Orientierungssatz

Dem GrS des BSG werden gemäß SGG § 43 folgende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit bedingte AU auch dann unterbrochen (RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1, wenn die Möglichkeit (Aussicht) zur erneuten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit aufgrund des objektiven Gesundheitszustandes des Versicherten besteht oder bestanden hat?

2. Bei der Verneinung der Frage 1):

Ist die - eine Unterbrechung iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 ausschließende - Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit bereits dann zu bejahen, wenn in vorausschauender Betrachtung bei Wegfall des Krankengeldes nicht nur nach dem Leistungsvermögen, sondern auch nach der - subjektiven - Leistungsbereitschaft des weiterhin arbeitsunfähigen Versicherten die Fortsetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erwartet werden kann, so daß selbst die spätere Wiederaufnahme einer Beschäftigung - infolge der vorausgegangenen "einstweiligen" Beendigung - eine Unterbrechung iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 ausschließen würde?

3. Ist die - eine Unterbrechung iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 ausschließende - Beendigung des Erwerbslebens unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Absichten des Versicherten erst bei objektiver EU zu bejahen?

4. Ist bei Wegfall der EU eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 möglich? Hängt dies davon ab, ob der Versicherte nach Wegfall der EU tatsächlich wieder versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig war? Ist in bezug auf das Ende der EU eine vorausschauende oder eine rückblickende Betrachtungsweise angezeigt?

5. Kommt dem Begriff der krankheitsbedingten AU als Voraussetzung einer Ausfallzeit iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 dieselbe Bedeutung wie in der KV zu (RVO § 182 Abs 1 Nr 2)?

6. Bei Verneinung der Frage 5):

Besteht AU iS des RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 grundsätzlich für denjenigen Zeitraum, für welchen der Versicherte Krankengeld bezogen hat, darüber hinaus aber nur für Zeiten, während welcher der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand ihm nach RVO § 1246 Abs 2 S 2 zumutbare Tätigkeiten oder sogar andere versicherungspflichtige, ihm unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (BGB § 242) zuzumutende Tätigkeiten nicht ausüben kann?

"Der Vorlagebeschluß wurde im Hinblick auf den Beschluß des 4. Senats des BSG vom 19.3.1981 - 4 S 2/80 - mit Beschluß vom 30.6.1981 aufgehoben."

 

Normenkette

RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, § 182 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Fassung: 1967-12-21, § 1246 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.02.1977; Aktenzeichen L 3 J 196/75)

SG Lübeck (Entscheidung vom 05.06.1975; Aktenzeichen S 3 J 268/74)

 

Tenor

Dem Großen Senat des Bundessozialgerichts werden gemäß § 43 des Sozialgerichtsgesetzes folgende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit auch dann unterbrochen (§ 1259 Abs 1 Nr 1 RVO), wenn die Möglichkeit (Aussicht) zur erneuten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit aufgrund des objektiven Gesundheitszustandes des Versicherten besteht oder bestanden hat?

2. Bei Verneinung der Frage 1):

Ist die - eine Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ausschließende - Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit bereits dann zu bejahen, wenn in vorausschauender Betrachtung bei Wegfall des Krankengeldes nicht nur nach dem Leistungsvermögen, sondern auch nach der - subjektiven - Leistungsbereitschaft des weiterhin arbeitsunfähigen Versicherten die Fortsetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erwartet werden kann, so daß selbst die spätere Wiederaufnahme einer Beschäftigung - infolge der vorausgegangenen "einstweiligen" Beendigung - eine Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ausschließen würde?

3. Ist die - eine Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ausschließende - Beendigung des Erwerbslebens unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Absichten des Versicherten erst bei objektiver Erwerbsunfähigkeit zu bejahen?

4. Ist bei Wegfall der Erwerbsunfähigkeit eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO möglich? Hängt dies davon ab, ob der Versicherte nach Wegfall der Erwerbsunfähigkeit tatsächlich wieder versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig war? Ist in Bezug auf das Ende der Erwerbsunfähigkeit eine vorausschauende oder eine rückblickende Betrachtungsweise angezeigt?

5. Kommt dem Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung einer Ausfallzeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO dieselbe Bedeutung wie in der Krankenversicherung zu (§ 182 Abs 1 Nr 2 RVO)?

6. Bei Verneinung der Frage 5):

Besteht Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO grundsätzlich für denjenigen Zeitraum, für welchen der Versicherte Krankengeld bezogen hat, darüber hinaus aber nur für Zeiten, während welcher der Versicherte nach seinem Gesundheitszustand ihm nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zumutbare Tätigkeiten oder sogar andere versicherungspflichtige, ihm unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zuzumutende Tätigkeiten nicht ausüben kann?

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten - ua - über die Anrechnung einer weiteren Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit (§ 1259 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) auf das dem Kläger gewährte Altersruhegeld.

Der ... 1908 geborene Kläger war von September 1954 bis Dezember 1957 zunächst als Tiefbauarbeiter und sodann als Hafenarbeiter mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Im Dezember 1957 erkrankte er an offener Lungentuberkulose und bezog deshalb vom 17. Dezember 1957 bis zur "Aussteuerung" am 16. Juni 1958 Krankengeld. Von der Beklagten erhielt er - ausgehend von einem im Dezember 1957 eingetretenen Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit - infolge der zunächst bewilligten Heilbehandlung vom 16. Dezember 1957 an Übergangsgeld und sodann ab 15. August 1958 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Diese wurde ihm wegen Ausheilung der Tuberkulose mit Ablauf des Monats Juli 1963 entzogen. Vom 2. Juli bis 15. August 1963 bezog der Kläger Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und war sodann vom 4. September 1963 an wieder versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Wirkung vom 1. Oktober 1973 das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Dabei rechnete sie den Monat Dezember 1957 als Beitragszeit an. Dagegen wurde die Zeit von Januar 1958 bis August 1963 nicht als Ausfallzeit berücksichtigt (Bescheid vom 28. Februar 1974).

Der -ua - hiergegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) statt (Urteil vom 5. Juni 1975). Die Berufung der Beklagten wurde vom Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen: Da der Kläger bis zu seiner "Krankschreibung" am 17. Dezember 1957 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und sodann bis zum 16. Juni 1958 Krankengeld bezogen habe, müsse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (Hinweis auf BSGE 29, 78) für diesen Zeitraum schon allein wegen des Krankengeldbezugs die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO bejaht werden. Für die anschließende Zeit bis 15. August 1958 folge die Arbeitsunfähigkeit aus der bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Heilbehandlung. Die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 16. August 1958 bis 31. Juli 1963 ergebe sich aus dem damaligen Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente, die ebenso wie das Krankengeld der Sicherstellung des Lebensunterhalts diene und im Vergleich zum Krankengeld eine erheblich weitergehende Einschränkung des Leistungsvermögens voraussetze. Mit dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit sei der Kläger auch nicht aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Eine - die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ausschließende - Beendigung der Beschäftigung könnte nur angenommen werden, wenn die Erwerbsunfähigkeit bis zum Eintritt des Versicherungsfalls des Alters fortbestanden hätte. Der Kläger sei aber nach Wegfall der Erwerbsunfähigkeitsrente und des einschließenden Bezugs der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bis 15. August 1963, für den die Voraussetzungen des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO erfüllt seien, weitere zehn Jahre versicherungspflichtig beschäftigt gewesen (Urteil vom 7. Februar 1977).

Die Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision eine Verletzung des § 1259 Abs 1 Kr 1 RVO durch das Berufungsgericht. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift habe nur während der Zeit des Krankengeldbezugs und darüber hinaus auch noch für die Zeit bis zur Entlassung aus der Heilstätte (14. August 1958) vorgelegen. Danach sei der Kläger zwar erwerbsunfähig, nicht aber arbeitsunfähig gewesen. Eine Erkrankung müsse vorübergehend und voraussehbar sein. Erwerbsunfähigkeit setze dagegen gemäß § 1247 RVO voraus, daß der Versicherte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben könne. Ob eine vorübergehende Erwerbsunfähigkeit eine gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit nicht ausschließe, könne offenbleiben, weil der Kläger ab 15. August 1957 keine zeitlich begrenzte Rente erhalten habe. Da die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine erheblich weitergehende Einschränkung des Leistungsvermögens als die Gewährung des Krankengeldes voraussetze, müsse zwangsläufig der Zustand der Arbeitsunfähigkeit mit dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit als beendet angesehen werden. Selbst wenn man aber eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit für den gesamten Zeitraum der Erwerbsunfähigkeit (17. Dezember 1957 bis 31. Juli 1963) bejahen wollte, könnte die Anerkennung als Ausfallzeit nicht erfolgen, weil der in § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO geforderte Tatbestand der Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht gegeben sei. Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Problemen der "Unterbrechung" gebe keinesfalls die notwendige Sicherheit, für einen fünfjährigen Rentenbezug wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit nur eine "Unterbrechung" und nicht ein "Ausscheiden" aus dem Erwerbsleben anzunehmen. Nach ihr sei es zwar nicht ausgeschlossen, daß während einer vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit gleichzeitig auch Arbeitsunfähigkeit vorliege und ein Zeitrentenbezug wegen Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbreche. Im Urteil vom 30. Juli 1975 - 4 RJ 351/74 - gebe das BSG jedoch zu erkennen, daß in einem solchen Fall von Anfang an die begründete Aussicht bestehen müsse, die Erwerbsunfähigkeit werde in absehbarer Zeit behoben sein. Auf den hier zu entscheidenden Fall bezogen bedeute dies, daß in Anbetracht der langen Dauer der Erwerbsunfähigkeit spätestens mit dem Beginn der Rente eine Beendigung der Erwerbstätigkeit unterstellt werden müsse.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene und das erstinstanzliche Urteil aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 28. Februar 1974 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß - entgegen der Meinung der Revision - nach der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG die Begriffe Krankheit und Arbeitsunfähigkeit nicht zeitlich begrenzt seien. Auch ein Dauerleiden, das ständig ärztliche Behandlung erforderlich mache, sei Krankheit im Sinne des Krankversicherungsrechts. Im vorliegenden Fall habe die Erwerbsunfähigkeit, die aufgrund der Lungen-Tbc zugebilligt worden sei, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit miteingeschlossen. Wegen der Tbc sei er - der Kläger - nicht imstande gewesen, seine vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit zu verrichten. Ihm sei nicht einmal eine andere Erwerbstätigkeit zuzumuten gewesen, so daß dahingestellt bleiben könne, ob der Begriff Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO eine Verweisung auf andere Tätigkeiten zulasse. Der Anrechnung der Krankheitszeit als Ausfallzeit stehe auch nicht der Rentenbezug vom 15. August 1958 bis 31. Juli 1963 entgegen. Die befristete Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente mache deutlich, daß er noch nicht endgültig aus dem Erwerbsleben habe ausscheiden müssen und auch tatsächlich nicht ausgeschieden sei; denn er habe vom 4. September 1963 bis 30. September 1973 wieder rentenversicherungspflichtig gearbeitet. Wahrscheinlich hätte eine entsprechende Prognose bereits zu Beginn der Tbc-Erkrankung abgegeben werden können. Auch dies könne aber nach der Entscheidung des 12. Senats des BSG vom 13. März 1973 (12 RJ 346/74), die auf den vorliegenden Streitfall anzuwenden sei, dahingestellt bleiben.

II

Die vom Kläger - ua - begehrte Anrechnung der Zeit von Januar 1958 bis August 1963 als Ausfallzeit auf das ihm mit Wirkung vom 1. Oktober 1973 gewährte Altersruhegeld hängt davon ab, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit des Klägers durch eine infolge Krankheit oder Unfall bedingte Arbeitsunfähigkeit mindestens einen Kalendermonat unterbrochen worden ist (§ 1259 Abs 1 Nr 1 RVO).

Der 5. Senat ist der Auffassung, daß die von ihm dem Großen Senat (GS) des BSG in diesem Zusammenhang vorgelegten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des GS erfordern (§ 43 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

III

1.) Die Frage der Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ist bis zu den beiden Urteilen des 4. Senats vom 28. Februar 1978 - 4 RJ 65/76 - und 19. April 1978 - 4 RJ 91/77 - von den verschiedenen, mit den Entscheidungen zum Rentenversicherungsrecht betrauten Senaten des BSG "einheitlich" beantwortet worden.

In der Rechtsprechung sowohl des BSG als auch der Tatsachengerichte ist eine Unterbrechung auch dann angenommen worden, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht von versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten "umrahmt" wird, sondern lediglich die Arbeitsunfähigkeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit folgt und bei Begin der Arbeitsunfähigkeit die bloße Möglichkeit zur erneuten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat (vgl Frage 1). In der Entscheidung des 4. Senats vom 13. Mai 1966 (BSGE 25, 16, 18 = SozR Nr 17 zu § 1259 RVO) ist dies unter Hinweis auf BSGE 16, 120, 122 = SozR Nr 4 zu § 1259 RVO damit begründet worden, daß in dem Begriff "Unterbrechung" die Möglichkeit eingeschlossen sei, das Unterbrochene, nämlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung, wieder fortzusetzen. Eine solche Möglichkeit sei selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem gleichzeitig Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit eintrete, vorhanden. Wenn auch dieselben in der Person des Versicherten liegenden Verhältnisse, die seine Berufsunfähigkeit hervorriefen, ebenfalls seine Arbeitsunfähigkeit bewirkten, so sei es doch möglich gewesen, daß der Versicherte nach Fortfall der Arbeitsunfähigkeit wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen hätte. Diese Aussicht genüge, um das Merkmal der Unterbrechung zu verwirklichen. Dieser Auffassung hat sich der 12. Senat in den Urteilen vom 13. März 1968 (BSGE 28, 29, 30 = SozR Nr 19 zu § 1259 RVO) und 7. Juli 1970 - 12 RJ 294/66 - angeschlossen. Dabei wird in der letzten Entscheidung ausdrücklich betont, daß auch bei Umwandlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in ein Altersruhegeld die Berücksichtigung zusätzlicher krankheitsbedingter Ausfallzeiten geboten sei, selbst wenn der Versicherte während des Bezugs der Rente wegen Berufsunfähigkeit keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung mehr nachgegangen ist (unter Bezugnahme auf ein weiteres Urteil des 4. Senats vom 23. August 1966, Die Rentenversicherung 1967, 20, 21). Damit im Einklang stehen auch die Entscheidungen des 1. Senats vom 3. Mai 1968 (BSGE 28, 68 = SozR Nr 20 zu § 1259 RVO), des 12. Senats vom 25. Februar 1971 (BSGE 32, 232 = SozR Nr 34 zu § 1259 RVO) und 30. Juni 1771 (SozR Nr 36 zu § 1259 RVO) sowie des 5. Senats vom 27. April 1975 (SozR Kr 55 § 1259 RVO), wonach in den Fällen, in denen zur Arbeitsunfähigkeit des Versicherten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit hinzutritt, die versicherungspflichtige Beschäftigung nicht im Sinne von § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO unterbrochen, sondern beendet ist. Dieses Ergebnis wird nämlich dort übereinstimmend damit begründet, daß der erwerbsunfähige Versicherte - anders als der bloß berufsunfähige - nach der gesetzlichen Definition der Erwerbsunfähigkeit und den Vorstellungen bzw der generalisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers aus dem Erwerbsleben endgültig ausgeschieden sei oder als ausgeschieden gelte.

Fällt dagegen die Erwerbsunfähigkeit vor Eintritt des Versicherungsfalles, für den die Berücksichtigung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO begehrt wird, wieder weg, so ist - jedenfalls nach einem Teil der zu einschlägigen Sachverhalten vorliegenden Entscheidungen - die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit infolge Arbeitsunfähigkeit gleichwohl zu bejahen. Insoweit ist allerdings - wie bereits der 11. Senat im Urteil vom 5. Februar 1976 (BSGE 41, 168, 170 = SozR 2200 § 1259 Nr 15) festgestellt hat - noch keine klare Linie erkennbar. Der in dieser Entscheidung gegebene Überblick über die diesbezügliche unterschiedliche Rechtsprechung des BSG läßt es nach Ansicht des 11. Senats verstehen, wenn Tabert ua mit Bezug auf den dort entschiedenen Fall meint (DAngVers 1976, 542), daß "der gesamte Fragenkomplex noch lange nicht geklärt" sei (vgl insoweit Frage 4). Der 11. Senat hat sich in seinem Urteil vom 5. Februar 1976 mit diesen Hinweisen begnügt, weil er eine einheitliche Rechtsprechung des BSG für die Fälle annahm, in denen die Erwerbsunfähigkeit fortwährend bis zum Versicherungsfall des Alters besteht. Er ging insoweit davon aus, daß mit dem objektiven Zustand der Erwerbsunfähigkeit die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unabhängig von subjektiven Vorstellungen und Absichten des Versicherten beendet werde, so daß es nicht rechtserheblich sei, ob der Versicherte auch während der Erwerbsunfähigkeit arbeitswillig gewesen sei und sobald als möglich wieder habe tätig sein wollen (vgl Frage 3). Dieser Auffassung hat sich der 4. Senat für den gleichen Sachverhalt der neben der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Versicherungsfall des Alters fortbestehenden Erwerbsunfähigkeit angeschlossen (Urteil vom 26.5.1976 in SozR 2200 § 1259 Nr 16).

2.) Im vorliegenden, vom 5. Senat zu entscheidenden Fall kann das vom 11. Senat in der Entscheidung vom 5. Februar 1976 aaO vermißte Vorliegen einer "klaren Linie" zu den beim späteren Wegfall der Erwerbsunfähigkeit auftauchenden Rechtsfragen nicht dahingestellt bleiben, weil die unmittelbar an die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers anschließende Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug zusammen mit der Erwerbsunfähigkeit wegen Lungen-Tbc begann, diese aber später mit der Ausheilung des Tbc-Leidens wieder wegfiel und der Kläger sodann bis zum Eintritt des Versicherungsfalls des Alters noch jahrelang versicherungspflichtig beschäftigt war. Dies gilt um so mehr, als zwischenzeitlich durch die beiden Urteile des 4. Senats vom 28. Februar und 19. April 1978 aaO der bisher von der Rechtsprechung ohnehin nicht einheitlich beantwortete Fragenkomplex noch zusätzlich in anderer Beziehung in Frage gestellt worden ist. In diesen Entscheidungen wird nämlich erstmals die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gemäß § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO nicht nur von der - sich nach der objektiven Leistungsfähigkeit des arbeitsunfähigen Versicherten richtenden - Möglichkeit zu deren späteren Wiederaufnahme, sondern zusätzlich von der Leistungsbereitschaft des Versicherten und damit von einem subjektiven Moment abhängig gemacht. Die Folge davon ist, daß auch bei nicht bestehender Erwerbsunfähigkeit - und damit unabhängig von deren Wegfall vor Eintritt des Altersversicherungsfalls - eine Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit in Betracht kommt (vgl Frage 2).

Hiergegen bestehen aus verschiedenen Gründen Bedenken. Die Entscheidungen des 4. Senats vom 28. Februar und 19. April 1978 aaO sind zunächst kaum mit der aufgezeigten bisherigen Rechtsprechung des BSG zu vereinbaren, die eine Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne eines Abschlusses des Erwerbslebens lediglich bei objektiv vorliegender Erwerbsunfähigkeit des Arbeitsunfähigen angenommen hat. Wenn es in diesem Fall - wie der 11. Senat im Urteil vom 5. Februar 1976 aaO betont hat - auf subjektive Vorstellungen, insbesondere eine etwaige Arbeitswilligkeit des Erwerbsunfähigen nicht ankommen kann, und wenn der 4. Senat darauf Bezug nehmend im Urteil vom 26. Mai 1976 aaO die vorzeitige Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung sogar dann bejaht, wenn der Arbeitsunfähige während der Erwerbsunfähigkeit gelegentlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, so dürfte zu prüfen sein, ob es bei Arbeitsunfähigkeit ohne gleichzeitiger Erwerbsunfähigkeit nicht folgerichtig wäre, die Frage der Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO dann ebenso ausschließlich an dem ebenfalls nur objektiven Kriterien zugänglichen Begriff der Arbeitsunfähigkeit (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Anm 10a zu § 182) zu orientieren, dh unabhängig von der subjektiven Einstellung des Versicherten zu einer möglichen Wiederaufnahme der Beschäftigung. Dies um so mehr, als der Gesetzgeber in Fällen der Arbeitsunfähigkeit ohne gleichzeitig bestehender Erwerbsunfähigkeit - wie gerade der von ihm gewählte Begriff "Unterbrechung" in § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO zeigt - in einer generalisierenden Betrachtungsweise davon ausgeht, daß trotz des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit das Arbeits- und Versicherungsleben des Versicherten noch nicht auf Dauer beendet ist (vgl BSG in SozR Nr 55 zu § 1259 RVO). Die diesen Erwägungen entsprechende frühere Entscheidung des 4. Senats vom 13. Mai 1966 aaO, wonach es für den Tatbestand der Unterbrechung genügt, wenn aufgrund des Gesundheitszustandes die "fiktive Möglichkeit" zur erneuten Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestand, hat im Schrifttum nicht zuletzt deshalb nahezu einhellige Zustimmung gefunden (vgl insoweit Koch/Hartmann/v. Altrock/ Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Teil IV, Anm B I, 6 zu § 36 AVG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Teil III, S. 700 d III; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 6. Aufl, Anm 8 zu § 1259 RVO; Verbandskommentar zur Reichsversicherungsordnung, Anm 7 und 9 zu § 1259; Tabert aaO, S. 542), weil danach - im Gegensatz zu den jüngsten Urteilen desselben Senats vom 28. Februar und 19. April 1978 - für die Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO gerade nicht verlangt wird, daß der Versicherte bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit die Absicht gehabt habe, nach deren Beendigung wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Zweng/Scheerer (Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 2. Aufl, Anm II 1 zu § 1259, S. 7/8) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es entsprechend den Ausführungen in BSGE 16, 120, 123 allenfalls bei der Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung durch Arbeitslosigkeit (§ 1259 Abs 1 Nr 3 RVO) auf eine derartige Absicht ankommen könne, weil zum Begriff der Arbeitslosigkeit - anders als zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit - die sogenannte subjektive Verfügbarkeit gehöre. Bei letzterer dürfte der objektive Sachverhalt ausschlaggebend sein. Damit im Einklang ist nach Hanow/Lehmann/Bogs (Reichsversicherungsordnung, 4. Buch, Randbem 42 zu § 1259) bei der Prüfung der Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Ur 1 RVO jedenfalls auf den Nachweis der "Fortsetzungsabsicht" schon aus verwaltungsgemäßen Gründen "zu verzichten". Denn die Prüfung der "Unterbrechung" komme auf den Versicherungsträger erst zu, wenn die in Frage stehenden Zeiten bereits abgelaufen seien. Die Rückfrage, ob er zu Beginn der "Unterbrechung" beabsichtigt habe, nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufzunehmen, werde aber der Versicherte in aller Regel bejahen.

Der 4. Senat versucht diesen Schwierigkeiten in seinen die Frage der "Unterbrechung" von einer subjektiven Bereitschaft zur Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses abhängig machenden Urteilen vom 28. Februar und 19. April 1978 aaO dadurch zu begegnen, daß er in vorausschauender Betrachtungsweise lediglich auf die Willensrichtung des Versicherten im Zeitpunkt des Wegfalls des Krankengeldes abstellt und diese bestimmten äußeren Verhaltensweisen des Versicherten, wie zB Klageerhebung gegen die Ablehnung der beantragten Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente (so im Urteil vom 19.4.1978 aaO) entnimmt. Abgesehen von rein revisionsrechtlichen Bedenken scheint es auch für sich betrachtet zweifelhaft, ob aus einem Verhalten des Versicherten wie der Rentenantragsstellung, der Klage gegen die Ablehnung der Rente und der Nichtausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während des Klageverfahrens zwingend auf eine fehlende Leistungsbereitschaft des Versicherten und damit auf eine - die Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ausschließende - Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses geschlossen werden kann. In der Regel wird der Versicherte bei Stellung des Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente und entsprechender Klageerhebung nur dann den Willen haben, sein Arbeitsleben zu beenden, wenn diesem Rentenbegehren letztlich entsprochen wird. Für den Fall eines für ihn negativen Ausgangs wird man den Willen zur Beendigung des Arbeitslebens nicht unterstellen dürfen. In dem vom 4. Senat mit Urteil vom 19. April 1978 aaO entschiedenen Fall hätte dies um so mehr gelten können, als die Klägerin nach der Erfolglosigkeit ihrer Rentenklage im Anschluß an einen erneuten Krankengeldbezug tatsächlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung wieder aufgenommen hat. Trotzdem hat sich der 4. Senat infolge der in diesem Urteil befürworteten vorausschauenden Betrachtungsweise, die ausschließlich auf den ersten Wegfall des Krankengeldes abstellt, nicht gehindert gesehen, zu jenem Zeitpunkt eine "einstweilige" Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung anzunehmen, die ebenfalls eine weitere Anrechnung von Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO für den nachfolgenden Versicherungsfall des Alters nicht zulasse (vgl Frage 2).

3.) Die erstmals zur Verwendung des Begriffs einer "einstweiligen" Beendigung führende vorausschauende Betrachtungsweise steht indes ebenfalls in Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung des BSG. Danach hat lediglich die endgültige Beendigung des Erwerbslebens in Form der dauernden Erwerbsunfähigkeit eine Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeschlossen und dies ist regelmäßig rückblickend geprüft worden. Im Urteil des 1. Senats vom 3. Mai 1968 aaO heißt es insoweit ausdrücklich, daß Zeiten der Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente dann Ausfallzeiten seien, "wenn zB die Erwerbsunfähigkeit vor dem Versicherungsfall des Alters wieder weggefallen ist, wie bei einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit (§ 1276 RVO) oder auch bei einem nicht voraussehbaren Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit". Im Anschluß daran wird im Urteil des 12. Senats vom 30. Juni 1971 (SozR Nr 36 zu § 1259 RVO) betont, daß erst eine vom Versicherungsfall des Alters her rückschauende Betrachtungsweise das endgültige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben feststellen könne; sei die Erwerbsunfähigkeit inzwischen beseitigt, dann sei die versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen, anderenfalls sei sie beendet gewesen. Unter Bezugnahme hierauf hat der 12. Senat in einem weiteren Urteil vom 13. März 1975 (BSGE 39, 218, 220 = SozR 2200 § 1259 Nr 6) entschieden, daß "die bei der späteren Rentenberechnung notwendig rückschauende Betrachtung der Sachlage" maßgeblich sei. Ergebe diese, daß der Zeit einer vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit und gleichzeitigen Arbeitsunfähigkeit eine rentenversicherungsrechtliche Beschäftigung oder Tätigkeit nachgefolgt ist, so sei diese Zeit der Arbeitsunfähigkeit eine Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO "unabhängig davon, ob für diese Zeit ganz, teilweise oder überhaupt nicht Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit (§ 1276 RVO) oder eine Dauerrente wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 1247 RVO) gewährt worden ist oder eine derartige Zeit- oder Dauerrente wegen Änderung der Verhältnisse entzogen worden ist (§ 1286 RVO)".

Demgegenüber hat sich der 4. Senat im Urteil vom 30. Juli 1975 aaO erstmals mit der Frage befaßt, ob an der aufgezeigten Rechtsprechung, wonach eine zeitweise Erwerbsunfähigkeit während der Arbeitsunfähigkeit Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO sein kann, uneingeschränkt festzuhalten sei. Er hat dort ein Abweichen für die Fälle erwogen, in denen sich die Erwerbsunfähigkeit von Anfang an als auf Dauer gerichtet darstellt, später aber wider Erwarten wieder wegfällt. In Fällen dieser Art könne die Entscheidung davon abhängen, ob in Bezug auf das Ende der Erwerbsunfähigkeit - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BSG - eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt sei (vgl Frage 4). Diese im Urteil vom 30. Juli 1975 noch offengelassene Frage (die zeitlich mit der Arbeitsunfähigkeit zusammenfallende Erwerbsunfähigkeit ist dort, sowohl voraus- als auch rückschauend, nicht als Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, sondern nur als Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses gewertet worden) hat der 4. Senat aber nunmehr in den Urteilen vom 28. Februar und 19. April 1978 nicht auf die Fälle einer von Anfang an objektiv bestehenden und auf Dauer gerichteten Erwerbsunfähigkeit beschränkt, sondern unabhängig davon auf andere Fälle der Leistungseinschränkung (Arbeitsunfähigkeit mit und ohne gleichzeitiger Berufsunfähigkeit) ausgedehnt und für diese im Sinne einer vorausschauenden Betrachtung bejaht, ohne auf die bisherige rückschauende Betrachtung des BSG in den vorstehend genannten Urteilen einzugehen.

Dies hat zur Folge, daß einerseits nach den Entscheidungen des 1. Senats vom 3. Mai 1968 und des 12. Senats vom 30. Juni 1971 aaO Zeiten gleichzeitiger Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit selbst bei einem nicht voraussehbaren Wiedereintritt der Erwerbsunfähigkeit Ausfallzeiten nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO sein können. Nach dem weiteren Urteil des 12. Senats vom 13. März 1975 aaO gilt dies jedenfalls dann, wenn der Versicherte nach Wegfall der Erwerbsunfähigkeit wieder versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig ist, nach der Entscheidung des 5. Senats vom 26. September 1974 - 5 RJ 140/72 - (in SozR 2200 § 1631 Nr 1 insoweit nicht abgedruckt) unabhängig davon, wenn infolge des Bezugs einer bloßen Zeitrente nicht von einem "auf Dauer angelegten Ausscheiden des Versicherten aus dem Arbeits- und Versicherungsleben gesprochen werden kann" (vgl zu diesen unterschiedlichen Anforderungen auch Tabert aaO S 541). Andererseits soll aber nach den Entscheidungen des 4. Senats vom 28. Februar und 19. April 1978 aaO ein arbeitsunfähiger Versicherter, der objektiv nicht einmal erwerbsunfähig ist, sondern sich bei Wegfall des Krankengeldes lediglich subjektiv - womöglich - für erwerbsunfähig hält, die der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangene versicherungspflichtige Beschäftigung selbst dann nicht im Sinne von § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO unterbrochen haben, wenn er später wieder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt. Diese Widersprüche bedürfen einer umfassenden Klärung mit dem Ziele, eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern (vgl hierzu auch Tabert aaO S. 542).

Die Notwendigkeit hierzu zeigt gerade die vorgelegte Streitsache: Da der Kläger während seiner arbeitsunfähigen Erkrankung zunächst zeitlich unbegrenzt erwerbsunfähig und nach der Rentenentziehung wieder versicherungspflichtig beschäftigt war, ist die begehrte Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO bei rückschauender Betrachtung auf das bewilligte Altersruhegeld anzurechnen. Eine "Leistungsbereitschaft" zur Zeit des Wegfalls des Krankengeldes konnte der Kläger aber infolge der damals zeitlich nicht begrenzten Erwerbsunfähigkeit - vorbehaltlich entsprechender Feststellungen - kaum im Sinne der vom 4. Senat neuerdings befürworteten vorausschauenden Betrachtung gehabt haben. Die Entscheidung des 5. Senats wäre daher entweder mit der aufgezeigten Rechtsprechung des 1. und 12. Senats oder mit derjenigen des 4. Senats schwerlich zu vereinbaren.

4.) Der Begriff der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO ist in der bisherigen Rechtsprechung des BSG ebenfalls unter schiedlich ausgelegt worden.

Der 5. Senat hat - trotz der auch von ihm betonten Herkunft dieses Begriffs aus dem Recht der Krankenversicherung - eine davon abweichende eigenständige, an den "Zielen der Rentenversicherung" bzw dem "Sinn und Zweck der Ausfallzeitenregelung" orientierte Interpretation befürwortet. Danach sei für Zeiten, in denen der arbeitsunfähige Versicherte Krankengeld bezieht (vgl § 183 Abs 2 RVO), grundsätzlich auch Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO anzunehmen, nicht aber für Zeiten, in denen der - im Sinne des Rechts der Krankenversicherung womöglich weiterhin arbeitsunfähige - Versicherte noch ihm nach § 1246 Abs 2 RVO zumutbare Tätigkeiten (so Urteil vom 19. Dezember 1968 in BSGE 29 77 = SozR Nr 21 zu § 1259 RVO) oder sogar ihm "unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB)" zuzumutende versicherungspflichtige Tätigkeiten (so Urteil vom 27. Februar 1973 in BSGE 35, 234 = SozR Nr 53 zu § 1259 RVO) verrichten kann (vgl Frage 6).

Der 12. Senat ist zunächst im Urteil vom 13. März 1968 aaO unter Bezugnahme auf BSGE 25, 16 (= SozR Nr 17 zu § 1259 RVO) von der einheitlichen Auslegung des Arbeitsunfähigkeitsbegriffs im Renten- und Krankenversicherungsrecht ausgegangen, hat sich dann aber der Entscheidung des 5. Senats vom 19. Dezember 1968 aaO angeschlossen (Urteil vom 7. Juli 1970 aaO) und schließlich in den Urteilen vom 25. Februar 1971 aaO und vom 31. Januar 1973 (12 RJ 312/73) - im Ergebnis wie in der Entscheidung des 5. Senats vom 27. Februar 1973 aaO - eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO für Zeiten verneint, in denen der Versicherte nach Wegfall des Krankengeldes trotz bestehender Berufsunfähigkeit noch "in leichteren außerberuflichen Tätigkeiten" versicherungspflichtig arbeiten könne.

Demgegenüber hat der 4. Senat im Urteil vom 13. Mai 1966 aaO den Begriff der Arbeitsunfähigkeit für die Rentenversicherung mit den Inhalt übernommen, wie er vom 3. Senat für die Krankenversicherung zu § 182 Abs 1 Nr 2 RVO entwickelt worden ist (vgl Frage 5). Danach ist die Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich an der zuletzt ausgeübten Erwerbsarbeit zu messen. Sie besteht - unabhängig vom etwaigen Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit - dann, wenn der Versicherte dieser bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit - oder zumindest einer ähnlich gearteten - nach seinem Gesundheitszustand überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlimmern (vgl Urteil vom 30. Mai 1967 in BSGE 26, 288, 290 = SozR Nr 25 zu § 182 RVO unter Bezugnahme auf BSGE 19, 179, 181 und die ständige Rechtsprechung des RVA). Dem hat sich der 5. Senat für den Bereich der knappschaftlichen Krankenversicherung angeschlossen (vgl Urteil vom 4. Februar 1976 in SozR 2200 § 182 Nr 12). In seiner Entscheidung vom 22. Mai 1974 (SozR 2200 § 1259 Nr 1) hat der 4. Senat diese krankenversicherungsrechtliche Interpretation der Arbeitsunfähigkeit auch bei der Prüfung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO weiterhin befürwortet und in diesem Rahmen gegen einen "Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit mit mehr oder weniger Eigengehalt" im Sinne der genannten Entscheidungen des 5. und 12. Senats ausführlich dargelegte Bedenken angemeldet. Diese hat der 4. Senat im Urteil vom 28. Februar 1978 aaO - wie dort ausdrücklich betont wird - nicht aufgegeben. Damit im Einklang hat er schließlich in den Urteilen vom 24. Mai 1978 - 4 RJ 69/77 - und 27. Juni 1978 - 4 RJ 90/77 - entschieden, daß der in § 1241e Abs 1 RVO - und damit ebenfalls in der Rentenversicherung - enthaltene Begriff "arbeitsunfähig" dem der Krankenversicherung in § 182 Abs 1 Nr 2 RVO entspreche.

5.) Der vorlegende Senat hat aufgrund der Ausführungen des 4. Senats im Urteil vom 22. Mai 1974 aaO und der Besprechung dieser Entscheidung von Tannen (DRV 1974, 248) sowie der Kritik von Köpke (SozSich 1973, 264 ff), aber auch aufgrund des Vorbringens der Revisionsklägerin in der ebenfalls vorgelegten Sache 5 RJ 30/76 Zweifel, ob seine bisherige Auslegung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit im Sinne eines rentenversicherungsrechtlichen Eigengehalts aufrechterhalten bleiben kann, zumal diese unter Berücksichtigung der zuletzt genannten Entscheidungen des 4. Senats vom 24. Mai und 27. Juni 1978 selbst innerhalb der Rentenversicherung nicht einheitlich gelten könnte. Die bisherigen Deutungen der Arbeitsunfähigkeit in § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO sind damit - wie der 4. Senat bereits im Urteil vom 22. Mai 1974 aaO zutreffend erkannt hat - "noch nicht abgeklärt und in sich gefestigt". Dies um so mehr, als dem vorlegenden Senat bekannt ist, daß der 1. Senat in der Revisionssache 1 RA 27/76 ebenfalls über den Arbeitsunfähigkeitsbegriff im Sinne des § 36 Abs 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (= § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO) zu entscheiden haben wird.

6.) Im Zusammenhang mit den vorgelegten Fragen 5 und 6 wird womöglich auch zu klären sein, ob eine Annäherung oder gar Übereinstimmung zwischen den vom 3. Senat im Krankenversicherungsrecht und vom 5. Senat im Rentenversicherungsrecht entwickelten Arbeitsunfähigkeitsbegriffen geboten und gegebenenfalls auch rechtlich vertretbar ist. Insoweit hat der 4. Senat bereits im Urteil vom 22. Mai 1974 aaO ausgeführt: "Je stärker ... die fraglichen Begrifferläuterung zum Recht der Krankenversicherung und dem der Rentenversicherung sich einander annähern, um so mehr verliert die Frage an Gewicht, ob die Formulierung 'eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit' in § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO eine Begriffsverweisung auf § 182 RVO enthält und in welchem Ausmaße eine solche Verweisung wirkt". Er hat Ansatzpunkte für ein "deckungsgleiches Begriffsverständnis in beiden Normen" in der Entscheidung des 3. Senats vom 19. Januar 1971 - 3 RK 42/70 - gesehen, weil dort "der Gedanke an eine berufliche Verweisung auch für das Recht der sozialen Krankenversicherung ausgesprochen" worden sei. Der 5. Senat hat im Urteil vom 27. Februar 1973 aaO befürwortet, daß ein "langfristig" erkrankter Versicherter, der seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann und sich weigert, eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Tätigkeit aufzunehmen, auch gemäß § 182 Abs 1 Nr 2 RVO nicht mehr als arbeitsunfähig angesehen werde.

Derartigen Modifizierungen des herkömmlichen Begriffs der Arbeitsunfähigkeit ist indes der 3. Senat bisher mit Zurückhaltung begegnet. Im Urteil vom 30. Mai 1967 aaO hat er sich unter Hinweis auf die "klare gesetzliche Regelung" in § 183 Abs 5 RVO nicht für befugt gehalten, diesen Begriff auf Zustände vorübergehender Art zu beschränken. Von dem Grundsatz der zeitlich uneingeschränkt möglichen Arbeitsunfähigkeit hat der 3. Senat im Urteil vom 2. Oktober 1970 (BSGE 32, 18, 20 = SozR Nr 40 zu § 182 RVO) lediglich dann eine Ausnahme gemacht, wenn der seine bisherige Erwerbstätigkeit infolge Krankheit nicht mehr ausübende Versicherte "aus freien Stücken" eine seinem Gesundheitszustand entsprechende Beschäftigung aufnimmt. Die vom 5. Senat im Anschluß daran aufgeworfene Frage, ob die weitere Arbeitsunfähigkeit im Krankenversicherungsrecht ebenso zu verneinen wäre, wenn der "langfristig" erkrankte Versicherte eine gesundheitlich mögliche Tätigkeit fortan nicht ausüben würde, hat der 3. Senat in der Entscheidung vom 2. Oktober 1970 ausdrücklich offengelassen.

IV

Unter Berücksichtigung aller in Abschnitt III genannten Gründe sind die bisherigen Entscheidungen des BSG sowohl zu der für die Anrechnung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO erforderlichen Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit (Fragen 1 bis 4) als auch zur Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift (Fragen 5 und 6) nicht widerspruchsfrei und geben darüber hinaus zu den aufgezeigten Zweifeln und Bedenken Anlaß. Unter Beachtung der Entscheidungen des GS zur Zulässigkeit einer Vorlage nach § 43 SGG (vgl BSGE 30, 167, 170; 41, 41, 43) hält es der 5. Senat deshalb für angezeigt, daß der GS über den gesamten Fragenkomplex zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entscheidet.

Die Zahl der von der Anfrage betroffenen Fälle bleibt trotz der in § 1227 Abs 1 Nr 8a RVO idF des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (RehaAnglG) 1974 getroffenen Regelung, wonach unter den dort genannten - einschränkenden - Voraussetzungen (vgl auch § 1227 Abs 1a RVO) für eine begrenzte Zeit der Arbeitsunfähigkeit Versicherungspflicht bestehen kann, auch in Zukunft von Bedeutung. Denn danach können - wie auch die Neufassung des § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO durch § 21 Nr 75 RehaAnglG 1974 zeigt - lediglich Rehabilitationsmaßnahmen nach dem 30. September 1974 im allgemeinen keine Ausfallzeiten mehr sein (vgl hierzu Eicher/ Haase/Rauschenbach aaO, Anm 5 a zu § 1259).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652360

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge