Rz. 801

§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bestimmt, dass bei betriebsbedingten Kündigungen eine Sozialauswahl vorgenommen werden muss. Dabei ist die Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer desselben Betriebes beschränkt.[1] Nach alter Rechtslage vor dem 1.1.2004 war eine betriebsbedingte Kündigung dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Dieser sehr weite Wortlaut wurde durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 eingegrenzt: Für die Sozialauswahl sind seither ausschließlich die 4 in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Auswahlkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung relevant. Auch die Leistungsträgerklausel wurde durch das Reformgesetz neu gefasst.[2]

 
Hinweis

Zwingende Auswahlkriterien der Sozialauswahl sind allein die im Gesetz genannten. Weitere Kriterien müssen nicht, können wenn überhaupt, nur nachrangig berücksichtigt werden (vgl. Rz. 851), was jedoch die Gefahr einer fehlerhaften Sozialauswahl erhöht.

 

Rz. 802

Für die danach gebotene Sozialauswahl bietet sich ein Vorgehen in mehreren Prüfungsschritten an: Zunächst muss der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Belegschaftsmitglieder bestimmt werden, deren soziale Schutzbedürftigkeit anhand der 4 in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Kriterien im Anschluss zu ermitteln ist. Sodann sind Ausnahmetatbestände und spezifische Besonderheiten zu berücksichtigen. Ggf. können bei der Sozialauswahl auch kollektivvertragliche Auswahlrichtlinien zu beachten sein.

 
Hinweis

Prüfungsstufen bei der Sozialauswahl

  1. Bestimmung des Kreises der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Belegschaftsmitglieder (horizontale Vergleichbarkeit)
  2. Ermittlung der sozialen Schutzwürdigkeit nach den 4 in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Gesichtspunkten
  3. Einschränkung der Sozialauswahl bei Leistungsträgern und zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG)
  4. Besonderheiten bei Auswahlrichtlinien i. S. d. § 95 BetrVG (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 sowie Abs. 4 KSchG)
  5. Besonderheiten bei Namenslisten bei Betriebsänderung (Richtigkeitsvermutung)
 

Rz. 803

Ziel der Sozialauswahl ist es, die sozial schwachen Arbeitnehmer zu schützen, indem durch die stattfindende Auswahl vorrangig die sozial starken Arbeitnehmer dem freien Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden. § 1 Abs. 3 KSchG ist zwingendes Recht und kann weder einzel- noch kollektivvertraglich abbedungen werden.[3]

[4] Dies schließt freilich nicht jeden (tarif-)vertraglichen Gestaltungsspielraum aus (s. Rz. 821).

Entsprechend anzuwenden ist § 1 Abs. 3 KSchG auf die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung: Der Arbeitgeber ist in diesem Fall dazu verpflichtet, zumindest die Schranken zu berücksichtigen, die den Arbeitnehmer bei der ordentlichen Kündigung schützen – deshalb muss er auch eine Sozialauswahl durchführen.[5] Fehlt diese oder ist sie fehlerhaft, mangelt es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB.[6]

Wird dabei ein sog. "Clearingverfahren" nach Maßgabe kollektivrechtlicher Regelung durchgeführt, führt dies nicht zur Entbehrlichkeit der Sozialauswahl, denn: Das Clearingverfahren ist mit dieser nicht vergleichbar, da es sich alleine auf die vom Arbeitgeber im Falle einer Betriebsänderung vor Ausspruch einer Kündigung zu prüfenden alternativen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bezieht.[7]

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