgericht habe nachvollziehbar dargelegt, daß eine Regelungslücke bestehe und der vorliegende Fall mit den in den §§ 18 ff. SchuldRAnpG geregelten Sachverhaltskonstellationen vergleichbar sei. Werde dem nicht gefolgt, stünde sich der Beschwerdeführer nicht zwingend besser, weil viel dafür spreche, daß dem Beklagten gemäß § 116 Abs. 1 SachenRBerG ein Anspruch auf Einräumung eines Mitbenutzungsrechts zustehe.

  • Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.

    1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Richterspruch willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13 f.≫).

    2. Gemessen daran kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Die entsprechende Anwendung der §§ 18 ff. SchuldRAnpG durch das Landgericht ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Einer Analogie dieser Vorschriften steht bereits der abschließende Charakter des Schuldrechtsanpassungsgesetzes entgegen. Zudem fehlt es an einer durch Analogie zu schließenden Regelungslücke.

    a) Der Gesetzgeber des Schuldrechtsanpassungsgesetzes fand nach der Wiedervereinigung eine Vielzahl unterschiedlicher, nach dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik begründeter Vertragsverhältnisse (Miet-, Pacht-, Überlassungs- und andere Nutzungsverträge) vor, die zum Gebrauch oder zur Nutzung eines fremden Grundstücks berechtigten. Sie waren unter den rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen einer sozialistischen Planwirtschaft begründet worden, also nicht das Ergebnis interessenwahrender Abreden gleichgeordneter und -berechtigter Vertragspartner, sondern letztlich staatlich veranlaßte oder gebilligte Nutzungszuweisungen. Diese Bodennutzungsverhältnisse fügten sich nicht in das im vereinigten Deutschland geltende System marktwirtschaftlicher Ordnung ein, dessen wesentliche Grundvoraussetzung das Recht der Beteiligten zur privatautonomen Gestaltung von Verträgen ist. Es bedurfte daher ihrer Überführung in BGB-konforme Rechtsformen, wobei ein Interessenausgleich zwischen den Nutzern und den Grundstückseigentümern vorzunehmen war (vgl. Vorblatt, A. Zielsetzung, und Begründung zum Regierungsentwurf eines Schuldrechtsänderungsgesetzes, BTDrucks 12/7135, S. 1, 26; Rövekamp, Schuldrechtsanpassung, RWS-Skript 274, 1995, S. 1, 13; Thiele/Krajewski/Röske, Schuldrechtsänderungsgesetz, 1995, S. 1 f.).

    Dies ist in § 1 Abs. 1 SchuldRAnpG für drei Gruppen vertraglicher Nutzung geschehen, für Nutzungsverträge mit dem Ziel der Nutzung für andere persönliche Zwecke als Wohnzwecke, zum Beispiel zur Errichtung einer Garage (Nummer 1), für Überlassungsverträge zu Wohn- oder gewerblichen Zwecken (Nummer 2) und für Miet-, Pacht- oder sonstige Nutzungsverträge, auf deren Grundlage von einem anderen als dem Grundstückseigentümer mit Billigung staatlicher Stellen ein Wohn- oder gewerblichen Zwecken dienendes Bauwerk errichtet worden ist (Nummer 3). Diese Regelung ist abschließend (vgl. BTDrucks 12/7135, S. 34; Rövekamp, a.a.O., S. 16; Kühnholz, in: Neues Schuld- und Sachenrecht im Beitrittsgebiet, 1997, § 1 SchuldRAnpG Rn. 2). Ihre Erstreckung auf den zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beklagten des Ausgangsverfahrens streitigen Sachverhalt stellt die Verhältnisse insofern auf den Kopf, als es in diesem Fall nicht darum geht,fremden Grund und Boden für die Nutzung eines darauf errichteten Bauwerks der genannten Art in Anspruch zu nehmen. Grund für die Inanspruchnahme ist vielmehr der – nach den Feststellungen des Landgerichts vertraglich nicht geregelte – Zugang zu der auf eigenem Grund und Boden errichteten Garage. Auf solche Fälle kann und will sich das Schuldrechtsanpassungsgesetz nach Wortlaut, Sinn und Zweck nicht beziehen. Von einer in diesem Gesetz verbliebenen Regelungslücke kann deshalb nicht ausgegangen werden.

    b) Auch im übrigen ist für eine derartige Lücke nichts ersichtlich.

    aa) Mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz sollten ebenfalls nur solche vom Gesetzgeber nach der Wiedervereinigung vorgefundenen Rechtsverhältnisse sozialverträglich in BGB-konforme Rechtsgestaltungen überführt werden, die durch die Rahmenbedingungen der sozialistischen Planwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik geprägt und dem Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs fremd waren. Während das Schuldrechtsanpassungsgesetz, wie dargelegt, der Überführungvertraglicher Nutzungsverhältnisse dient, sollen mit dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz DDR-spezifische dingliche Nutzungsverhältnisse und die aus der mit Billigung staatlicher Stellen erfolgten baulichen Nutzung fremder Grundstücke entstandenen Rechtsverhältnisse an das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs angepaßt werden (vgl. Vorblatt, A. Zielsetzung, und Begründung zum Regierungsentwurf eines Sachenrechtsänderungsgesetzes, BTDrucks 12/5992, S. 1, 50; s. auch Senatsbeschluß vom 8. April 1998 – 1 BvR 1680/93 u.a. –, WuM 1998, S. 539 ff.). Darunter fallen auch Rechtsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet, auf denen andere als der Grundstückseigentümer bauliche Erschließungs-, Entsorgungs- oder Versorgungsanlagen errichtet haben, die nicht durch ein mit Zustimmung des Grundstückseigentümers begründetes Mitbenutzungsrecht gesichert sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 SachenRBerG). Wegen der fehlenden rechtlichen Sicherung der Mitbenutzung solcher (fremden) Grundstücke räumt § 116 SachenRBerG dem Mitbenutzer einen Anspruch auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ein, die der Grundstückseigentümer allerdings unter den Voraussetzungen des § 117 SachenRBerG verweigern kann (vgl. BTDrucks 12/5992, S. 61, 65, 92, 98, 179).

    bb) Einer solchen Überführung in BGB-konforme Rechtsgestaltungen bedurfte es für die Mitbenutzungsrechte im Sinne der §§ 321, 322 ZGB nicht, weil diese inhaltlich weitgehend den Grunddienstbarkeiten nach den §§ 1018 ff. BGB oder den beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten im Sinne der §§ 1090 ff. BGB entsprachen (vgl. Joost in: Neues Schuld- und Sachenrecht im Beitrittsgebiet, 1997, Art. 233 § 5 EGBGB Rn. 1), die bis 1976 auch in der Deutschen Demokratischen Republik galten. Solche Mitbenutzungsrechte werden nach der Überleitungsvorschrift in Art. 233 § 5 Abs. 1 EGBGB als Rechte an dem belasteten Grundstück aufrechterhalten, soweit ihre Begründung der Zustimmung des Eigentümers dieses Grundstücks bedurfte.

    cc) Für Sachverhalte der hier vorliegenden, nach den Feststellungen des Landgerichts durch das Fehlen einer Vereinbarung gekennzeichneten Art bestand keine Veranlassung, im Gefolge der Wiedervereinigung besondere, sozialverträglich ausgestaltete Überleitungs- oder Überführungsvorschriften zu erlassen. Der Beklagte hat auf seinem eigenen Grundstück eine Garage errichtet, die er allein über die Zufahrt auf dem Grundstück des Beschwerdeführers erreichen kann. Diese Sachverhaltskonstellation beruht nicht auf den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik, sondern ist vielfach auch in den alten Bundesländern anzutreffen. Sie war, wie oben dargelegt, bis zum Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs in beiden Teilen Deutschlands übereinstimmend und danach inhaltlich im wesentlichen vergleichbar geregelt. Im Beitrittsgebiet gelten für diese Fälle seit der Wiedervereinigung wieder die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

    dd) Für die Annahme einer Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung von Vorschriften des Schuldrechtsanpassungsgesetzes zu schließen wäre, ist unter diesen Umständen entgegen der Beurteilung des Landgerichts kein Raum. Es werden dafür im angegriffenen Urteil auch keine sachlichen Gründe angeführt. Es drängt sich daher der Schluß auf, daß sich das Landgericht bei der von ihm vorgenommenen Analogie von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, um dem Beklagten ein Mitbenutzungsrecht zu verschaffen, daß ihm nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Gerichts eigentlich nicht zusteht. Damit erweist sich das landgerichtliche Urteil zum Nachteil des Beschwerdeführers als objektiv willkürlich.

    c) Das Urteil beruht auch auf der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei erneuter Befassung mit der Sache, die den vorstehenden Ausführungen Rechnung trägt, zu einem dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis kommt. Ob eine eventuell einfachrechtlich gebotene anderweitige Würdigung des Beweisergebnisses hinsichtlich der Frage, ob der Beklagte mit der Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers ein Mitbenutzungsrecht rechtsverbindlich und rechtswirksam vereinbart hat, den Urteilsspruch jedenfalls im Ergebnis rechtfertigen könnte, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen (vgl. BVerfGE 54, 117 ≪129≫).

    Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Grimm, Hömig

 

Fundstellen

Haufe-Index 1276236

VIZ 1999, 333

ZAP-Ost 1999, 102

ZfIR 1999, 752

NJ 1999, 195

NotBZ 1999, 77

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