4.7.2.1 Arbeitnehmer mit geringerer Beschäftigungsdauer als 6 Monate

 

Rz. 804

Arbeitnehmer mit einer Beschäftigungsdauer von 6 oder weniger Monaten sind in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen.[1] Sie können sich im Fall einer Kündigung nicht auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen. Umgekehrt darf aber der Arbeitgeber die Kündigung eines Arbeitnehmers, der länger als 6 Monate in seinem Betrieb beschäftigt ist, nicht auf die Begründung stützen, dass ein Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz sozial schutzbedürftiger sei.[2] Diese Rechtsprechung rechtfertigt sich insbesondere durch den Umgehungsschutz: Ein Arbeitgeber könnte einen sozial besonders starken Arbeitnehmer neu einstellen, um einen in den Anwendungsbereich des KSchG fallenden, aber ungeliebten und im Sozialvergleich schwächeren Arbeitnehmer seines Betriebs zu kündigen. Nach erfolgreicher Kündigung des durch das KSchG geschützten Arbeitnehmers könnte der Arbeitnehmer im Anschluss den neu eingestellten und sozial starken Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit von 6 Monaten ohne besondere Erfordernisse kündigen.

 

Rz. 805

In älterer Rechtsprechung hatte das BAG noch vertreten, dass es für die Sozialauswahl ohne Bedeutung sei, ob der Arbeitnehmer bereits Kündigungsschutz genießt, also die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt hat, oder nicht.[3] Diese Rechtsprechung hat das Gericht allerdings zu Recht schon lange aufgegeben.[4], denn auch systematische Argumente sprechen dagegen, neu eingestellte Arbeitnehmer gegenüber schon länger im Betrieb Beschäftigten kündigungsschutzrechtlich zu privilegieren. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Arbeitnehmern Bestandsschutz erst nach Ablauf einer Wartezeit von 6 Monaten zu gewähren, ist zu respektieren. Arbeitnehmer, die keinen Kündigungsschutz genießen, sind also vorrangig zu kündigen, auch wenn sie nach den Bewertungen der Sozialauswahl schutzbedürftiger wären.

[2] Strittig. Wie hier BAG, Urteil v. 25.4.1985, 2 AZR 140/84, BAGE 48, 314; anders noch BAG, Urteil v. 20.1.1961, 2 AZR 495/59, BAGE 10, 323; zu den in der Literatur vertretenen Ansichten vgl. SPV/Preis, 11. Aufl. 2015 Rz. 1068 m. w. N.
[3] BAG, Urteil v. 20.1.1961, 2 AZR 495/59, NJW 1961, 940.

4.7.2.2 Arbeitnehmer mit ruhendem Arbeitsverhältnis – Widersprechende Arbeitnehmer nach Betriebsübergang

 

Rz. 806

Ob auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht, in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Das BAG hat dies in einem Fall verneint, in dem der Arbeitnehmer für einen anderen Arbeitgeber freigestellt worden und ein einseitiger Rückruf in den Stammbetrieb nicht möglich bzw. nicht absehbar war.[1] Anders ist zu werten, wenn das ruhende Arbeitsverhältnis jederzeit oder in absehbarer Zeit wieder aktiviert werden kann: In solchen Fällen sind auch die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse bis auf Weiteres ruhen, in den Kreis der für die Sozialauswahl in Betracht kommenden Arbeitnehmer einzubeziehen.[2]

Auch die Arbeitnehmer, die einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber nach § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben, können sich bei einer nachfolgenden, vom Betriebsveräußerer erklärten Kündigung auf eine mangelhafte Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG berufen.[3]

[2] SPV/Preis, Rz. 1067.

4.7.2.3 Vorläufig weiterbeschäftigte Arbeitnehmer

 

Rz. 807

Auch Arbeitnehmer, die nach § 102 Abs. 5 BetrVG oder aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs vorläufig weiterbeschäftigt sind, können grds. gekündigt werden. Sie sind daher auch bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Eine Besserstellung von Arbeitnehmern, die um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses kämpfen, gegenüber Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis (noch) ungekündigt ist, kann nicht gerechtfertigt werden.[1]

[1] KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 726.

4.7.2.4 Ordentlich unkündbare Arbeitnehmer

 

Rz. 808

Aus dem auswahlrelevanten Personenkreis scheiden – trotz im Übrigen bestehender Vergleichbarkeit – solche Arbeitnehmer aus, bei denen eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung aufgrund des Gesetzes ausgeschlossen ist. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor.[1]

Zu diesen Arbeitnehmern gehören unter anderem die betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger (§ 15 KSchG), schwangere und entbundene Arbeitnehmerinnen bis zu 4 Monate nach der Geburt (§ 17 MuSchG), Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Elternzeit[2] (§ 18 BEEG), freiwillig Wehrdienstleistende (§§ 2, 10 ArbPlSchG; § 2 EignungsübungsG) sowie Schwerbehinderte (§§ 168 ff. SGB IX; vgl. Rz. 845 ff.). Bestand früher auch für Zivildienstleistende ein gesetzliches Kündigungsverbot in § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG, so ist dies nach der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes nicht mehr der Fall. Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung zu bilden. Arbeitnehmer, denen gegenüber eine ordentliche Kündigung in diesem Zeitpunkt aufgrund von Vorschriften des Sonderkündigungsschut...

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