Kolumne: Warum Lerntransfer scheitert

Die Gesichter glühen. Die Euphorie der Begeisterung ist auf dem Höhepunkt. Das Seminar nähert sich dem Ende. Alle Teilnehmenden sind voller guter Vorsätze. Ja, ab morgen wird umgesetzt. Doch im Alltag ist plötzlich alles so schwer. Und keiner holt sich Hilfe. Warum eigentlich, fragt sich unser Kolumnist Axel Koch.

Erfreulicherweise gibt es Firmen, die ihren Mitarbeitenden Transferunterstützung anbieten. Allerdings nicht als Pflichtprogramm, sondern als freiwillige Option. So habe ich es zum Beispiel bei einem großen Technologieunternehmen erlebt. In dem flächendeckenden Führungskräftetraining ging es darum, Entwicklungsgespräche zu führen. Dies sollte auf der Basis eines neu eingeführten Kompetenzmodells erfolgen. Da Führungskräfte wenig Zeit haben, dauerte die Schulung einen Tag.  Von Seiten der Personalentwicklung war die klare Botschaft an die Teilnehmenden, dass sie sich gerne Transfercoachings buchen könnten, um dann bedarfsgerecht Unterstützung zu bekommen. Angesichts der aufkommenden Themen und Fragen im Training, hatte ich erwartet, dass viele das Angebot in Anspruch nehmen würden. Doch wie ich später erfuhr, war die Zahl der Interessenten  homöopathisch. 

Nun hätte dies ein Einzelfall sein können. Aber Gespräche mit Trainerkollegen und Trainerkolleginnen oder L&D-Professionals spiegeln ganz oft die gleiche Erfahrung wider. Es meldet sich keiner. Schweigen im Walde.

Erfolgsmusterfalle: Gewohnheiten sind hartnäckig

Bei der Gelegenheit die Frage: Holen Sie sich Hilfe, wenn es beim Lerntransfer hakt? Ich habe mich gefragt, woran es liegt, dass sich die meisten nicht rühren. Bei Selbstzahlern kommt einem schnell in den Sinn, dass jemand die Kosten scheut, die solch ein Einzelcoaching mit sich bringt. Aber wenn die Firma zahlt, ist das Argument vom Tisch.

Also kann es doch nur an der Motivation liegen? Die Euphorie aus dem Seminarraum verlischt so schnell wie Silvesterraketen am dunklen Nachthimmel. Der Alltag kehrt ein. Bei Licht betrachtet, ist die Umsetzung eines Vorsatzes mehr "nice to have" als zwingend nötig. "Es läuft ja", ist so ein gern gehörter Satz. Psychologisch betrachtet schnappt hier die sogenannte Erfolgsmusterfalle zu. Sie besagt, wenn wir erstmal Gewohnheiten aufgebaut haben, die ganz erfolgreich sind, halten wir daran fest, selbst wenn sich zeigt, dass es bessere Optionen gibt oder sich die einst guten Gewohnheiten überholt haben.

Aber da gibt es noch etwas, was nicht gleich auf der Hand liegt. Ich bin da auch erst darauf gekommen, als ich der Sache noch tiefer auf den Grund gegangen bin.

Beste Voraussetzungen für den Lerntransfer

Mein Aha-Erlebnis war ein Gespräch mit einem Finanzberater. Er war sehr an seiner eigenen Entwicklung interessiert. Er wollte besser werden und seinen Verkaufserfolg steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er sündhaft teure mehrtägige Schulungen besucht. Und diese auch selbst bezahlt. Der Mann war bis unter die Haarspitzen motiviert. Beste Voraussetzungen also für den Lerntransfer. Denn ihm würde es im Portemonnaie wehtun, wenn er keinen Return on Invest hinbekäme. Anders als in Firmen, wo die Teilnehmenden von den Kosten nichts spüren, weil die Firma alles bezahlt. Ähnlich als wenn wir beim Arzt die Gesundheitskarte durchziehen lassen und der Arztbesuch gefühlt kostenlos ist.

Der Finanzberater klagte nun, dass es mit der Umsetzung nicht richtig klappte. "Ich komme nicht in die Füße. Ich habe zum Beispiel gelernt, wie mich mein eigenes Denken beim Verkaufserfolg blockiert, aber es fällt mir total schwer, es anders zu machen." Er wusste, was er alles tun müsste. Aber er schaffte es nicht, den Knoten bei sich durchzuschlagen.

Er hätte sich beim Trainer Hilfe holen können. Er tat es aber nicht, obwohl er es sich finanziell hätte leisten können. Als er mir das alles erzählte, merkte ich, wie ich innerlich ganz angespannt wurde. Warum nur machte er nichts? Die Frage hämmerte in meinem Kopf, wie ein Buntspecht an einen Baumstamm pocht. Und dann kam er heraus mit der Sprache. Ganz zögerlich.

Lerntransfer und Leadership

"Ich habe den Anspruch an mich, dass ich es selbst schaffen muss", sagte er. "Mir ist es peinlich, wenn ich es nicht hinkriege." Schamgefühl also, dachte ich. Es ist ihm unangenehm, sich das eingestehen zu müssen. Hilfe holen bedeutet persönliches Versagen. Solch ein Schamgefühl entsteht, wenn Menschen denken, sie seien schwach. Und wenn solch eine Schwäche in einer Gesellschaft oder Unternehmenskultur nicht akzeptiert ist, bleibt als Reaktion nur Schweigen übrig.

Ich dachte an die Erfahrung im eingangs erwähnten Technologieunternehmen zurück. Vor sich selbst zu sagen, ich schaffe es nicht, ist schon schlimm. Aber noch viel schlimmer ist es, dies öffentlich zu tun. Welche gestandene Führungskraft will sich die Blöße geben und zur Personalentwicklung gehen und sagen: "Sorry, ich schaffe das nicht." Was könnten die dann denken? Vielleicht: "Na, wenn die nicht mal den Lerntransfer schafft, wie will die dann ihre Abteilung führen. Oh Gott, ich wusste es. Unsere Führungskräfte können echt nichts."

Es wäre nun zu kurz gedacht zu denken: Das sind alles Memmen, Feiglinge, die sich lieber damit zufriedengeben, nichts umzusetzen, anstatt für ihren Lerntransfer zu kämpfen. Denn psychologisch gesehen ist das eigene Selbstkonzept bedroht. Was lässt sich also tun?

Hilfe beim Lerntransfer muss salonfähig werden

Im Grunde ist es ganz einfach: Es gilt das Thema "Umsetzungsschwierigkeiten" aus der Schmuddelecke zu holen und diese Erfahrungen als ganz normal einzustufen. Es ist kein Einzelproblem oder persönliche Unfähigkeit, sondern den meisten Menschen fällt Lerntransfer schwer. Gerade wenn es darum geht, gewohntes Denken und Verhalten zu verändern. Sich Hilfe zu holen, ist die richtige Norm. Wir holen uns ja auch einen Dachdecker, wenn ein Sturm die Dachziegeln weggeweht hat. Schämen muss sich der, der einen Performance-Verlust in Kauf nimmt, anstatt sich aktiv für den eigenen Lerntransfer einzusetzen.

Sammeln Sie am besten mit den Teilnehmenden in einer Schulung die Situationen, in denen sie scheitern könnten. Ermutigen Sie sie, sich dann Unterstützung zu holen. Arbeiten Sie konkret heraus, was genau zu tun ist. So wird das Thema salonfähig.


Prof. Dr. Axel Koch ist promovierter Diplom-Psychologe und arbeitet als Dekan der Fakultät Wirtschaftspsychologie und Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning (bei München). In seiner Forschung befasst sich Koch mit dem Thema Lerntransfer und nachhaltige Veränderung. Er hat über 25 Jahre Erfahrung als Personalentwickler, Trainer und Coach. Er steckt hinter dem Pseudonym "Richard Gris", unter dessen Namen 2008 das Buch "Die Weiterbildungslüge" erschien.