Rz. 717

Es ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber einen Arbeitskräfteüberhang etwa durch den Abbau von Überstunden, das Vorziehen von Werksferien oder die Beendigung von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen überbrücken kann. Insbesondere flexible Arbeitszeitregelungen, die auf der Grundlage einer Jahresarbeitszeit den Aufbau ganz erheblicher Stundenguthaben ermöglichen, können einer betriebsbedingten Kündigung in arbeitsschwachen Zeiten entgegenstehen oder zumindest das Erfordernis zu betriebsbedingten Kündigungen zeitlich hinausschieben; der Abbau der Guthaben geht nach Sinn und Zweck einer solchen Arbeitszeitregelung der Vertragsbeendigung vor (BAG, Urteil v. 8.11.2007, 2 AZR 418/06[1]). Die alternative Maßnahme muss sich konkret auf den betroffenen Arbeitsplatz beziehen. So kann der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess nicht allgemein entgegenhalten, es würden im Betrieb nach wie vor erhebliche Überstunden anfallen, wenn diese nicht den arbeitsplatzbezogenen Arbeitskräfteüberhang betreffen.

 

Rz. 718

Ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, zur Vermeidung von Kündigungen Kurzarbeit einzuführen, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden und in der Literatur umstritten. Teilweise wird angenommen, die Einführung von Kurzarbeit liege im unternehmerischen Ermessen und ein Verzicht auf Kurzarbeit könne nur auf Willkür oder Unsachlichkeit geprüft werden.[2] Das BAG hat in einer Reihe von Entscheidungen ebenfalls auf die eingeschränkte Nachprüfbarkeit des unternehmerischen Konzepts hingewiesen (BAG, Urteil v. 4.3.1986, 1 ABR 15/84[3]; BAG, Urteil v. 11.9.1986, 2 AZR 564/85[4]), vereinzelt die Frage des Vorrangs der Kurzarbeit vor einer Beendigungskündigung ausdrücklich offengelassen (BAG, Urteil v. 15.6.1989, 2 AZR 600/88[5]) oder die Kurzarbeit als milderes Mittel ausdrücklich in Betracht gezogen (BAG, Urteil v. 26.6.1997, 2 AZR 494/96[6]).

 

Rz. 719

Grds. stehen Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen nicht in einem Rangverhältnis und damit kann die Kurzarbeit nicht als zwingendes milderes Mittel angesehen werden. Denn die Einführung von Kurzarbeit kommt ohnehin nur dann in Betracht, wenn ein vorübergehender Arbeitsausfall vorliegt (vgl. § 96 Abs. 1 SGB III). Sind diese und die weiteren betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen für die Kurzarbeit erfüllt, kann eine Kündigung mangels eines dauerhaft prognostizierten Rückgangs des Beschäftigungsbedarfs ausgeschlossen sein (vgl. hierzu BAG, Urteil v. 23.2.2012, 2 AZR 548/10[7]). Im Übrigen mag ein Rangverhältnis in den Fällen in Betracht kommen, in denen kurzfristige Kündigungsfristen und längerfristige Voraussetzungen für Kurzarbeit zusammentreffen und die Kurzarbeit als verhältnismäßiges Mittel anzusehen ist.[8]

 

Rz. 720

Des Weiteren müssen die sonstigen individual- und kollektivrechtlichen Voraussetzungen der Kurzarbeit vorliegen, d. h. die Einführung von Kurzarbeit muss rechtlich und tatsächlich möglich sein. So ist ein gewählter Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit zu beteiligen. In Betrieben ohne Betriebsrat setzen die Einführung der Kurzarbeit und die entsprechende Einkommenseinbuße die Zustimmung der Arbeitnehmer voraus. Vom Arbeitgeber kann insoweit nicht verlangt werden, individual- oder kollektivrechtliche Hürden erst durch die Führung von Gerichtsprozessen zu überwinden. Auch hat der Arbeitgeber bei einem Widerspruch durch den Betriebsrat nicht das Einigungsstellenverfahren einzuleiten.[9]

 
Hinweis

Hat der Betriebsrat von seinem Initiativrecht zur Einführung von Kurzarbeit gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Gebrauch gemacht, muss der Arbeitgeber bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung vor Abschluss der Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung mit einem erhöhten Begründungsaufwand im Kündigungsschutzprozess rechnen, warum die Kurzarbeit kein milderes Mittel war, um dem Kostendruck für die Dauer des Arbeitsmangels Rechnung zu tragen.

 

Rz. 721

Hat der Arbeitgeber Kurzarbeit eingeführt, kann eine betriebsbedingte Kündigung gleichwohl zulässig sein; die Kurzarbeitsperiode entfaltet keine generelle Sperrwirkung. Eine Kündigung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn über die Gründe, die zur Einführung von Kurzarbeit geführt haben, hinaus weitergehende inner- oder außerbetriebliche Gründe vorliegen, die ergeben, dass nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer für den gekündigten Arbeitnehmer das Bedürfnis der Weiterbeschäftigung entfallen ist (BAG, Urteil v. 23.2.2012, 2 AZR 548/10[10]). Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Arbeitgeber während einer Kurzarbeitsperiode Rationalisierungsmaßnahmen oder organisatorische Umstellungen vornimmt, durch die der Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers nicht nur vorübergehend, sondern auf (unbestimmte) Dauer wegfällt. Rügt der Arbeitnehmer die Unverhältnismäßigkeit einer Kündigung im Hinblick auf mögliche Kurzarbeit, hat der Arbeitgeber darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass die Voraussetzungen für die Einführung von Kurzarbeit nicht...

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