Leitsatz (amtlich)

1. Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld stehen Zeiten des Bezugs einer Rente, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammenfallen, (RVO § 1259 Abs 1 Nr 5) nicht gleich.

2. Zeiten der Berufsunfähigkeit, für die wegen Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen Übergangsgeld gewährt worden ist (RVO § 1241 Abs 1 S 2), können für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Ausfallzeiten auch dann sein, wenn Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit gleichzeitig infolge derselben Krankheit eingetreten sind (Fortführung von BSG 1966-08-23 4 RJ 481/64 = SozR Nr 17 zu § 1259 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1259 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesssozialgerichts vom 13. Juli 1964 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Es ist darüber zu entscheiden, ob Zeiten, in denen der Kläger vorübergehend berufsunfähig war und Übergangsgeld bezogen hat, als Ausfallzeiten bei der Rente für die später eingetretene Erwerbsunfähigkeit anzurechnen sind (§ 1259 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Der im Jahre 1906 geborene Kläger beantragte im Juli 1957 Versichertenrente. Vom 16. April bis zum 14. Mai 1958 führte die Beklagte ein stationäres Heilverfahren durch und gewährte Übergangsgeld für die Zeit vom 21. Dezember 1957 bis 14. Mai 1958. Sie lehnte die Gewährung von Rente mit der Begründung ab, der Kläger sei zwar in der Zeit vom 22. Juni 1957 bis zum 14. Mai 1958 vorübergehend berufsunfähig gewesen (§ 1276 RVO); jedoch habe er wegen des gewährten Übergangsgeldes keinen Rentenanspruch (§ 1242 RVO; Bescheid vom 2. August 1958). Der Bescheid wurde bindend.

Im September 1962 beantragte der Kläger erneut Versichertenrente. Die Beklagte gewährte ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. September 1962 an (Bescheid vom 29. Mai 1963). Sie berücksichtigte bei der Feststellung der Versicherungsjahre für die Jahre 1957 und 1958 die in dieser Zeit liegenden Beschäftigungszeiten, aber keine weitere Zeiten als Ausfallzeiten. Der Kläger begehrt eine höhere Rente. Er meint, die Zeiten vom 22. Juni 1957 bis 15. Mai 1958 seien bei seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO anzurechnen. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 7. Januar 1964). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte auf ihre Berufung hin nur verpflichtet, die Monate Dezember 1957 bis Mai 1958 als weitere Ausfallzeiten anzurechnen (Urteil vom 13. Juli 1964). Es hat diese Zeiten als Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO, nicht nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO, angesehen. Die Revision ist zugelassen.

Der Kläger und die Beklagte haben Revision eingelegt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, die Zeiten vom 22. Juni 1957 bis zum 14. Mai 1958 seien gemäß § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO als Ausfallzeiten anzurechnen.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie hält die Auslegung des § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO im angefochtenen Urteil für unrichtig. Übergangsgeld und Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente seien nicht gleichgestellt. Diese Leistungen seien in ihrer Zielrichtung nicht miteinander vergleichbar. Im übrigen könne nach § 1259 Abs. 2 Satz 1 RVO eine Ausfallzeit nur bis zum ersten Versicherungsfall, dem ein ununterbrochener Rentenbezug folge, angerechnet werden. Zu den Ausfallzeiten, die bei Umwandlung einer Rente nach § 1253 Abs. 2 RVO zusätzlich zu berücksichtigen seien, gehörten nur solche, die durch Unterbrechung einer nach Eintritt des ersten Versicherungsfalles aufgenommenen oder fortgesetzten versicherungspflichtigen Tätigkeit entstanden seien.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revisionen sind begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Vorschrift des § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO rechtfertigt die Verurteilung der Beklagten zur Anrechnung weiterer Ausfallzeiten nicht, wie sie mit Recht geltend macht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Nach § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO sind Ausfallzeiten im Sinne des § 1258 RVO Zeiten des Bezuges einer Rente, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit (§ 1260 RVO) zusammenfallen, wenn nach Wegfall der Rente erneut Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit oder wenn Altersruhegeld oder Hinterbliebenenrente zu gewähren ist. In dem Zeitraum vom 22. Juni 1957 bis zum 15. Mai 1958 fallen für den Kläger keine Zeiten des Bezugs einer Rente, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammenfallen. Er hat für diese Zeiten keine Rente, sondern Übergangsgeld bezogen. Das Übergangsgeld kann bei Anwendung des § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO einer Rente aber nicht gleichgestellt werden. Rente und Übergangsgeld sind nach ihrer Zweckbestimmung verschiedenartige Leistungen. Zwar ist die entsprechende Anwendung von Vorschriften, die ihrem Wortlaut nach nur "Rente" betreffen, auf das Übergangsgeld nicht grundsätzlich ausgeschlossen, wie das Bundessozialgericht (BSG) zu verschiedenen Bestimmungen bereits entschieden hat. Jedoch hängt es vom Sinn und Zweck der jeweiligen gesetzlichen Vorschrift, die nur "Rente" erwähnt, ab, ob Übergangsgeld miterfaßt werden soll (vgl. SozR Nr. 11 zu § 146 SGG; BSG 25, 6 zu § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO; BSG 24, 1 zu § 381 Abs. 3 Satz 3 RVO; BSG 17, 238, 240). Die Vorschrift des § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO läßt nach dem Zweck, den sie verfolgt, die Gleichsetzung von Rente und Übergangsgeld indessen schon deshalb nicht zu, weil sie nur die Berechnung einer späteren Rente betrifft und sich Rente und Übergangsgeld gerade auch in der Art der Berechnung wesentlich unterscheiden. Die Berechnung der Höhe des Übergangsgeldes richtet sich nach dem Arbeitsentgelt des Versicherten und der Zahl der von ihm unterhaltenen Familienangehörigen (§ 1241 Abs. 2 RVO), die Berechnung der Höhe der Rente dagegen nach den Versicherungsbeiträgen und der Anzahl der Versicherungsjahre. Bei einer späteren Rente ist infolge des nun höheren Lebensalters des Versicherten notwendigerweise eine geringere oder überhaupt keine Zurechnungszeit mehr anzurechnen als bei der früheren Rente (§ 1260 RVO). Nach dem Zweck des § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO soll in diesen Fällen verhindert werden, daß die spätere Rente infolge weniger Versicherungsjahre niedriger würde als die frühere (vgl. BSG in SozR Nr. 7 zu § 1259 RVO). Da für die Höhe des Übergangsgeldes andere Umstände als die Anzahl der Versicherungsjahre maßgebend sind, können die Zeiten des Bezuges von Übergangsgeld nicht den Zeiten des Bezuges einer Rente mit angerechneter Zurechnungszeit gleichgesetzt werden.

Dagegen ist die Anrechnung weiterer Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO in dem gegenwärtigen Fall nicht ausgeschlossen. Nach § 1259 Abs. 2 Satz 1 RVO werden Ausfallzeiten zwar längstens nur bis zum Eintritt des Versicherungsfalles angerechnet. Damit ist aber nicht der erste, sondern der jeweilige Versicherungsfall gemeint, wie das BSG im Urteil vom 13. Mai 1966 (SozR Nr. 17 zu § 1259 RVO) und in dem Urteil vom 23. August 1966 - 4 RJ 481/64 - dargelegt hat. Des weiteren hat das BSG in dem Urteil vom 23. August 1966 zur Anwendung des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO auf Zeiten der Berufsunfähigkeit bereits ausgeführt, einem Ausfall an - für einen höherwertigen Versicherungsfall anrechnungsfähigen - Versicherungsjahren könne nur dadurch entgegengewirkt werden, daß der berufsunfähig gewordene Versicherte entweder unter Ausnutzung der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit sich weitere Versicherungszeiten verschaffe oder aber daß ihm die wegen Arbeitsunfähigkeit nicht erzielbare Versicherungszeit als Ausfallzeit angerechnet werde; ein Bedürfnis zur Anerkennung einer Ausfallzeit sei bei gleichzeitigem Beginn von Berufsunfähigkeit und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ebenso gegeben wie in einem - nach der Auffassung sowohl des LSG als auch der Beklagten zu Gunsten des Versicherten zu entscheidenden - Falle, in dem nach Eintritt der Berufsunfähigkeit zunächst eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt, diese aber wegen Arbeitsunfähigkeit wieder abgebrochen worden sei.

Dieser Rechtsauffassung ist zuzustimmen. Es ist zu bedenken, daß das Versicherungsverhältnis nicht mit dem zuerst eingetretenen Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit beendet wird, so daß danach ein neues Versicherungsverhältnis beginnen müßte, das nur durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entstehen könnte. Die Versicherungsfälle der Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit schließen das Versicherungsleben des Versicherten nicht ab, sondern kennzeichnen innerhalb des Versicherungsverhältnisses nur bestimmte Stufen im Absinken der Erwerbsfähigkeit, bei deren Erreichen verschiedene Renten gewährt werden. Das Versicherungsverhältnis besteht nach Eintritt eines dieser Versicherungsfälle fort. Damit ist auch die Möglichkeit gegeben, daß weitere, für den nächsten Versicherungsfall rechtserhebliche Zeiten ohne weitere zwischenzeitliche versicherungspflichtige Beschäftigung zurückgelegt werden. Dies kommt in den Vorschriften über die Umwandlung und die Berechnung von Renten zum Ausdruck (§§ 1253 Abs. 2, 1254 Abs. 2 und 1255 Abs. 8 RVO).

Die Unterschiede im Sachverhalt zwischen der vorliegenden Streitsache und den genannten Urteilen (dort Umwandlung von Renten, hier Wegfall der früheren Berufsunfähigkeit vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit; dort Rentenbezug, hier Bezug von Übergangsgeld sind für die Frage, ob eine Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die gleichzeitig mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit beginnt, nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO bei einem späteren Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit als Ausfallzeit angerechnet werden kann, ohne Bedeutung; denn § 1259 Abs. 2 Satz 1 RVO stellt es für die Berücksichtigung von Ausfallzeiten nur auf den Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles ab (BSG in SozR Nr. 17 zu § 1259 RVO). Bei dieser Rechtslage braucht hier nicht erörtert zu werden, ob in § 1259 Abs. 2 Satz 1 RVO mit der Begrenzung durch den Eintritt des Versicherungsfalles nur ein Versicherungsfall gemeint ist, der zur Rentengewährung führt.

Somit können die Zeiten der Berufsunfähigkeit vom 22. Juni 1957 bis zum 14. Mai 1958 grundsätzlich bei der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO angerechnet werden. Voraussetzung dafür ist, daß die in dieser Vorschrift aufgestellten Tatbestandsmerkmale vorliegen.

Das LSG hat nicht im einzelnen festgestellt, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine infolge Krankheit bedingte, länger als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist und ob diese Zeiten in den Versicherungskarten oder sonstigen Nachweisen bescheinigt sind. Es hatte hierzu nach der von ihm vertretenen Rechtsauffassung auch keinen Anlaß. Das LSG wird die hiernach erforderlichen Feststellungen noch zu treffen haben.

Aus diesen Gründen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2374910

BSGE, 29

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