Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Leibrentenversicherung. Policenmodell. Wirksamkeit des Versicherungsvertrags. Widerspruchsbelehrung in der Verbraucherinformation. Widerspruchsrecht. Verfristung. Verjährung

 

Leitsatz (amtlich)

Der nach einem Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch ist nicht schon mit jeder einzelnen Prämienzahlung, sondern erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden.

 

Normenkette

VVG a.F. § 5a; BGB § 199 Abs. 1, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 18.04.2012; Aktenzeichen 5 S 173/11)

AG Stuttgart (Entscheidung vom 01.07.2011; Aktenzeichen 3 C 1079/11)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 18.4.2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Leibrentenversicherung.

Rz. 2

Diese wurde aufgrund eines Antrags des Klägers mit Vertragsbeginn zum 1.4.1998 nach dem sog. Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit dem Versicherungsschein erhielt der Kläger die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation gem. § 10a VVG a.F. mit Belehrung über das Widerspruchsrecht. Von April 1998 bis Mai 2008 zahlte er monatlich Prämien i.H.v. insgesamt 9.356,18 EUR. Mit Schreiben vom 5.6.2008 erklärte er den "Widerspruch gem. § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Die Beklagte bestätigte die Kündigung und zahlte dem Kläger einen Rückkaufswert von 9.331,60 EUR. Mit Schreiben vom 11.8.2009 wiederholte der Kläger den Widerspruch.

Rz. 3

Mit der im April 2011 erhobenen Klage verlangt der Kläger Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzgl. des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 4.580,82 EUR.

Rz. 4

Nach seiner Auffassung ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung in der Verbraucherinformation sei mangels drucktechnischer Hervorhebung und zudem inhaltlich fehlerhaft. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe er den Widerspruch noch erklären können.

Rz. 5

Die Beklagte hält den Widerspruch für verfristet und erhebt die Einrede der Verjährung.

Rz. 6

Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 8

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Selbst wenn mit der Übersendung der Unterlagen die 14-tägige Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden wäre, sei der Vertrag jedenfalls gem. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. nach Ablauf eines Jahres nach der ersten Prämienzahlung wirksam geworden.

Rz. 9

II. Die Revision ist begründet.

Rz. 10

1. Ein - mit der Revision allein in der Hauptsache weiterverfolgter - Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

Rz. 11

a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der von dem Kläger erklärte Widerspruch - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist.

Rz. 12

aa) Das Berufungsgericht hat ebenso wie das AG keine Feststellungen dazu getroffen, ob die in der dem Kläger mit dem Versicherungsschein übersandten Verbraucherinformation enthaltene Widerspruchsbelehrung gem. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in drucktechnisch deutlicher Form hervorgehoben war.

Rz. 13

bb) Wenn die Widerspruchsbelehrung - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - nicht ordnungsgemäß war, bestand das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Rz. 14

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7.5.2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rz. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier zu unterstellen - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Rz. 15

b) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7.5.2014, a.a.O., Rz. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7.5.2014, a.a.O., Rz. 37 m.w.N.).

Rz. 16

c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7.5.2014, a.a.O., Rz. 42-44).

Rz. 17

2. Der Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB war bei Erhebung der Klage im April 2011 nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen.

Rz. 18

Die Regelverjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Hier begann die Verjährung erst Ende 2008.

Rz. 19

a) Der auf Rückgewähr der Prämien gerichtete Bereicherungsanspruch entstand erst mit dem Widerspruch, den der Kläger mit Schreiben vom 5.6.2008 erklärte. Die Widerspruchserklärung ist entscheidend für die Entstehung des Bereicherungsanspruchs i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

Rz. 20

aa) In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob der nach einem Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. geltend gemachte bereicherungsrechtliche Anspruch bereits mit jeder einzelnen Zahlung entstanden ist (so LG Wiesbaden, Urt. v. 23.12.2014 - 7 S 14/14, nicht veröffentlicht, S. 5 f.; LG Heidelberg, Urt. v. 25.9.2014 - 1 S 15/13, juris Rz. 43; 1 S 8/14, juris Rz. 44; LG Aurich, Urt. v. 5.6.2014 - 2 O 1164/12, nicht veröffentlicht, unter III 3; Armbrüster, NJW 2014, 497, 498 und VersR 2012, 513, 522; Heyers, NJW 2014, 2619, 2622; Jacob, jurisPR-VersR 8/2014 Anm. 2 unter D) oder erst mit der Ausübung des Widerspruchsrechts (so OLG Stuttgart, Urt. v. 23.10.2014 - 7 U 54/14, juris Rz. 125; OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 12.9.2014 - I-4 U 116/13, nicht veröffentlicht, unter I 1; OLG Köln, Urt. v. 5.9.2014 - 20 U 88/14, juris Rz. 38; LG Frankfurt/O., Urt. v. 1.12.2014 - 16 S 240/12, nicht veröffentlicht, unter II 3; LG Kiel r+s 2014, 446 Rz. 41; Koch, LMK 2014, 359159 unter 2; Reiff, r+s 2015, 105, 114).

Rz. 21

bb) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung (vgl. BGH, Urt. v. 24.4.2013 - IV ZR 23/12, VersR 2013, 899 Rz. 16).

Rz. 22

(1) Entstanden ist ein Anspruch, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann (BGH, Urt. v. 16.9.2010 - IX ZR 121/09, WM 2010, 2081 Rz. 22 m.w.N.; Beschl. v. 19.12.1990 - VIII ARZ 5/90, BGHZ 113, 188, 191; v. 17.2.1971 - VIII ZR 4/70, BGHZ 55, 340, 341 m.w.N.). Voraussetzung dafür ist grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs, die dem Gläubiger die Möglichkeit der Leistungsklage verschafft (BGH, Beschl. v. 19.12.1990, a.a.O., Rz. 191 f.; Grothe in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 199 BGB Rz. 4; Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 199 BGB Rz. 3; Staudinger/Peters/Jacoby [2014], § 199 BGB Rz. 7). Der Bereicherungsanspruch wurde erst fällig, als der Kläger den Widerspruch erklärte und damit dem bis dahin schwebend unwirksamen Versicherungsvertrag (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 16.7.2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rz. 14; vom 7.5.2014, a.a.O., Rz. 15) endgültig die Wirksamkeit versagte.

Rz. 23

(2) Auch wenn während der schwebenden Unwirksamkeit (noch) kein Rechtsgrund für die Prämienzahlung des Versicherungsnehmers bestand, wurde erst durch den Widerspruch der Schwebezustand beendet und Klarheit geschaffen, dass dem Versicherer die geleisteten Prämien nicht zustanden. Erst nach der Entscheidung des Versicherungsnehmers, den Widerspruch zu erklären, stand fest, dass der Vertrag, den die Parteien bis dahin wie einen wirksamen Vertrag durchgeführt hatten, endgültig unwirksam war (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 23.10.2014 - 7 U 54/14, juris Rz. 125; OLG Köln, Urt. v. 5.9.2014 - 20 U 88/14, juris Rz. 38; Reiff r+s 2015, 105, 114). Dies gilt auch für ein fortdauerndes Widerspruchsrecht, das demjenigen Versicherungsnehmer zusteht, der nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt wurde und/oder die AVB und/oder die Verbraucherinformation nicht erhalten hat. Auch wenn ihm nach Maßgabe des Senatsurteils vom 7.5.2014 (a.a.O.) eine zeitlich unbegrenzte Widerspruchsmöglichkeit zustand, war von ihm spätestens bei Rückforderung der Prämien eine Erklärung abzugeben, dass er den Vertrag nicht wirksam zustande kommen lassen wollte. Ausgehend davon ist der Widerspruch als Voraussetzung für die klageweise Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs und damit für die Entstehung des Anspruchs und den daran geknüpften Beginn der Verjährungsfrist anzusehen.

Rz. 24

(3) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Verjährungsbeginn in das Belieben des Versicherungsnehmers gestellt werde. Insoweit ist die Beurteilung nicht anders als in dem Fall vorzunehmen, in dem die Entstehung des Anspruchs von einer Anfechtung, einem Rücktritt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.12.2014 - IV ZR 260/11, r+s 2015, 60 Rz. 34) oder einer Kündigung abhängt. Auch da beginnt die Verjährung erst mit der wirksamen Erklärung.

Rz. 25

b) Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners - der Beklagten - i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hatte der Kläger jedenfalls im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung, so dass die Verjährung mit dem Schluss des Jahres 2008 begann. Vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist Ende 2011 erhob der Kläger die Klage im April 2011.

Rz. 26

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senat, Urt. v. 7.5.2014, a.a.O., Rz. 45 m.w.N.).

Rz. 27

Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7.5.2014, a.a.O., Rz. 46).

 

Fundstellen

DB 2015, 6

NJW 2015, 1818

EBE/BGH 2015, 157

EWiR 2015, 609

WM 2015, 865

ZAP 2015, 516

ZIP 2015, 33

JZ 2015, 312

MDR 2015, 512

VersR 2015, 700

VuR 2015, 390

VuR 2015, 5

VK 2015, 83

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