Fördere keine Fehlerkultur!

Fehler macht niemand gerne - sollte man meinen. Doch seit einiger Zeit möchten sich Gründerinnen und CEOs beinahe überbieten in den schon begangenen Fehlern und propagieren eine "Fehlerkultur". Kolumnist Boris Grundl sieht das kritisch.

Hier ist einer dieser Sätze, die inzwischen einige zur Weißglut treiben: "Jede Krise ist eine Chance." Jemand befindet sich gerade in einer sehr schmerzlichen Lage und schon fliegen ihm ungefragt Ratschläge wie Regentropfen bei einem Starkgewitter um die Ohren. Natürlich kann eine Krise zur Chance werden. Doch zunächst ist sie einfach nur schmerzhaft und unangenehm. Die Frage ist: Was passiert in diesem Bereich gerade? Was passiert da genau?

Zum einen steigt die Anzahl der Personen, die anderen in Krisensituationen gerne Ratschläge geben würden, ins Unermessliche an. Der Coachingausbildungswahn ist aus meiner Sicht zu einer echten Plage geworden. Es gibt einfach zu viele, die die Dinge nur verstehen und selbst nicht beherrschen. Zu viele, die Transformation zwar kennen, aber nicht können. Weder bei sich selbst noch bei anderen. Deren kluge Worte sind zwar richtig, bleiben jedoch im Empfinden theoretisch.

Es wird gefeedbackt, wo es gar nicht passt

Doch Coachees suchen keine Theorie, sie sehnen sich nach echter Weisheit. Nach Authentizität. Nach einer Stimmigkeit, die ihnen Orientierung gibt. Menschen wünschen sich jemanden, der Transformation wirklich kann. Doch weil sich momentan so viele zum Speaker, Trainer oder Coach berufen fühlen, passieren auch Fehler. Da wird drauf los gefeedbackt, obwohl das Timing vielleicht gar nicht passt. Da wird Nähe erzeugt, wo Distanz nötig wäre … Hier übertönt der Wunsch nach Bestätigung der eigenen Daseinsberechtigung das Gespür für ein passendes Timing oder das nötige Mitgefühl, was der andere gerade wirklich braucht.

Natürlich stimmt die Aussage auch, dass Krisen Chancen in sich tragen. Dass in Niederlagen der Weg zum Sieg verborgen ist. Dass aus überwundenen Widerständen eine Treppe zum Erfolg gebaut werden kann. Das alles stimmt. Jedoch sprechen aus meiner Sicht viele über diese Themen zu pauschal, zu wenig differenziert. Ein besserer Ansatz als ein platter Kalenderspruch wäre zum Beispiel folgende Frage: "Was muss denn passieren, damit aus der aktuellen Krise, aus der schmerzhaften Niederlage eine Chance, ein Gewinn wird?" So gefragt wird die Sache für mich rund. Der Geist macht sich auf die Suche nach der Lehre hinter dem Fehler, nach der Lektion hinter dem Schmerz. Meine Bitte: Sagen Sie nie wieder, dass jede Krise eine Chance ist. Sondern fragen Sie lieber sich und andere: Was muss passieren, damit aus dieser Niederlage ein Sieg wird? Bitte!

So viele Fehler machen wie möglich?

Wer aus dieser Perspektive auf die Sache drauf schaut, dem begegnet sofort ein weiteres abgegriffenes Wort. Der Begriff drängt sich so unangenehm auf wie Stechmücken an heißen Sommerabenden: "Fehlerkultur". Hinter diesem Buzzword steckt die Aufforderung, dass Menschen Fehler machen sollen – statt in einer Fehlervermeidungshaltung zu verharren. Diese Absicht wäre sehr lobenswert. Doch was erleben wir in der Praxis bei der Transformation von Firmenkulturen? 

Trotz bester Absichten verstehen Menschen unter dem Wunsch nach einer "Fehlerkultur" emotional noch immer "FehlerVERMEIDEkultur". Denn die Macht der Worte wirkt beeindruckend. Allein vom Wortlaut her ruft "Fehlerkultur" lediglich zum Fehlermachen auf, nichts weiter. So auf die Art: "Kommt ihr lieben Mitarbeitenden, tappt in viele Fallen! Geratet auf möglichst viele Abwege! Irrt euch gewaltig!" Das sagt das Wort. 

Fehler machen bedeutet nicht automatisch Erfolg

Das Problem an der Sache: Fehler machen ist zunächst einmal schlicht und ergreifend unangenehm. Punkt. Menschen tendieren immer dazu, Irrtümer zu vermeiden. Pannen sind im eigenen System unerwünscht. Genau wie Krisen. Denn im Fehler allein liegt ebenso wenig die nächste Treppenstufe zum Erfolg wie in der Krise. Wieder geht es vielmehr um die Frage, wofür der Fehler gut war. Oder gut sein könnte. Wohin führt mich die Erkenntnis, die ich durch das Scheitern bekommen habe?

Um dieses Gedankenspiel bereits im eigentlichen Wort zu transportieren, eignet sich am besten der Begriff FehlerLERNkultur. Denn: Im Hinnehmen von Irrtümern allein liegt kein Gewinn. Nur durch die Transformation des Fehlers kommen wir weiter. Meine zweite Bitte für heute: Weil Worte Kulturen prägen, weil Formulierungen tiefe Emotionen auslösen – seien Sie so weise und verändern Sie Ihr Wording. Lehren Sie eine FehlerLERNkultur. Auf was Sie dabei achten müssen, wissen Sie jetzt.

Von Herzen wünsche ich Ihnen viel Erfolg und gutes Gelingen!


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des  Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.