Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des § 16 Nr. 4 RVG ist auf das vorgerichtliche Beratungshilfeverfahren nicht analog anwendbar. Gewährt ein Rechtsanwalt daher pflichtgemäß Beratungshilfe in mehreren unterschiedlichen Familiensachen, deren Gemeinsamkeit lediglich darin liegt, dass sie Folge desselben Trennungskonflikts sind, so kann er grundsätzlich auch dann, wenn nur ein Berechtigungsschein erteilt ist, seine anwaltliche Tätigkeit in mehreren Angelegenheiten, entsprechend der Anzahl der betroffenen Lebenssachverhalte, gegenüber der Staatskasse abrechnen.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Entscheidung vom 18.10.2010; Aktenzeichen 3 T 237/10)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Staatskasse vom 29.10.2010 gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 18.10.2010 - 3 T 237/10 -, wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

 

Gründe

I. Die weiteren Beteiligten streiten um die der Antragstellerin zustehende Vergütung für ihre anwaltliche Tätigkeit in einem Beratungshilfeverfahren. Dem Rechtssuchenden war beim Amtsgericht ein Berechtigungsschein für die darin so bezeichnete "Angelegenheit: Beratung wegen Ehescheidung und Folgesachen" erteilt worden; die auf dieser Grundlage mandatierte Antragstellerin hatte sodann außergerichtliche Tätigkeiten in den Bereichen Trennung und Scheidung entfaltet und dabei insbesondere Fragen zum Sorgerecht und Kindesumgang, zur Hausratteilung und zu vermögensrechtlichen Regelungen bearbeitet. Diese einzelnen Tätigkeitskomplexe hat sie in ihrer Vergütungsabrechnung jeweils als getrennte Angelegenheiten behandelt und dafür insgesamt - auf dieser Berechnungsgrundlage der Höhe nach unbeanstandet gebliebene - 299,88 EUR geltend gemacht.

Der Kostenbeamte ist demgegenüber nur von einer (alle vorgenannten Komplexe umfassenden) Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ausgegangen und hat demgemäß lediglich eine Vergütung i.H.v. 99,96 EUR festgesetzt; die hiergegen erhobene Erinnerung der Rechtsanwältin hat das Amtsgericht zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung abgeändert und die beantragte Vergütung zugunsten der Beschwerdeführerin bewilligt. Hiergegen hat nunmehr die Staatskasse die - vom Landgericht ausdrücklich zugelassene - weitere Beschwerde eingelegt, mit der die Wiederherstellung des ursprünglichen Beschlusses verfolgt wird.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass gegenständlich unterschiedliche Familiensachen, für die ein Beratungshilfeschein erteilt ist, vergütungsrechtlich jedenfalls in der Regel unterschiedliche Angelegenheiten darstellen und daher entsprechend den in den verschiedenen Gegenständen erfolgten anwaltlichen Tätigkeiten, also nicht nur als eine einheitliche Angelegenheit, gemäß § 44 RVG gegenüber der Staatskasse abgerechnet werden können. So liegt der Fall auch hier.

Dass alle Folgen von Trennung und Scheidung allein wegen des gemeinsamen Auslösers der verschiedenen Konfliktpunkte einen inneren Zusammenhang aufweisen, der gebührenrechtlich ihre Zusammenfassung in derselben Angelegenheit rechtfertigte, vermag der Senat zumindest für den Bereich der Beratungshilfe nicht zu erkennen. Folgesachen kennt das Gesetz nur als Scheidungsfolgesachen, die für den Fall - und den Zeitpunkt der Eintritt der Rechtskraft - der Scheidung einheitlich zu regeln sind und deshalb mit der Ehesache selbst in einem Verfahrensverbund zusammengefasst werden. Auch insoweit bedarf es jedoch einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (§ 16 Nr. 4 RVG), um diese sachlich aufeinanderbezogenen und deshalb verfahrensrechtlich im Verbund zu verfolgenden Verfahrensgegenstände auch gebührenrechtlich als Einheit auszugestalten. Diese Vorschrift gilt indes nur für das gerichtliche Verbundverfahren, nicht jedoch für die vorgelagerte außergerichtliche Beratungshilfe (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 430; OLG Köln FamRZ 2009, 1345).

Eine analoge Anwendung von § 16 Nr. 4 RVG auf das Beratungshilfeverfahren scheidet aus Sicht des Senats aus. Zum einen fehlt es für eine Analogie an der dafür erforderlichen Regelungslücke im Gesetz, die zu füllen wäre. Zum anderen passt § 16 Nr. 4 RVG auf die kostenrechtliche Abwicklung des Beratungshilfeverfahrens schon deshalb nicht, weil im gerichtlichen Verbundverfahren der anwaltlichen Vergütung immerhin noch die kumulierten Gegenstandswerte der verbundenen Verfahrensgegenstände zugrunde gelegt werden, was die kostenrechtliche Auswirkung des Verbunds trotz der damit verbundenen Gebührendegression dämpft. Davon kann bei der Abrechnung der Beratungshilfetätigkeit indes nicht die Rede sein, weil dem Anwalt dort pro Angelegenheit nur eine streitwertunabhängige Festgebühr zusteht.

Das Beratungshilfegesetz selbst definiert den Begriff der Angelegenheit, an den die Frage des Vergütungsumfangs anknüpft, nicht. Die Auffassung, dass in Familiensachen alle Folgen einer Trennung und Scheidung als Gegenstand der Beratungshilfe dieselbe Angelegenheit beträfen, ve...

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