Kolumne: Direktansprache im Wandel der Zeiten

Heute muss der Headhunter eigentlich nicht mehr anrufen - Xing, Linkedin und Co. übernehmen seine Funktion. Allerdings verspricht das nicht immer mehr Erfolg. Zu diesem Fazit kommt Kolumnist Martin Claßen, der den Wandel der Direktansprache unter die Lupe nimmt.

In der digitalen Steinzeit war eine Direktansprache von Kandidaten für Headhunter schwierig. Zunächst mussten sie die Dame in der Telefonzentrale mit einer nebulösen Story einwickeln. Dazu galt es die jeweilige Sekretärin als Mauer der Abschreckung zu überwinden. Erst dann wurde ein Headhunter durchgestellt.

"Candidate Search" war, von Edelrollen in den oberen Zehntausend abgesehen, damals überhaupt ziemlich verpönt. Lieber kaufte sich ein am Stellenwechsel Interessierter samstags die FAZ oder die Süddeutsche und blätterte am Frühstückstisch durch die einhundertseitenstarke Beilage mit Jobofferten – die sich im Layout kaum von Todesanzeigen unterschieden.

Neue Zeiten im Headhunting dank Handys und Internet

Dann kamen Mitte der neunziger Jahre Mobiltelefone auf, kurzzeitig noch als Statussymbol vom Hauptabteilungsleiter aufwärts und bald schon mit flächendeckender Verbreitung für den jederzeitigen und unmittelbaren Zugang. Headhunter brauchten nur noch die Nummern interessanter Kandidaten über ihre verschlungenen Kanäle in Erfahrung bringen.

Heute im Internetzeitalter haben sich nochmals weitere Ansprachemöglichkeiten etabliert, dreigeteilt in Privatnetzwerke wie Facebook, Businessnetzwerke wie Xing und Jobbörsen wie Stepstone. Bei den meisten Headhuntern hat sich mittlerweile der Sinngehalt des Worts "privat" herumgesprochen. In Facebook möchten die allermeisten Menschen mit beruflichen Dingen in Ruhe gelassen werden. Danke!

Soziale Netzwerke fungieren als virtuelle Headhunter

Die Geschäftsmodelle von Xing (gehört zu Burda), Stepstone (gehört zu Axel Springer) und anderen zielen jedoch bewusst auf eine Maklerrolle zwischen Unternehmen und Kandidaten, quasi als virtuelle Headhunter von High Potentials. Die sehen sich die Offerten nicht mehr nur samstags am Frühstückstisch, sondern permanent mittels Smartphone an. Oder sie werden angesprochen.

Die Studie "Jobsuche 2014" von Stepstone fand heraus, dass 18 Prozent der Kandidaten einer Bewerberdatenbank wöchentlich oder sogar täglich kontaktiert werden. Außerdem fänden 43 Prozent der Kandidaten eine Kontaktaufnahme im Wochen- oder sogar Tagestakt "gut".

Der Gap zwischen Wunsch und Wirklichkeit

43 Prozent minus 18 Prozent sind 25 Prozent und damit ein Viertel aller Kandidaten in Bewerberdatenbanken. Diese möchten täglich oder zumindest wöchentlich angesprochen werden, bekommen aber in der Realität deutlich seltener eine konkrete Offerte angeboten. Das erzeugt Enttäuschungen.

Wenn Sie also in der Airport-Lounge oder andernorts mal wieder ein hoffnungsvolles Gesicht beim Blick aufs Smartphone in Frust umschlagen sehen, können Sie sich einen möglichen Grund denken: "Interessanter Kandidat" und "interessierter Kandidat" sind eben zwei nur mäßig deckungsgleiche Zielgruppen von Bewerberdatenbanken.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.