Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe können nur die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Gebühren festgesetzt werden. Bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit entsteht aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nur eine verminderte Verfahrensgebühr. Die Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr kommt damit nicht in Betracht.

 

Verfahrensgang

AG Lingen (Beschluss vom 15.05.2008; Aktenzeichen 19 F 100/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des AG Lingen vom 15.5.2008 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Klägerin nahm den Beklagten gerichtlich auf Unterhalt in Anspruch, nachdem eine vorprozessuale Aufforderung keinen Erfolg hatte.

Der Klägerin war für den Rechtsstreit unter Beiordnung von Rechtsanwalt X, ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Nach Abschluss des Prozesses beantragte dieser die Festsetzung seiner Vergütung von insgesamt 1.212,78 EUR. Dieser Betrag enthält eine 1,3-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV. Den Gesamtbetrag hatte das AG am 31.10.2006 festgesetzt und angewiesen. Auf die Erinnerung des Bezirksrevisors vom 28.8.2007, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat, hat das AG die Festsetzung mit Beschluss vom 15.5.2008 geändert und die dem beigeordneten Klägervertreter zu zahlende Vergütung auf 991,86 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die aufgrund der außergerichtlichen Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zur Hälfte anzurechnen sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seiner Beschwerde vom 28.5.2008, mit der er geltend macht, dass der anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr zunächst mit der Differenz zwischen Wahlanwaltsvergütung und Prozesskostenhilfevergütung zu verrechnen sei. Damit ergebe sich ggü. der gezahlten Vergütung keine Differenz zugunsten der Staatskasse.

Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung ergeht gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG durch den Senat.

Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Das AG hat aus zutreffenden Erwägungen die aus der Staatskasse zu tragenden Kosten auf 991,86 EUR herabgesetzt, weil die Verfahrensgebühr nur zur Hälfte (0,65-fache = 190,45 EUR) anzusetzen ist.

Ein im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt hat Anspruch auf die gesetzliche Vergütung, soweit sich aus §§ 45 ff. RVG keine abweichende Regelung ergibt. Der Umfang seines Vergütungsanspruchs bestimmt sich dabei nach dem Beschluss über seine Beiordnung (§ 48 RVG). Da Prozesskostenhilfe nur für das gerichtliche Verfahren bewilligt zu bewilligen ist - für eine vorgerichtliche Tätigkeit ist ggf. Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen - kann ein Rechtsanwalt auch nur die Erstattung seiner im gerichtlichen Verfahren entstandenen Gebühren beanspruchen. Bei einer vorgeschalteten außergerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts vermindert sich jedoch die Verfahrensgebühr durch die hälftige Anrechnung der bereits zuvor in voller Höhe entstandenen Geschäftsgebühr. Gemäß §§ 45 Abs. 1, 48 RVG ist dementsprechend auch nur die geminderte Verfahrensgebühr anzusetzen.

Es entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr verringert, während das später eingeleitete gerichtliche Verfahren keinen Einfluss auf die bereits entstandene Geschäftsgebühr hat (BGH Beschluss vom 7.3.2007, NJW 2007, 2049; Beschluss vom 14.3.2007, NJW 2007, 2050; Beschluss vom 11.7.2007NJW 2007, 3500; Beschluss vom 22.1.2008, NJW 2008, 878). Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass Geschäfts- und Verfahrensgebühr teilweise denselben Aufwand vergüten. Ein Rechtsanwalt, der bereits im Rahmen seiner vorgerichtlichen Tätigkeit mit der Sache befasst gewesen ist, bedarf in der Regel für die Prozessvertretung eines geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwandes. Diesem Umstand trägt die nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV gekürzte Gebühr Rechnung (BGH Beschluss vom 22.1.2008, NJW 2008, 878). Daraus folgt notwendigerweise, dass bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren nur noch eine reduzierte Gebühr entsteht.

Entgegen der vom OLG Stuttgart (FamRZ 2008, 1013, ebenso OLG Hamm Beschl. v. 11.2.2008 - 6 WF 332/06) und in der Beschwerdebegründung vertretenen Ansicht sind in diesem Zusammenhang die Anrechnungsvorschriften des § 58 RVG ohne Bedeutung. Diese regeln nur das Verhältnis der von dritter Seite an den Rechtsanwalt geflossenen Zahlungen zu den Leistungen aus der Staatskasse. Sie enthalten jedoch keine Sonderregeln darüber, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstehen und festzusetzen sind (vgl. LAG Düsseldorf RVG Report 2008, 142...

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