Rz. 170

Der Grundsatz – keine (echte) Abfindung für Geschäftsführer – steht tendenziell vor einer Neubewertung. Angestoßen durch die Danosa-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09) hat sich eine breite Diskussion um Arbeitnehmer-/Kündigungsschutz für die Gruppe der – weisungsabhängigen und schutzbedürftigen – Fremdgeschäftsführer und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer bei der GmbH entwickelt (vgl. zum Kündigungsschutz oben § 16 Rdn 237 ff.; vgl. insgesamt zur neueren Entwicklung oben § 16 Rdn 148 ff., 162, 166). Denn der deutsche Gesetzgeber deckt M.E. den unionsrechtlich geforderten Schutz des Fremdgeschäftsführers und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nicht ab. Materiell-rechtlich kann das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers zwar durchaus – und nicht nur in Ausnahmefällen – ein (schutzbedürftiges) Arbeitsverhältnis sein (vgl. ausführlich zu den neuen Tendenzen in der Rspr. des EuGH, BGH und BAG sowie zum Rechtscharakter des GF-Vertrages oben § 16 Rdn 483 ff.). Gleichwohl wendet weder das BAG noch der BGH wegen der Negativfiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG die §§ 1 ff. KSchG – bislang – an (vgl. BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 865/16, juris negative Fiktion; vgl. ferner BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 25; BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, juris Rn 24; BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, juris Kündigungsfrist).

 

Rz. 171

Diese im Fluss befindliche Rechtsentwicklung könnte im Ergebnis dazu führen, dass die von der GmbH veranlasste Trennung von dem Geschäftsführer unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftsrechtlichen Organstellung zwar unter erleichterten Voraussetzungen, aber – ähnlich wie beim Leitenden – zukünftig vielfach nur mit einer Abfindung möglich ist. Diese Entwicklung wäre nicht per se unbillig. Denn es ist zwar dem BGH und BAG zuzustimmen, dass der Geschäftsführer die Arbeitgeberrolle im Unternehmen ausübt, dies sagt aber nichts über seine eigene Weisungsabhängigkeit gegenüber seinem Arbeitgeber, d.h. gegenüber der Gesellschafterversammlung bzw. – im Konzern – ggü. der Geschäftsführung oder dem Vorstand der Muttergesellschaft, aus. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen die Möglichkeit des weisungsfreien Handelns des Geschäftsführers gegen Null läuft, oder auch Nicht-GF-Tätigkeiten dem Geschäftsführer zugewiesen werden bzw. nach dem Anstellungsvertrag zugewiesen werden können (vgl. auch OLG München v. 27.10.2014 – 7 W 2097/14; LAG Köln v. 11.9.2013 – 11 Ta 377/11). In der Praxis gibt es zahlreiche Beispiele, in denen der Geschäftsführer bei seiner Tätigkeit einem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht i.S.v. § 611a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB unterliegt (vgl. dazu BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 26). Bei Abgrenzungsschwierigkeiten gilt der Grundsatz der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Durchführung (vgl. oben § 16 Rdn 748 ff.).

 

Rz. 172

Für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung, insbesondere für den EuGH dürfte mit Blick auf den Arbeitnehmerschutz des Fremdgeschäftsführers und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer auch eine Rolle spielen, dass Geschäftsführerverträge – anders als Vorstandsverträge – regelmäßig keine finanzielle Absicherung als Mehrjahresverträge (Vorstände i.d.R. 3–5 Jahre) zu bieten, sondern mit einer überschaubaren Frist kündbar sind. Dies bedeutet, dass der Geschäftsführer letztlich weniger geschützt ist als der Leitende und auch weniger Schutz als der Vorstand erhält (vgl. ausführlich zur Rspr. des EuGH, BGH, BAG oben § 16 Rdn 148 ff.; vgl. zur Abfindung bei leitenden Angestellten unten Rdn 192 ff.).

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