Rz. 279

Die Kündigung muss geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne (d. h. angemessen) sein. Das gilt für jede Beendigungskündigung durch den Arbeitgeber, "gleichgültig, ob sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt ist, und gleichgültig ob sie als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird" (BAG, Urteil v. 30.5.1978, 2 AZR 630/76[1]). Diese Voraussetzung wird aus der Formulierung des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG abgeleitet, wonach die Kündigungsgründe die Kündigung "bedingen" müssen, d. h. sie müssen die Kündigung erforderlich machen.[2]

 

Rz. 280

Die Kündigung ist geeignet, Störungen des Arbeitsverhältnisses zu beenden, da sie das Arbeitsverhältnis auflöst.

 

Rz. 281

Sie ist als "ultima ratio" erforderlich, wenn es keine milderen Mittel gibt, um dieses Ziel zu erreichen.

 

Beispiel

Als mildere Mittel kommen eine Abmahnung, die Versetzung, der Abbau von Überstunden, die einverständliche Änderung des Arbeitsvertrags und die Änderungskündigung in Betracht. Eine Beendigungskündigung darf nicht ausgesprochen werden, wenn es eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gibt.[3]

Die lange andauernde Erkrankung eines Arbeitnehmers kann durch Mehrarbeit der Kollegen oder durch die Einstellung einer Aushilfe überbrückt werden.

Möglicherweise kommt auch die berufliche Weiterbildung als milderes Mittel zur Kündigung in Betracht.[4]

 

Rz. 282

Eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellt die Regelung des § 167 Abs. 2 SGB IX dar. Durch das "Betriebliche Eingliederungsmanagement" (bEM)[5] sollen mildere Mittel zur Kündigung identifiziert werden (BAG, Urteil v. 18.11.2021, 2 AZR 138/21). Das Erfordernis eines bEM besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für Menschen mit Behinderung (BAG, Urteil v. 12.7.2007, 2 AZR 716/06). Das bEM ist nicht nur im Vorfeld von personenbedingten Kündigungen durchzuführen[6], sondern immer dann, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Arbeitnehmers die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb beeinflussen (können), also auch bei einer betriebsbedingten Kündigung (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 4.1.2010, 10 Sa 2071/09).

Nach Information und Zustimmung des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber eine Klärung mit der zuständigen Interessenvertretung (und ggf. der Schwerbehindertenvertretung) von sich aus herbeizuführen. Die Initiativlast liegt also beim Arbeitgeber (BAG, Beschluss v. 19.11.2019, 1 ABR 36/18).

Der Arbeitgeber hat erneut ein bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als 6 Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist (BAG, Urteil v. 18.11.2021, 2 AZR 138/21). § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet allerdings keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BAG, Urteil v. 7.9.2021, 9 AZR 571/20).

Das bEM ist nicht erforderlich bzw. abgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht zur (weiteren) Durchführung bereit ist bzw. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich einig sind (LAG Düsseldorf, Urteil v. 17.5.2022, 14 Sa 825/21). Das setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es durchgeführt, beendet oder fortgesetzt werden soll (LAG Düsseldorf, Urteil v. 17.5.2022, 14 Sa 825/21).

Dem Arbeitgeber, der ein bEM vor der Kündigung unterlassen hat, ist die Darlegung gestattet, dass ein solches Verfahren z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht zu einer Beschäftigungsmöglichkeit geführt hätte. Er muss umfassend und konkret vortragen, dass der Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist und warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann (BAG, Urteil v. 23.4.2008, 2 AZR 1012/06).

Es ist streitig, ob die Zustimmung des Integrationsamts die Vermutung rechtfertigt, dass ein bEM nicht erforderlich war (zur verhaltensbedingten Kündigung vgl. BAG, Urteil v. 7.12.2006, 2 AZR 182/06; offen gelassen bei BAG, Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 664/13). Dafür könnte sprechen, dass das Integrationsamt prüfen muss, ob alle Möglichkeiten zur Vermeidung der Kündigung ausgeschöpft sind. Ist ein bEM nicht durchgeführt worden aber sinnvoll, kann das Integrationsamt das Verfahren aussetzen und den Arbeitgeber zur Nachholung auffordern. Gegen die Vermutungswirkung könnte sprechen, dass Menschen mit einer Schwerbehinderung benachteiligt wären, weil bei Arbeitnehmern ohne Schwerbehinderung das Integrationsamt nicht beteiligt ist und deshalb eine Vermutungswirkung nicht greifen kann (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 10.2.2022, 17 Sa 57/21 m. w. N.).

Hat der Arbeitgeber zwar ein bEM durchgeführt, sind ihm aber Fehler unterlaufen, kommt es darauf a...

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