BGH begrenzt Widerspruchsrecht für Versicherungsverträge

Die Ausübung des Widerspruchsrechts noch nach Jahren kann bei geringfügigen Belehrungsfehlern rechtsmissbräuchlich sein. Mit dieser Entscheidung hat der BGH den „Widerspruchsjoker“ bei Versicherungsverträgen weiter begrenzt.

Der BGH hat für die Ausübung des sogenannten ewigen Widerspruchsrechts eine deutliche Grenze gezogen. Weist die Belehrung über das Widerspruchsrecht in einem Versicherungsvertrag nur geringfügige Belehrungsfehler auf, so kann die Ausübung des Widerspruchsrechts Jahre nach Vertragsschluss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und damit unzulässig sein.

Klägerin fordert Rückabwicklung alter Lebensversicherungsverträge

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin machte aus abgetretenem Recht Ansprüche auf Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend. Die Verträge waren nach dem sog. „Policenmodell“ des § 5a VVG a.F. im Jahr 2002 abgeschlossen worden. Die jeweiligen Versicherungsnehmer kündigten die Verträge in den Jahren 2016 und 2017. Im Jahr 2018 erhoben sie Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

Gesetz sah Widerspruchsrecht in „Textform“ vor

Die Klägerin stützte ihre Klage auf einen vermeintlichen bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruch der Verträge im Hinblick auf die im Jahr 2018 abgegebenen Widerspruchserklärungen. Diese waren nach Auffassung der Klägerin wirksam, weil die Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss über ihr Widerspruchsrecht unzutreffend informiert worden seien. Gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der Fassung vom 13.7.2001 sei der Verbraucher darüber zu informieren, dass er dem Vertragsabschluss innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widersprechen könne.

Belehrung betraf Widerspruchsrecht in „Schriftform“

In dem von der Versicherung verwendeten Belehrungstext war statt des Begriffs „Textform“ der deutlich engere Begriff „Schriftform“ verwendet worden. Nach der gesetzlichen Vorgabe hätte beispielsweise auch eine E-Mail ohne Unterschrift zur Ausübung des Widerspruchs genügt. Infolge der unrichtigen Belehrung hat nach Auffassung der Klägerin die 2-wöchige Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen.

Widerspruchserklärung rechtsmissbräuchlich

Der Klage auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der Verträge blieb über sämtliche Instanzen der Erfolg versagt. Der BGH wie auch die Instanzgerichte stuften den Belehrungsfehler als so geringfügig ein, dass die Erklärung des Widerspruchs viele Jahre nach Vertragsabschluss als Verstoß gegen Treu und Glauben zu werten sei. Der Belehrungsfehler sei deshalb nicht schwerwiegend, weil die Belehrung dem Versicherungsnehmer im Ergebnis nicht die Möglichkeit genommen habe, sein Widerspruchsrecht unter den im Wesentlichen gleichen Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Die Verletzung der Pflicht der Versicherung zu einer ordnungsgemäßen Belehrung habe daher für die Rechtsposition der Versicherungsnehmer keine gravierenden rechtlichen Folgen gehabt.

EuGH verbietet nicht die Gewichtung von Belehrungsfehlern

Diese Beurteilung des Widerspruchsrechts steht nach Auffassung des Senats nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH. Die von der Klägerin zitierten Urteile des EuGH beträfen anders gelagerte Fallkonstellationen. Der EuGH habe ein zeitlich praktisch unbegrenztes Widerrufsrecht (nicht Widerspruchsrecht) nach der EU-Richtlinie über Verbraucherkreditverträge 2008/48/EG für den Fall angenommen, in denen in der Widerrufsbelehrung vorgesehene zwingende Angaben fehlen (EuGH, Urteil v. 19.12.2019, C-355/18). Zu einer Differenzierung zwischen erheblichen und unerheblichen Belehrungsfehlern im Versicherungsvertragsrecht habe der EuGH sich in diesen Entscheidungen nicht geäußert.

EuGH lässt Rechtsbegrenzungen nach Treu und Glauben zu

Die Differenzierung zwischen schweren und weniger schweren Belehrungsfehlern weicht nach Auffassung des BGH auch nicht von Entscheidungen des EuGH zur Beurteilung des Einwandes von Treu und Glauben ab. Die Maßstäbe hierfür seien in der Rechtsprechung des EuGH geklärt. Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Fällen einer sehr späten Ausübung des Widerspruchsrechts stehe mit den Rechtsprechungsgrundsätzen des EuGH in Einklang (EuGH, Urteil v. 9.9.2021 C-33/20). Insbesondere lasse der EuGH auch die Berücksichtigung nationaler Rechtsgrundsätze zu Fragen von Treu und Glauben zu (EuGH, Urteil v. 24.2.2022, C-143/20).

Revision zurückgewiesen

Unter Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sind nach der Entscheidung des BGH die viele Jahre nach Vertragsabschluss im Jahr 2018 erfolgten Widerspruchserklärungen rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam. Die Revision gegen die klageabweisende Entscheidung der Vorinstanz hat der BGH daher zurückgewiesen.

(BGH, Urteil v. 15.2.2023, IV ZR 353/21)

Hintergrund:

Das sogenannte ewige Widerrufsrecht u. a. bei Lebensversicherungsverträgen ist immer wieder Gegenstand nationaler Gerichtsentscheidungen. Betroffen sind insbesondere in dem Zeitraum 29.7.1994 bis 31.12.2007 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge, da in diesem Zeitraum häufig gegen die Pflicht zur Belehrung über den Widerruf bzw. zur Belehrung über weitere Verbraucherrechte verstoßen wurde.

Ewiges Widerrufsrecht vom BGH grundsätzlich bestätigt

In den Jahren 2014, 2015 hatte der BGH grundsätzlich entschieden, dass das Recht zum Widerruf eines solchen Vertrages über Jahre fortbestehen kann, wenn über das Recht zum Widerruf bei Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist und damit der Lauf der Frist zum Widerruf niemals begonnen hat (BGH, Urteil v. 7.5.2014, IV ZR 76/11; BGH Urteil v. 29.7.2015, IV ZR 384/14 u. 448/14).

Beschränkung des Widerrufsrechts durch Einwand des Rechtsmissbrauchs

Dieses fast grenzenlose Recht zum Widerruf hat der BGH später durch die Ermöglichung des Einwands des Rechtsmissbrauchs wieder deutlich eingeschränkt. In den Fällen, in denen sich die Verletzung der Belehrungspflicht durch die Versicherungsgesellschaft auf rein formale Fehler beschränke, die die Kenntnisnahme des Versicherungsnehmers von seiner materiellen Rechtsposition nicht spürbar erschwere, könne eine sehr späte Ausübung des Widerrufsrechts rechtsmissbräuchlich sein (BGH, Urteil v. 10.2.2021, IV ZR 32/20). Diese Rechtsprechung hat der BGH mit seiner aktuellen Entscheidung zum speziellen Fall des Widerspruchsrechts gemäß § 5a VVG a.F. nun fortgeführt.


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