Intrinsische Motivation statt reiner Disziplin

Die "deutsche Disziplin" wird im Ausland zugleich bewundert und belächelt. Doch so gut es ist, auch Unbeliebtes einfach durchzuziehen, so viel besser ist es, mit Wollen statt Müssen von der Disziplin zur Konsequenz zu gelangen. Warum, erklärt unser Kolumnist Boris Grundl.

Disziplin - es mag erstaunen, dass diese preußische Kerntugend hier unter die Lupe genommen wird. Was wäre unser Leben denn ohne sie? Die deutsche Disziplin wird als Allheilmittel jeglicher Veränderungsprozesse gepriesen. Mit ihr geht alles und ohne sie eben nichts. Ob abnehmen, berufliche Karriere oder Fremdsprachen: Es sei wichtig, dranzubleiben, Dinge durchzuziehen und zu Ende zu bringen, heißt es. Die Tugend der Disziplin wird sehr gehypt. Worte wie "eiserne Disziplin" oder der Zwillingsbruder "eiserner Wille" unterstreichen dieses Konzept. Und was ist daran nun auszusetzen?

Disziplin ist Antrieb von außen

Zugegeben: Wir sind hier schon in einem der oberen Regale der Selbstführung. Du schreitest zur Tat. Disziplin bedeutet: Du tust, was du halt tun musst. Wenn du diszipliniert deinen Job machst, verdrängst du immerhin nicht. Du klagst auch weder die Umstände noch jemand anderen noch dich selbst an. Doch Disziplin ist kein Allheilmittel. Denn sie bedeutet, dass du eigentlich nicht willst. Du machst es, weil du musst und weil du das einsiehst. Das ist auf Dauer keine Basis für besondere Ergebnisse. Denn Disziplin brauchen Menschen nur, solange sie noch nicht wirklich wollen, solange sie noch nicht überzeugt sind, sondern überzeugt werden müssen. Der Antrieb kommt dann noch zu sehr von außen. Wir sind noch nicht in unserem Innen angekommen. Das Problem: Disziplin ist wie ein Muskel. Sie ist erschöpfbar. Wenn wir zu viel mit Disziplin machen, werden wir müde. Wir brennen aus. Und das wird unterschätzt.

Intrinsische Motivation statt Disziplin

Deshalb ist Disziplin eine großartige Startenergie. Sie erleichtert den Anfang – danach geht es um etwas Anderes. Wer aus innerer Überzeugung sagt: "Ich will das tun" und nicht: "Ich muss das tun", den treibt eine andere Kraftquelle. Wer sich selbst überzeugt hat, dessen Motivation ist intrinsisch. Sie kommt aus ihm selbst. Sie gehört zum Schatz, den man in sich trägt. Man muss sie nicht mehr von anderen beziehen. Wer intrinsisch motiviert ist, braucht keine Disziplin mehr. Er muss nichts mehr "durchziehen" oder beweisen, sondern kann sich hingeben und alles fließen lassen.

Ein Beispiel: Eine Kollegin übernimmt ein anstrengendes und unattraktiv scheinendes Projekt. Dazu gehört sicher Disziplin. Aber nur mit Disziplin erkennt sie nicht, dass sich da eine wunderbare Zukunftschance für das Unternehmen auftut. Dazu gehören Begeisterungsfähigkeit und die Bereitschaft, diese Chance mit Dankbarkeit zu ergreifen. Oder: Wenn ich anfange, ein neues Buch zu schreiben, braucht es Disziplin, um das Projekt aufs Gleis zu setzen, mir den Aufbau zu überlegen, zu recherchieren und mir die ersten Sätze abzuringen. Aber je weiter ich komme, desto mehr lenkt mich tiefe Inspiration. Ganz vieles startet mit einem Muss. Doch wenn wir ein Thema geistig in Besitz nehmen, verwandelt sich Disziplin in Konsequenz.

Der Weg ist das Ziel

Beobachte dich mal genau. Du hast das sicherlich schon oft gemacht. Ab jetzt kannst du es aber bewusst tun. Konsequenz heißt: Ich will es tun. Sie bringt uns geistig in die völlige Gegenwart. In die reine Präsenz. Sie lässt die Vergangenheit hinter sich und lässt uns jede Sekunde, jeden Moment frisch und wach neu anfangen. Ganz da sein. Erst jetzt wird der Weg zum Ziel. Sonst werden "Ziele zum Weg". So leben die meisten Menschen, und bleiben deswegen weit unter ihren Möglichkeiten. Denn "Ziele als Weg"-Haltung ermüdet dich mit der Zeit. Disziplin heißt: Ich muss etwas zu Ende bringen. Konsequenz heißt: Ich darf anfangen, jetzt.

Geistige Inbesitznahme beginnt also mit Disziplin und wird hoffentlich zur Konsequenz der ganzen mentalen Präsenz – ein Geheimnis, das viele nicht kennen und noch weniger können. Das gilt auch für den Satz: Der Weg ist das Ziel. Wer das anwendet, für den werden überwundene Widerstände zum Weg, der sich unter die Füße schiebt. Diese Erkenntnis, diese Einsicht wünsche ich dir von Herzen.


Über den Kolumnisten: Boris Grundl ist Führungskräftetrainer und gilt bei Managern und Managerinnen sowie Medien als "Der Menschenentwickler" (Süddeutsche Zeitung). Er ist Inhaber des Grundl Leadership Instituts, das Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Dafür erforscht, testet und lehrt das Institut hochwertige, praxisrelevante Unterscheidungen - als Voraussetzung für Wahrnehmung und Erkenntnis.

Schlagworte zum Thema:  Personalentwicklung, Mitarbeiterführung