Von der Fachkompetenz zur Führungskompetenz

Eine hohe Fachkompetenz ist nicht gleich Führungsqualität. Denn Führungskompetenz heißt, zu wollen, dass andere sich weiterentwickeln und sie dabei zu unterstützen. Dieser Differenz gilt es sich bewusst zu werden, mahnt Kolumnist Boris Grundl.

Das geschieht so oder so ähnlich immer wieder: Ein genialer Digitalisierungsexperte für den Innenraum von Fahrzeugen wird von einem Automobilhersteller abgeworben. In seiner neuen Funktion als Topmanager versagt er kläglich. Sein Team wendet sich gegen ihn. Blockade anstatt Fortschritt. Oder ein exzellenter Entwickler von Hightech-Lasern wird wegen seiner Fachkompetenz zum Entwicklungschef ernannt. Dennoch erlahmt nach und nach die Innovationsführerschaft, das Unternehmen wird von Mitbewerbern eingeholt. Warum passiert das?

Der Unterschied zwischen Fach- und Führungskompetenz

Hier wird der Unterschied zwischen Fachkompetenz und Führungskompetenz sichtbar. Ihn zu verstehen, ist in der Unternehmenspraxis von sehr hoher Relevanz. Wer sein Fachthema wirklich gefunden hat, wird mit großer Freude immer tiefer eintauchen. Mental herrscht das Motiv: Ich möchte tiefer verstehen. Die besten Lösungen präsentieren. In Summe: Ich möchte weiter vorankommen, Karriere machen. Ich, ich, ich ... Das ist weder gut noch schlecht, sondern es ist einfach so. Hohe Fachkompetenz ist sehr, sehr wichtig für jede Art von Unternehmung.

Hinter Führungskompetenz steckt diese mentale Haltung: Ich möchte, dass andere vorankommen. Dass sie meine Hilfe nicht mehr brauchen. Es geht um das ehrliche Interesse, dass andere sich entwickeln. Die Antwort auf die zentrale Frage jeglicher Führung: Wie mache ich mich überflüssig, während die Ergebnisse immer besser werden? Fach- oder Führungskompetenz – eine dominiert meistens. Ist es die Fachkompetenz, muss ich lernen, andere zu entwickeln. (Das geht!) Ist die Lust, andere zu entwickeln, angelegt, muss ich mein fachliches Interesse ausbauen. (Auch das geht!) Beides ist möglich und wünschenswert. Generell gilt, Fachkompetenz ist der Einstieg in eine Karriere, und Führungskompetenz limitiert dann diese Karriere. Die Krux ist der Übergang von der Fach- zur Führungskompetenz.

Von der Lust, andere zu entwickeln

Führungskompetenz ist mehr als Produktentwicklung, Marketing, Controlling oder Vertrieb. Es ist die innere Haltung, sich und andere nach vorne zu bringen. Die anderen nicht als Störer der eigenen Karriere zu empfinden. Warum funktionieren die nicht besser? Warum sind die nicht genauso ambitioniert wie ich? Führungskompetenz entwickelt sich am besten mit dieser Haltung: Was muss passieren, damit der andere der beste Mensch wird, der er sein kann? Seine vollen Potenziale entfaltet? Wie kann ich seiner Entwicklung dienen?

Die Lust, andere zu entwickeln, sieht so aus: Stell dir vor, du hast ein vierjähriges Mädchen. Das Dreirad ist jetzt zu langsam. Es bekommt also ein Fahrrad, wie seine ältere Schwester. Du übst und übst mit dem Mädchen. Schließlich nimmst du die Stützräder weg, und es fährt von allein. Du bist unglaublich stolz auf diesen Schritt der Entwicklung. Das ist die Haltung hinter Führungskompetenz. Und daran scheitern die meisten. Bitte werde dir dieser Differenzierung immer bewusster und hilf anderen dabei, ein ehrliches Interesse an der Entwicklung anderer zu erlernen. Denn daran mangelt es vielen Organisationen.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.