RVG §§ 15a, 50, 55 Abs. 5 S. 3, 58 Abs. 2, 56 Abs. 2 S. 1 RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 3100

Leitsatz

Eine vorprozessuale Geschäftsgebühr, die an den späteren PKH-Anwalt gezahlt wurde, ist nicht vorrangig auf dessen nach § 49 RVG zu berechnende PKH-Verfahrensgebühr, sondern gem. § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen. Nur soweit der Anrechnungsbetrag den Differenzbetrag zwischen Prozesskostenhilfevergütung und Regelvergütung übersteigt, kommt ein Abzug von dem gegen die Staatskasse festzusetzenden Anspruch in Betracht.

OLG Koblenz, Beschl. v. 30.7.2012 – 14 W 360/12

1 Sachverhalt

Der Beklagten und Widerklägerin wurde im Hauptsacheverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihr wurden die Rechtsanwälte R+S beigeordnet. Zuvor hatte die Beklagte den beigeordneten Rechtsanwälten für deren vorgerichtliche Tätigkeit bereits eine Geschäftsgebühr (535,60 EUR netto) nebst Postentgeltpauschalen und Umsatzsteuer gezahlt.

Nach Abschluss des Verfahrens beantragten die Bevollmächtigten der Beklagten die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr sowie einer 1,2-Terminsgebühr nebst Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer als PKH-Vergütung gegen die Staatskasse, insgesamt 731,85 EUR. Der tatsächliche Vergütungsanspruch gegen die Beklagte beläuft sich auf 1.359,58 EUR für das gerichtliche Verfahren ohne Berücksichtigung und Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr. Der Rechtspfleger beim LG hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt.

Hiergegen wendet sich der Bezirksrevisor mit seiner Erinnerung. Die Vertreter der Beklagten müssten sich die vorgerichtliche Geschäftsgebühr zur Hälfte (0,65) auf die nachfolgende Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anrechnen lassen. § 15a RVG gelte auch im Verhältnis zur Staatskasse, was sich im Umkehrschluss aus § 55 Abs. 5 S. 3 RVG ergebe. Nach der im Einzelnen dargelegten Vergleichsberechnung ist er der Auffassung, dass die aus der Staatskasse zu erstattende Verfahrensgebühr um 36,40 EUR netto zu kürzen ist.

Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie der zuständigen Kammer zur Entscheidung vorgelegt, die die Vergütung durch Beschluss der zuständigen Einzelrichterin in teilweiser Änderung des Festsetzungsbeschlusses um 36,40 EUR netto gekürzt und sie auf insgesamt 688,53 EUR festgesetzt hat.

Gegen diese Entscheidung, richtet sich die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten. Sie seien als Wahlanwälte tätig geworden. Eine Anrechnung habe nach § 58 Abs. 2 RVG nicht zu erfolgen, weil die gezahlte Geschäftsgebühr geringer sei als die Differenz zwischen der PKH-Vergütung und der Wahlanwaltsvergütung.

Das LG hat – nunmehr in Kammerbesetzung – entschieden, der Erinnerung nicht abzuhelfen und zugleich die Beschwerde zuzulassen, da die aufgeworfene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung habe, und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beschwerde hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Nach § 58 Abs. 2 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütung anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht.

Dass die Vorbem. 3 Abs. 4 VV grundsätzlich auch auf die Gebühren des beigeordneten Rechtsanwaltes anzuwenden ist, steht nicht im Streit. Hiervon geht der Senat mit den Parteien aus. Offen ist, ob und wie die vorgerichtlich gezahlte Geschäftsgebühr bei der Berechnung der PKH-Gebühren zu berücksichtigen ist.

Der Senat folgt der von Müller-Rabe (in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn 43) vertretenen Ansicht zur Anrechnung der gezahlten Geschäftsgebühr. Danach sind zunächst die gesamten Wahlanwaltsgebühren nebst Auslagen unter Berücksichtigung der anzurechnenden Geschäftsgebühr zu ermitteln. Sodann sind die von der Staatskasse zu erstattenden Kosten – ohne Anrechnung – sowie die vorgerichtliche Vergütung, die der Rechtsanwalt vom Mandanten erhalten hat, zu addieren. Nur wenn der Rechtsanwalt durch die vom Mandanten und der Staatskasse tatsächlich erfolgten Zahlungen mehr erhält als die Wahlanwaltsvergütung, kommt eine Anrechnung auf die PKH-Gebühren in Betracht (ebenso OLG München AGS 2010, 63; OLG Oldenburg v. 1.9.2011 – 13 W 29/11 unter ausdrücklicher Aufgabe der früher abweichenden Rspr. [= AGS 2011, 611]; OLG Brandenburg MDR 2011, 1206 [= AGS 2011, 549]; OLG Zweibrücken FamRZ 2011, 138 [= AGS 2010, 329]; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 58 Rn 8; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe und Beratungshilfe, 6. Aufl. 2012, Rn 796).

Allein diese Vorgehensweise entspricht nach Auffassung des Senates § 58 Abs. 2 RVG, der seinem Wortlaut nach nicht erkennen lässt, dass er nur bestimmte Vorschüsse oder Zahlungen anrechnungsfrei lassen will. Ausdrücklich werden von der Norm auch nicht nur frei verrechenbare Vorschüsse, sondern auch "Zahlungen" erfasst. Dass die Verfahrensgebühr grundsätzlich in voller Höhe und nicht nur in der um die Anrechnung verminderten Höhe entsteht, kann n...

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