Leitsatz (amtlich)

Der Beginn der Verjährungsfrist für einen Bereicherungsanspruch nach einem Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. war nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage hinausgeschoben.

 

Normenkette

VVG § 5a Fassung: 1994-07-21; BGB § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 199 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 06.12.2016; Aktenzeichen 12 U 134/16)

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 19.08.2016; Aktenzeichen 8 O 13/16)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des OLG Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 6.12.2016 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 11.036,45 EUR festgesetzt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin, im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.

Rz. 2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1.2.1999 nach dem sog. Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN keine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.

Rz. 3

D. VN zahlte fortan die Versicherungsbeiträge. Im März 2007 kündigte d. VN den Vertrag; der Versicherer zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 28.5.2010 erklärte d. VN "den Widerspruch, den Widerruf bzw. die Anfechtung" und zeigte die Abtretung der Rechte und Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag an die p. AG an.

Rz. 4

Mit der im Januar 2016 eingereichten und im März 2016 zugestellten Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzgl. des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 11.036,45 EUR.

Rz. 5

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Da sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden sei, habe sie auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. den Widerspruch noch erklären können.

Rz. 6

Der Versicherer erhebt die Einrede der Verjährung.

Rz. 7

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 8

Die Revision hat keinen Erfolg.

Rz. 9

I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in r+s 2017, 176 veröffentlicht ist, hat die Aktivlegitimation der nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrten VN dahinstehen lassen. Nach seiner Ansicht ist ein etwaiger mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Jahr 2010 entstandener bereicherungsrechtlicher Anspruch mit Ablauf des Jahres 2013 jedenfalls verjährt. D. VN könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beginn der Verjährung wegen einer unsicheren Rechtslage bis zur Vorlageentscheidung des Senats vom 28.3.2012 (IV ZR 76/11, r+s 2012, 281) oder der anschließenden Revisionsentscheidung in jener Sache vom 7.5.2014 (BGHZ 201, 101) hinausgeschoben gewesen sei. Zwar könne eine unsichere Rechtslage eine Partei von der Geltendmachung eines Anspruchs abhalten und zu einem Hinausschieben des Verjährungsbeginns führen. So liege der Fall hier jedoch nicht. D. VN habe angesichts der ungeklärten Frage der Europarechtswidrigkeit der Regelungen in §§ 5a, 8 VVG a.F. mit der Ausübung des Widerspruchsrechts bis zur höchstrichterlichen Klärung zuwarten können. Durch die Erklärung des Widerspruchs im Jahr 2010 habe d. VN die in § 199 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Zumutbarkeitsschwelle als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn überschritten und die Verjährungsfrist in Gang gesetzt.

Rz. 10

II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Rz. 11

Ein etwaiger Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB war bei Erhebung der Klage im März 2016 verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB abgelaufen. Die Verjährung begann mit dem Schluss des Jahres 2010 und lief Ende 2013 ab.

Rz. 12

1. Die Regelverjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Rz. 13

a) Der auf Rückgewähr der Prämien gerichtete Bereicherungsanspruch entstand mit dem Widerspruch, den d. VN im Jahr 2010 erklärte. Die Widerspruchserklärung ist entscheidend für die Entstehung des Bereicherungsanspruchs i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, wie der Senat mit Urteil vom 8.4.2015 (IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rz. 19 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat.

Rz. 14

b) Im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung hatte d. VN auch i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (vgl. Senatsurteil vom 8.4.2015, a.a.O., Rz. 25).

Rz. 15

aa) Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB hat Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt (BGH, Urt. v. 26.9.2012 - VIII ZR 279/11, NJW 2013, 1077 Rz. 47 m.w.N.). Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn aber hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, Urt. v. 4.7.2017 - XI ZR 233/16, WM 2017, 1652 Rz. 94; XI ZR 562/15, WM 2017, 1643 Rz. 86; vom 16.6.2016 - I ZR 222/14, WRP 2016, 1517 Rz. 42; v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rz. 35; Beschl. v. 16.12.2015 - XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 Rz. 26; jeweils m.w.N.; st.Rspr.).

Rz. 16

bb) D. VN war die Erhebung einer Klage nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat. Entgegen der Auffassung der Revision war der Verjährungsbeginn nicht bis zum Vorlagebeschluss des Senats vom 28.3.2012 (IV ZR 76/11, r+s 2012, 281), bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2013 (r+s 2014, 57) und deren Umsetzung in das deutsche Recht durch das Senatsurteil vom 7.5.2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101) oder gar bis zu dem Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 23.5.2016 (VersR 2016, 1037) hinausgeschoben.

Rz. 17

(1) Für eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung genügte es nicht, dass über die Richtlinienkonformität des § 5a VVG a.F. ein Meinungsstreit bestand, über den der Senat im Jahr 2010 noch nicht abschließend entschieden hatte. Anders als die Revision meint, ist eine Rechtslage nicht schon dann im Sinne der genannten Rechtsprechung unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.2010 - IV ZR 208/09, r+s 2010, 364 Rz. 20; BGH, Urt. v. 7.12.2010 - XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278 Rz. 21). Bei einer solchen Konstellation ist dem Gläubiger die Erhebung einer Klage jedenfalls dann nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.6.2009 - EnZR 49/08, BeckRS 2009, 22099 Rz. 7; BAGE 149, 169 Rz. 37). So liegt es hier. D. VN war die Klageerhebung trotz des zur Zeit des Widerspruchs noch bestehenden Meinungsstreits nicht unzumutbar, nachdem sie durch die Erklärung des Widerspruchs und die Rückforderung der Prämien zu erkennen gegeben hatte, dass sie von einem fortbestehenden Lösungsrecht und einem Rückerstattungsanspruch ausging.

Rz. 18

(2) Dass die obergerichtliche Rechtsprechung noch im Jahr 2010 nahezu einhellig davon ausging, die später vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19.12.2013 (r+s 2014, 57) als richtlinienwidrig angesehene Bestimmung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sei nicht zu beanstanden (vgl. beispielhaft OLG Köln VersR 2011, 245), machte die Klageerhebung ebenfalls nicht ausnahmsweise unzumutbar. Zwar kann eine entgegenstehende Rechtsprechung ausnahmsweise den kenntnisabhängigen Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben. Dies setzt aber eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung voraus (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2014 - XI ZR 348/13, BGHZ 203, 115 Rz. 35; v. 16.9.2004 - III ZR 346/03, BGHZ 160, 216, 232 = juris Rz. 39; Beschl. v. 16.12.2015 - XII ZB 516/14, BGHZ 208, 210 Rz. 34). Eine solche existierte zu § 5a VVG a.F. nicht.

Rz. 19

2. Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt auch das europarechtliche Effektivitätsgebot keine abweichende Beurteilung.

Rz. 20

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren - einschließlich der Verjährungsregelungen - für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dabei dürfen diese Verfahren allerdings nicht weniger günstig gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. EuGH NVwZ 2014, 433 Rz. 23; Slg. 2011, I-78919 Rz. 32; Slg. 2011, I-4043 Rz. 16 m.w.N.; EuZW 2009, 334 Rz. 48). Die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung - hier die nationale kenntnisabhängige Regelverjährungsfrist von drei Jahren - wahrt diese Grundsätze und führt nicht dazu, dass die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte dadurch praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde (vgl. EuGH NVwZ 2014, 433 Rz. 29; EuZW 2009, 334 Rz. 48), auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der Klage zur Folge hat (EuGH Slg. 2011, I-78919 Rz. 36 m.w.N.).

Rz. 21

b) Wenn die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Versicherungsnehmer den Widerspruch erklärt hat, bedeutet dies entgegen der Ansicht der Revision nicht, dass der Versicherungsnehmer in der Ausübung seines Lösungsrechts unzumutbar beschränkt wird. Durch die Entscheidung des Senats, nach der die Verjährung erst nach Erklärung des Widerspruchs beginnt und nicht schon - wie seinerzeit ebenfalls vertreten wurde - mit den einzelnen Prämienzahlungen (BGH, Urt. v. 8.4.2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rz. 18 ff.), ist dem Versicherungsnehmer für die Lösung vom Vertrag eine ausreichende Zeit eingeräumt. Es ist sichergestellt, dass der nicht oder nicht ordnungsgemäß über sein Lösungsrecht belehrte Versicherungsnehmer von diesem Gebrauch machen kann und vorher die Verjährung nicht abläuft. Durch das Hinausschieben des Verjährungsbeginns bis zum Schluss des Jahres, in dem der Versicherungsnehmer sein Lösungsrecht ausübt, hat der Senat dem Effektivitätsgebot gerade Rechnung getragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11615484

NJW 2018, 1469

JurBüro 2018, 330

WM 2018, 514

ZIP 2018, 1699

JZ 2018, 310

MDR 2018, 407

VersR 2018, 404

VuR 2018, 240

VK 2018, 72

r+s 2018, 187

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