Interview: Corona-Impfquote im Betrieb steigern

Knapp eine Million Menschen sind seit Juni 2021 von Betriebsärzten gegen Corona geimpft worden – zu wenig, um die Impfquote in Deutschland nennenswert zu steigern. Wir haben mit dem Gesundheitsexperten Volker Nürnberg darüber gesprochen, wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden zum Impfen motivieren können.

Haufe Online Redaktion: Die Impfung durch die Betriebsärzte ist im Juni 2021 in vielen Unternehmen angelaufen, dennoch stagniert aktuell die Impfquote. Was können Unternehmen tun?

Prof. Volker Nürnberg: Im jetzigen Stadium haben 60 Prozent der Menschen in Deutschland mindestens eine Impfung erhalten, vollständig geimpft sind knappe 47 Prozent. Damit kann man natürlich nicht zufrieden sein: Von einer Herdenimmunität sind wir weit entfernt. Das Robert-Koch-Institut hat errechnet, dass 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssten, um die Pandemie zum Stocken zu bringen. Ich sehe dringenden Handlungsbedarf, dass wir auch noch die restlichen Prozente dazu holen müssen. Impfungen in den Betrieben haben hier Vorbildcharakter.

Erhöhung der Impfquote durch Impfungen im Betrieb

Haufe Online Redaktion: Nur sind die Möglichkeiten der Arbeitgeber gegenüber Impfverweigerern in der Regel sehr begrenzt ...

Nürnberg: Wir werden sicher nicht die generellen Impfverweigerer überzeugen können, das sind tatsächlich mindestens 20 Prozent. Aber es gibt ja auch eine große Gruppe der Impfzögerer, die es schlicht noch nicht auf der Agenda haben. In Umfragen geben die meisten Befragten, die noch nicht geimpft sind, als Grund an, dass sie den Termin verpasst oder vergessen haben. Und weitere 20 Prozent der Ungeimpften, übrigens meistens Männer, sagen, sie hätten bisher keine Zeit gehabt. Genau diese Faktoren legen doch nahe, dass der Betrieb für die Impfung seiner Mitarbeitenden sorgt. Kommt die Impfung zum Beschäftigten in den Betrieb, wird sie weder vergessen noch kann man anführen, man habe keine Zeit. Viele Ausflüchte laufen hier ins Leere.

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Noch einfacher wird es, wenn die Impfung während der Arbeitszeit gemacht wird. Deshalb denke ich, dass in dieser Phase der kollektiven Impfung der Betrieb jetzt bedeutsamer werden wird. Wer sich unbedingt impfen lassen wollte, hat das inzwischen bereits beim Hausarzt oder auch im Impfzentrum getan. Aber an die restlichen, auch die Unentschiedenen, kommen wir über die Betriebe ganz gut ran.

Wie sich die Impfbereitschaft im Betrieb erhöhen lässt

Haufe Online Redaktion: Sie sprechen von den "Unentschiedenen". Wie können Arbeitgeber die Entscheidung pro Impfung beeinflussen?

Nürnberg: Ich denke, ganz wichtig ist hier die Informationspolitik: Betriebe sollten sachlich über die Impfungen informieren und diese Infos auch dem Wirken der Impfgegner in den unternehmenseigenen sozialen Medien und dem Intranet entgegenhalten. Eine Erkenntnis, die sich immer wieder bestätigt hat, ist, dass anonyme Impfaufrufe, also beispielsweise Kampagnen der Politik oder der Kassenärztlichen Vereinigungen, eigentlich nichts bringen. Viel überzeugender und wirksamer dagegen ist die Ansprache von Menschen, die man persönlich kennt, also beispielweise durch Vorgesetzte, die Geschäftsführung oder auch die eigenen Betriebsärzte. Weiter kann die Impfbereitschaft auch erhöht werden, wenn die Teilnahme am Impftermin zur Arbeitszeit gerechnet wird und einzelne Arbeitsunfähigkeitstage nach den Impfungen wegen der Nebenwirkungen diskriminierungsfrei und ohne gesonderten gelben Schein akzeptiert werden.

Impfprämien und Incentives für Corona-Geimpfte  

Haufe Online Redaktion: Was halten Sie von Impfprämien oder anderen Belohnungen für Geimpfte?

Nürnberg: Hier gibt es einige Möglichkeiten, besonders der ideellen Incentivierung. Wir haben beispielsweise am Klinikum Nürnberg sehr gut Erfahrungen mit der Idee gemacht, jedem, der zur Grippeschutzimpfung kam, im Anschluss eine Currywurst anzubieten, quasi zur Stärkung. Finanzielle Prämien halte ich für verfassungsrechtlich schwierig, hier wäre zu überlegen, ob man nicht sinnvoller beispielsweise den Tag nach der Impfung freigibt, da es ja in einigen Fällen doch zu Nebenwirkungen kommt.

Impfen im Betrieb: Was kleine Unternehmen machen können

Haufe Online Redaktion: Im Moment sind es hauptsächlich Großunternehmen, die ihren Mitarbeitenden Impfungen anbieten, häufig könne diese auf die Logistik und Organisation, die sich beispielsweise bei betrieblichen Grippeimpfungen oder Ähnlichem bewährt hat, zurückgreifen. Wie aber können kleine Unternehmen hier vorgehen?

Nürnberg: Tatsächlich tun sich die Klein- und Mittelständler ein bisschen schwerer. Es gehört auch Organisation dazu. Das fängt beim impfenden Arzt und der Versorgungskette an und geht bis hin zur kühlen Lagerung. Aber hier kann man auch innovative Wege gehen: Mehrere Kleinbetriebe, beispielsweise in einem Industriegebiet, können sich zusammenschließen und sich die benötigten Kapazitäten über eine Vereinbarung mit der Kommune sichern. Wer keinen eigenen Betriebsarzt zur Impfung hat, kann seinen Arbeitsschutz-Dienstleister oder auch den eigenen Hausarzt fragen, ob er die betriebsweite Impfung übernimmt.


Zum Interviewpartner: Professor Volker Nürnberg ist Partner und Berater Gesundheitswirtschaft bei BDO. Vom Personalmagazin wurde er kürzlich als "Gesundheitspapst" in die Liste der "40 führenden HR-Köpfe 2021" aufgenommen.


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