Rz. 60

Der Begriff der Angelegenheit ist insbesondere bei Beratungshilfe in Familiensachen umstritten. Vertreten wird etwa:

Es handelt sich um zwei Angelegenheiten, wenn die Beratungshilfe Regelungen für die Zeit vor der Scheidung (Trennungssachen) und solche danach (Scheidungssachen) betrifft. Die Vorschrift des § 16 Nr. 4 sei entsprechend anwendbar, so dass aus ihr gefolgert werden könne, wenn sich die Beratungshilfe auf Scheidungssachen und Folgesachen bezieht.[62]
Eine (entsprechende) Anwendung des § 16 Nr. 4 ist nicht möglich, weil diese Vorschrift lediglich das gerichtliche Verbundverfahren betrifft. Ohne weitere Anhaltspunkte kann auch nicht ein innerer Zusammenhang der zu regelnden Gegenstände (Trennung, Scheidung, Folgesachen) angenommen werden. Die Existenz dieser Vorschrift lässt vielmehr darauf schließen, dass die Scheidungs- und Folgesachen ohne diese Regelung verschiedene Angelegenheiten bilden würden und ein Verbundverfahren nur bei Anhängigkeit einer Ehesache existiert. Deshalb ist jeweils von verschiedenen Angelegenheiten auszugehen.[63]

In generalisierender Betrachtungsweise ist von bis zu vier Angelegenheiten auszugehen (Abgrenzung nach typisierten Komplexen), nämlich:

Scheidung als solche,
persönliche Verhältnisse zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht),
Fragen im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat,
finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhalt, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung).[64]
Die einzelnen Trennungs- und Scheidungsfolgen können derart unterschiedliche Lebenssachverhalte zum Gegenstand haben, dass die Annahme jeweils nur einer Angelegenheit verfehlt sei. Andererseits ginge die Auffassung zu weit, nach der die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf anfalle, eine eigene Gebühr auslöse. Die Scheidung bildet keine Zäsur, so dass für Beratungen für die Zeit der Trennung und nach der Scheidung nicht von dem Vorliegen nur zweier Angelegenheiten auszugehen ist. § 16 Nr. 4 ist nicht (analog) anwendbar.

In generalisierender Betrachtungsweise ist von bis zu sechs Angelegenheiten auszugehen, nämlich:

Ehesachen,
Kindschaftssachen,
Ehewohnungs- und Hausratssachen,
Versorgungsausgleichssachen,
Unterhaltssachen (Kindes- und Ehegattenunterhalt),
Güterrecht und sonstige Vermögensauseinandersetzungen.[65]
Es sei als sachgerecht anzusehen, die Beratung in Unterhaltssachen, Güterrechtssachen und Versorgungsausgleichssachen im Regelfall als eigenständige Angelegenheiten zu bewerten, es sei denn, es liege ein besonders einfach gelagerter Fall vor.[66] Die Beratungen würden sich hinsichtlich der jeweiligen Zielrichtungen bei der erforderlichen Sachaufklärung und der erforderlichen rechtlichen Beurteilung deutlich von den allgemeinen Vermögensauseinandersetzungen zwischen Geschiedenen, insbesondere im Rahmen des Güterrechts abheben.[67]
 

Rz. 61

Nach einer noch weitergehenden Auffassung bildet jeder Beratungsgenstand eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit. Ein Berechtigungsschein betreffend anwaltliche Beratungshilfe für "Trennung und alle daraus resultierenden Angelegenheiten" beschränkt den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegen die Staatskasse nicht auf eine Angelegenheit, sondern kann Gebührenansprüche für verschiedene Angelegenheiten begründen.[68]

 

Rz. 62

Das BVerfG formuliert übrigens:[69]

Zitat

"Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht vieles dafür, dass die Beratung über den Unterhalt des Kindes und das Umgangsrecht des Vaters nicht als dieselbe Angelegenheit gem. § 13 Abs. 2 S. 2 BRAGO anzusehen sind, um den Rechtsanwalt, der in der Beratungshilfe ohnehin zu niedrigeren Gebühren tätig wird, nicht unnötig zu belasten."

Daraus folgt, dass der Begriff der "Angelegenheit" in der Beratungshilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht wegen der ohnehin niedrigen Gebühren des Rechtsanwalts nicht zu weit gefasst werden darf.[70]

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