Rz. 748

Freie-Mitarbeiter-Verträge sind sehr weit verbreitet. Bei zahlreichen Unternehmen erfreuen sie sich großer Beliebtheit, z.T. drängen aber auch Mitarbeiter auf den Abschluss eines Freien-Mitarbeiter-Vertrages. Die Erscheinungsformen und Bezeichnungen sind vielfältig. Sie werden auch als Kooperations-, Beratungs-, Kommissions-, Vertriebspartner-, Subunternehmer-, Dienst-oder Werkvertrag, als kombinierte Miet-/Dienstverträge, Franchise-Verträge, Verträge mit Solo-Selbstständigen/-Unternehmern/Freelancern, Interim-Management (vgl. Reiserer/de Groot/Hagen, DStR 2021, 924) oder in anderer Weise bezeichnet, ohne dass es letztlich auf die Bezeichnung ankäme, wenn diese von der Wirklichkeit abweicht (siehe zum Risiko der Scheinselbstständigkeit unten Rdn 756 ff., sowie zu den Konsequenzen einer falschen Handhabung im Arbeitsrecht unten Rdn 814 ff., im Sozialversicherungsrecht unten Rdn 971 ff., und im Steuerrecht unten Rdn 1030 ff.).

 

Rz. 749

Für den Auftraggeber stellt sich die Frage der Beschäftigung eines freien Mitarbeiters überwiegend in Abgrenzung zu der Anstellung des Mitarbeiters als Arbeitnehmer, d.h. ob der "Auftraggeber" eher Arbeitgeber oder eher Auftrag-/Dienstgeber ist. Als Motive für die Beschäftigung eines Mitarbeiters als freier Mitarbeiter sind aus Auftraggebersicht zu nennen:

 

Rz. 750

Checkliste – Motive der Unternehmen/der Auftraggeber:

Größere Flexibilität, auf entsprechende Auftragslagen, insb. Auftragsspitzen, reagieren zu können;
Kostendruck;
Kalkulationssicherheit, Planbarkeit;
Eingehen auf die Wünsche/Interessenlage des Auftragnehmers;
erforderliches Spezial-Know-How zum Teil "nur selbstständig einkaufbar";
Berücksichtigung der Veränderung der Arbeitswelt;
neue Arbeitsmodelle;
Wegfall der Pflicht zur Erstellung eines Anstellungsvertrages in schriftlicher Form nach dem NachwG;
Wegfall der Anwendung der Normen des ggf. anzuwendenden Tarifvertrages;
kürzere Kündigungsfristen gem. § 621 BGB, da die Kündigungsfristen für Arbeitnehmer des § 622 BGB keine Anwendung finden;
Wegfall des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes, da das KSchG nur für Arbeitnehmer gilt, d.h. keine Abfindungen;
Wegfall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen nach dem EFZG bzw. bei sonstiger Verhinderung nach § 616 BGB;
Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes bei Schwangerschaft, nach der Geburt, in der Elternzeit und bei Schwerbehinderung;
Wegfall des Mindesturlaubes nach dem BUrlG;
Wegfall von Elterngeld und Elternzeit nach dem BEEG;
Wegfall von Lohnnebenkosten, keine Arbeitgeberanteile zur Altersversorgung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung;
Wegfall der Kosten für Lohnbuchhaltung, Begleichung nur von Honorarrechnungen;
  Wegfall betrieblicher Mitbestimmungsrechte;
Wegfall des Mindestlohngesetzes;
Übertragbarkeit von Haftungsrisiken auf freie Mitarbeiter anstelle der eingeschränkten Haftung für Arbeitnehmer;
Möglichkeit karenzentschädigungsfreier nachvertraglicher Konkurrenzschutzklauseln; anders aber für "wirtschaftlich abhängige" freie Mitarbeiter (vgl. Düsseldorf v. 9.9.2004 – 6 U 38/04, juris; BAG v. 21.1.1997 – 9 AZR 778/95, NZA 1997, 1284 = DB 1997, 1979; LAG Köln v. 2.6.1999, NZA-RR 2000, 19);
keine Anwendung des AÜG bei echten Freelancern;
Wegfall des Überschreitens von Schwellenwerten nach den KSchG, BetrVG u.a.;
Pflicht zur Zeugniserteilung allenfalls bei einem "dauerhaften" Dienstverhältnis, (vgl. Hohmeister, NZA 1998, 571 sowie LAG Hamm v. 9.9.1999, NZA-RR 2000, 575).
 

Rz. 751

Ursprünglich tendierte die Rechtsprechung zu den Linie, dass trotz dieser Motive viele Aufgaben in einem Unternehmen so angelegt seien, dass aufgrund der Art der Erledigung, der Bedeutung der Tätigkeit für das Unternehmen oder aus anderen Gründen eine so starke Einbindung und Eingliederung des Mitarbeiters in das Unternehmen erforderlich ist, dass bei rechtlicher und tatsächlicher Würdigung die Beschäftigung eines (selbstständigen) freien Mitarbeiters für viele Aufgaben nicht oder nur eingeschränkt in Betracht komme (vgl. BAG v. 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, NZA 1995, 622, DB 1995, 1767).

 

Rz. 752

Heute hat sich das Bild gewandelt. Nach ständiger Rechtsprechung können zahlreiche Tätigkeiten sowohl im Rahmen von Arbeitsverhältnissen als auch im Rahmen von anderen Vertragsverhältnissen erbracht werden (st. Rspr., vgl. u.a. BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, juris Rn 38; BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 851/16; BAG v.11.8.2015 – 9 AZR 98/14; BAG v. 21.7.2015 – 9 AZR 484/14; BSG v. 13.8.2021 – B 12 R 8/21 B, juris Rn 14; BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rn 16; LSG Baden-Württemberg v. 14.2.2012 – L 11 KR 3007/11, juris Ls. 1). Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der abhängigen Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit erbracht wird (vgl. BSG v.13.8.2021 – B 12 R 8/21 B, juris Rn 14: ein und derselbe Beruf; LSG Berlin-Brandenbu...

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