Kein Widerspruchsrecht bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten

Wird vom Versicherungsnehmer nur eine formal bestehende Rechtsposition ausgenutzt, ohne dass ein schutzwürdiges Eigeninteresse besteht, ist die Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 242 BGB trotz fehlerhafter Vertragsinformation auf Grund von Rechtsmissbrauch unzulässig.

Bei dem Abschluss eines Versicherungsvertrages besteht grundsätzlich ein 30-tägiges Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsfrist beginnt aber erst zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer bestimmte Unterlagen und Informationen zugegangen sind, u.a der Versicherungsschein, die Verbraucherinformationen und eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht.

30-tägige Widerspruchsfrist läuft bei unvollständiger oder fehlerhafter Vertragsinformationen  nicht ab  

Sind die Unterlagen nicht vollständig oder die Informationen fehlerhaft, dann kann der Widerspruch grundsätzlich noch Jahre später erklärt werden. Grenzen werden dem endlosen Widerspruchsrecht aber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gesetzt, wenn der Versicherungsnehmer sich rechtsmissbräuchlich verhält.

Widerspruch 13 Jahre nach Vertragsabschluss 

In einem aktuell vom BGH behandelten Fall hatte ein Versicherungsnehmer nahezu 13 Jahre nach Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages den Widerspruch erklärt und sich darauf berufen, dass die Verbraucherinformation sowie die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft gewesen seien. In erster Linie ging es um eine Angabe in der Verbraucherinformation, wonach die Frage, ob es für den Fall, dass ein deutscher Lebensversicherer insolvent werde, einen Garantiefonds oder eine sonstige Entschädigungsregelung gebe, verneint worden war.

Stattdessen wurde darauf hingewiesen, dass es eine von den deutschen Lebensversicherern gegründete Lebensversicherungs AG gäbe, die Verträge von in Not geratener Gesellschaften übernehme und fortführe. Tatsächlich war diese Angabe zum Nichtbestehen eines Sicherungsfonds objektiv falsch; die Klage des Versicherungsnehmers auf Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge und Herausgabe der Nutzungen (abzüglich des bereits erstatteten Rückkaufswertes) hatte gleichwohl keinen Erfolg.  

Kein schützenswertes Eigeninteresse des Versicherungsnehmers

Der BGH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich gewertet wurde. Er stellte darauf ab, dass der Versicherungsnehmer, wenn er vollständig und zutreffend über das Bestehen eines Sicherungsfonds informiert worden wäre, keinen Anlass gehabt hätte, vom Abschluss des Versicherungsvertrages abzusehen.

Unzutreffende Information über das Nichtbestehen eines Sicherungsfonds

Die unzutreffende Information über das Nichtbestehen eines Sicherungsfonds hätte für seine Motivation zum Vertragsschluss eher nachteilig sein müssen. Wenn er sich trotz dieser nachteiligen Fehlinformation nicht veranlasst sah, den Widerspruch zu erklären, dann sei nicht einzusehen, dass er vom Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht hätte, wenn er korrekt und damit für ihn vorteilhaft informiert worden wäre.

Kein schützenswertes Eigeninteresse

Der Versicherungsnehmer verfolge hier nach Auffassung des BGH kein schützenswertes Eigeninteresse, sondern wolle nur eine formale Rechtsposition ausnutzen. Nach jahrelanger Durchführung des Vertrages sei es dem Versicherungsnehmer in dieser Konstellation nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die vermeintliche Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen. Bereicherungsansprüche stehen ihm wegen eigenen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht zu.

(BGH, Urteil v. 10.02.2021, IV ZR 32/20).

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Hintergrund: Widerspruch und Rechtsmissbrauch

OLG München Beschluss v. 01.12.2020, 25 U 5829/20: Die Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ist rechtsmissbräuchlich, wenn ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehlt; erforderlich ist eine umfassende Bewertung der gesamten Fallumstände unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten (OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 3.7.2019 - Az. 23 U 66/18, BeckRS 2019, 29605; OLG Schleswig Urt. v. 31.3.2016 - Az. 5 U 188/15, BeckRS 2016, 118384; Grüneberg in Palandt, 79. Auflage 2020, § 242 BGB Rn. 50: Rechtsausübung zur Erreichung vertragsfremder oder unlauterer Zwecke).

Im Rahmen der Prüfung, ob die Berufung auf das Widerspruchsrecht rechtsmissbräuchlich ist, ist - wie dargelegt - u.a. auch zu berücksichtigen, welche Zielsetzung durch den Widerspruch verfolgt wird.

  • Das gesetzlich eingeräumte Widerspruchsrecht soll den Versicherungsnehmer vor übereilten Abschlüssen schützen (Schutz vor einem Abschluss ohne ausreichende Information über den Inhalt des Vertrages),
  • nicht aber dem Versicherungsnehmer ermöglichen, mit dem nachträglichen Wissensvorsprung der für den Ertrag der Kapitalanlage wesentlichen Faktoren seine Entscheidung rückgängig zu machen und dadurch Verluste zu minimieren oder eine Rendite zu erzielen oder zu erhöhen (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteil vom 31.08.2018 - Az. 25 U 607/18 zur beabsichtigten Renditeerhöhung - die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 03.06.2020 unter dem Az. IV ZR 214/18 zurückgewiesen).

Das entspricht auch der Rechtsauffassung des EuGH: "Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren." (EuGH, Urteil vom 19.12. 2019 - Az. C-355/18, C- 356/18 und C-357/18).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Vertrag, Widerspruch