Nach § 58 Abs. 2 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütung anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht.

Dass die Vorbem. 3 Abs. 4 VV grundsätzlich auch auf die Gebühren des beigeordneten Rechtsanwaltes anzuwenden ist, steht nicht im Streit. Hiervon geht der Senat mit den Parteien aus. Offen ist, ob und wie die vorgerichtlich gezahlte Geschäftsgebühr bei der Berechnung der PKH-Gebühren zu berücksichtigen ist.

Der Senat folgt der von Müller-Rabe (in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn 43) vertretenen Ansicht zur Anrechnung der gezahlten Geschäftsgebühr. Danach sind zunächst die gesamten Wahlanwaltsgebühren nebst Auslagen unter Berücksichtigung der anzurechnenden Geschäftsgebühr zu ermitteln. Sodann sind die von der Staatskasse zu erstattenden Kosten – ohne Anrechnung – sowie die vorgerichtliche Vergütung, die der Rechtsanwalt vom Mandanten erhalten hat, zu addieren. Nur wenn der Rechtsanwalt durch die vom Mandanten und der Staatskasse tatsächlich erfolgten Zahlungen mehr erhält als die Wahlanwaltsvergütung, kommt eine Anrechnung auf die PKH-Gebühren in Betracht (ebenso OLG München AGS 2010, 63; OLG Oldenburg v. 1.9.2011 – 13 W 29/11 unter ausdrücklicher Aufgabe der früher abweichenden Rspr. [= AGS 2011, 611]; OLG Brandenburg MDR 2011, 1206 [= AGS 2011, 549]; OLG Zweibrücken FamRZ 2011, 138 [= AGS 2010, 329]; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 58 Rn 8; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe und Beratungshilfe, 6. Aufl. 2012, Rn 796).

Allein diese Vorgehensweise entspricht nach Auffassung des Senates § 58 Abs. 2 RVG, der seinem Wortlaut nach nicht erkennen lässt, dass er nur bestimmte Vorschüsse oder Zahlungen anrechnungsfrei lassen will. Ausdrücklich werden von der Norm auch nicht nur frei verrechenbare Vorschüsse, sondern auch "Zahlungen" erfasst. Dass die Verfahrensgebühr grundsätzlich in voller Höhe und nicht nur in der um die Anrechnung verminderten Höhe entsteht, kann nach der Neuregelung in § 15a RVG nicht mehr bezweifelt werden. Damit ist das von der früheren Gegenauffassung herangezogene und als entscheidend qualifizierte Argument, welches gegen eine Anwendung des § 58 RVG sprach, dass nämlich die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschriften von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, nicht mehr aufrechtzuerhalten (OLG Braunschweig RVGreport 2011, 254).

Dass auch der Gesetzgeber von dieser Sichtweise ausgeht, lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen. Mit der Einführung des § 15a RVG ist die Regelung zu den erforderlichen Erklärungen im Vergütungsantrag des beigeordneten Rechtsanwalts in § 55 Abs. 5 RVG dahingehend ergänzt worden, dass bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben sind. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, mit diesen Angaben stünden dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötige, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln seien (BT-Drucks 16/12717, S. 59). Damit ist zugleich dem Argument des Bezirksrevisors entgegen zu treten, dass sich schon aus der Mitteilungspflicht in § 55 Abs. 5 RVG ergebe, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu erfolgen habe. § 55 Abs. 5 RVG sichert die Kontrollrechnung im Hinblick auf den Differenzgebührenanspruch des Rechtsanwaltes, sagt aber seinerseits nichts darüber aus, in welcher Form eine Anrechnung zu erfolgen hat. Hierfür ist allein § 58 Abs. 2 RVG bestimmend.

Aus der Entscheidung des 7. Zivilsenates des OLG Koblenz v. 27.1.2010 (7 WF 71/10) lässt sich nicht ableiten, dass die vorgerichtlich gezahlte Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. In diesem Fall kam es auf die Frage nicht an, weil die Geschäftsgebühr – anders als vorliegend – tatsächlich nicht ausgeglichen wurde. Nichts anderes gilt für die Entscheidung des OLG Frankfurt v. 12.12.2011 – 18 W 214/11.

Vorliegend beträgt die Wahlanwaltsvergütung für das gerichtliche Verfahren 1.359,58 EUR zuzüglich der hälftigen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr von netto 535,60 EUR nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer (= 342,48 EUR), mithin insgesamt 1.702,06 EUR. Die von der Staatskasse ohne Anrechnung der Geschäftsgebühr zu erstattende Vergütung beträgt demgegenüber 731,85 EUR nach der PKH-Tabelle zuzüglich der gezahlten Geschäftsgebühr von 661,16 EUR nach der Wahlanwaltstabelle, also 1.393,01 EUR. Da der Rechtsanwalt durch die tatsächlichen Zahlungen nicht mehr erhält, als ihm als Wahlanwalt zugestanden hätte, reduziert sich der Anspruch gegen die Staatskasse nach § 58 Abs. 2 RVG nicht.

Mitgeteilt von RiOLG Ernst Weller, Koblenz

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