Leitsatz (amtlich)

1. Die Anrechnungsvorschrift des § 58 Abs. 2 RVG ist auch auf den anzurechnenden Teil von Zahlungen auf eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anwendbar.

2. Danach ist der gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV anzurechnende Teil der gezahl-ten Geschäftsgebühr nicht sogleich auf die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu gewährende, gem. § 49 RVG berechnete Verfahrensgebühr (Prozesskos-tenhilfevergütung), sondern zunächst auf die Differenz zwischen der - jeweils insgesamt im gerichtlichen Verfahren entstandenen - Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskos-tenhilfevergütung anzurechnen (Aufgabe der im Senatsbeschluss vom 12.6.2008 - 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765 = JurBüro 2008, 527, vertretenen Auffassung).

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Beschluss vom 31.05.2011; Aktenzeichen 7 O 1473/10 (235))

 

Tenor

Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 31.5.2011 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Beklagte ist von der Klägerin auf Zahlung von 10.000 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen worden. Das LG hatte dem Beklagten Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Antragstellerin bewilligt.

Die Antragstellerin hat die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung von 828,60 EUR nach einem Streitwert von 10.000 beantragt; in diesem Betrag enthalten ist u.a. eine 1,3 Verfahrensgebühr i.H.v. 314,60 EUR zzgl. Mehrwertsteuer. Die Antragstellerin hat angegeben, für die außergerichtliche Vertretung des Beklagten in derselben Angelegenheit eine Geschäftsgebühr erhalten zu haben. Die Festsetzungsbeamtin des LG hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung auf 641,41 EUR festgesetzt und den darüber hinausgehenden Antrag mit der Begründung abgewiesen, die Geschäftsgebühr sei zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

Auf die dagegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin hat das LG die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Dagegen richtet sich die - vom LG zugelassene - Beschwerde der Staatskasse.

II. Das gem. § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässige Rechtsmittel, über das der Senat gem. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG in voller Besetzung entscheidet, hat in der Sache keinen Erfolg. Das LG hat die von der Antragstellerin geltend gemachte Vergütung mit Recht in voller Höhe festgesetzt.

1. Allerdings hat Senat entschieden, dass bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des später beigeordneten Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nur eine verminderte Verfahrensgebühr entsteht und damit die Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr nicht in Betracht kommt (OLG Oldenburg vom 12.6.2008 - 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765; ebenso OLG Saarbrücken, Beschl. v. 30.4.2009 - 5 W 127/09, juris). Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, es entspreche der - seinerzeit - gefestigten Rechtsprechung des BGH, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr verringere. Die Anrechnungsvorschriften des § 58 RVG seien in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Sie enthielten keine Sonderregeln darüber, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstünden und festzusetzen seien. Daher sei bei einer außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit die Verfahrensgebühr um die halbe Geschäftsgebühr zu kürzen (Senatsbeschluss, a.a.O., zitiert nach juris, Rz. 9, 10, 12 m.w.N.).

2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach der inzwischen erfolgten Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und der Einführung des § 15a RVG nicht mehr fest.

a) Gemäß § 15a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt, wenn nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen ist, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Mit dieser am 5.8.2009 in Kraft getretenen Regelung hat der Gesetzgeber den bisher nicht definierten Begriff der Anrechnung inhaltlich bestimmt und klargestellt, dass beide Gebührenansprüche grundsätzlich unangetastet bleiben (vgl. BT-Drucks. 16/12717, 58). Das gilt nach der inzwischen zu § 15a RVG ergangenen Rechtsprechung des BGH auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Vorschrift (vgl. nur BGH, Beschl. v. 10.8.2010 - VIII ZB 15/10, JurBüro 2011, 22, zitiert nach juris, Rz. 8 - 10 m.w.N.).

Damit lässt sich das entscheidende Argument, welches gegen eine Anwendung des § 58 RVG sprach, dass nämlich die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschriften von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, nicht mehr aufrechterhalten (so auch OLG Braunschweig, Beschl. v. 22.3.2011 - 2 W 18/11, RVGreport 2011, 254, zitiert nach juris, Rz. 11; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, RVG, 19. Aufl., § 58 Rz. 44; a...

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