0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 73 trat zum 1.1.1981 mit Einfügung des SGB X v. 18.1.1980 (BGBl. I S. 1469) in das Sozialgesetzbuch in Kraft. Zunächst wurde nur zwischen Vergehen und Verbrechen unterschieden. Zum 1.7.1994 wurde § 73 durch das Zweite SGB-ÄndG v. 13.6.1994 (BGBl. I S. 1229) umfassend novelliert. Seitdem sind auch Straftaten mit erheblicher Bedeutung hinsichtlich des Umfanges der Übermittlung von Sozialdaten den Verbrechen gleichgestellt. Im Zusammenhang mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) wurde die Vorschrift neu bekanntgemacht.

Durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze v. 18.5.2001 (BGBl. I S. 904), mit dem die Vorschriften des SGB X an die EU-Datenschutzrichtlinie angepasst wurden (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. EG L 281 v. 23.11.1995 S. 31), wurde § 73 nicht geändert.

Am 24.5.2016 trat die Verordnung (EU) 2016/679) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) in Kraft (ABl. L 119), deren Regelungen seit dem 25.5.2018 unmittelbar anwendbar sind. Durch Art. 24 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetz und anderer Vorschriften v. 17.7.2017 (BGBl. I S. 2541) wurde § 73 nur redaktionell an die Regelungen der DSGVO angepasst.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

§ 73 regelt die Zulässigkeit einer Übermittlung von Sozialdaten an die Gerichte und die Strafverfolgungsorgane für die Durchführung von Strafverfahren.

Seit 25.5.2018 enthält weder Art. 4 Nr. 2 DSGVO noch § 67 eine Definition des Begriffs Übermittlung. Aus § 67d Abs. 1 ist jedoch zu entnehmen, welche Vorgänge der Verarbeitung Übermittlungen i. S. d. SGB X sind. Danach trägt die übermittelnde Stelle die Verantwortung für die Zulässigkeit "der Bekanntgabe von Sozialdaten durch ihre Weitergabe an einen Dritten oder durch Einsichtnahme oder den Abruf eines Dritten von zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltenen Daten". Näheres zu den Begriffsbestimmungen nach Art. 4 DSGVO und § 67 kann der Komm. zu § 67 entnommen werden.

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

§ 73 findet ausschließlich im Rahmen der Durchführung eines Strafverfahrens, also zur Strafverfolgung Anwendung, nicht dagegen – im Gegensatz zu § 68 oder § 72 – im Rahmen der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten rechtfertigt keine Datenübermittlung nach § 73. Hier bleiben § 68 und ggf. § 71 Abs. 1 Nr. 6 zu prüfen.

Unter den Oberbegriff "Strafverfahren" fällt sowohl das strafprozessuale Vor- und Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Hauptverfahren, nicht jedoch die Strafvollstreckung.

 

Rz. 4

Abgestellt wird auf Art und Schwere der verfolgten Straftat, wobei die zwei Alternativen des Abs. 1 und die "anderen Straftaten" nach Abs. 2 sich dadurch unterscheiden, dass sie ein unterschiedliches Ausmaß der übermittlungsfähigen Sozialdaten zur Folge haben.

 

Rz. 5

Grundlage für eine zulässige Datenübermittlung nach § 73 ist in jedem Einzelfall das Vorliegen eines richterlichen Beschlusses i. S. v. § 73 Abs. 3 (Rz. 14 ff.).

Obwohl der Wortlaut des § 73 nicht auf einen Einzelfall abstellt, sind Rasterfahndungen und Online-Zugriffe (vgl. § 79) im Rahmen dieser Vorschrift unzulässig, denn damit würde der Grundsatz des beim Sozialgeheimnis vorherrschenden Erforderlichkeitsprinzips verletzt. Seit 1.1.2002 bietet§ 68 Abs. 3 ausdrücklich für Zwecke der Rasterfahndung eine Übermittlungsgrundlage. Näheres hierzu kann der Komm. zu § 68 Abs. 3 entnommen werden.

Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass Einzelfälle gebündelt werden können. Wichtig ist nur, dass das Auskunftsersuchen bei allen betroffenen Personen, auf die es sich formal erstreckt, auch von erkenntnismäßigem Interesse ist.

 

Rz. 6

Zu den Übermittlungsempfängern gehören die mit Strafsachen befassten Gerichte und als Strafverfolgungsbehörden die Staatsanwaltschaften sowie die gesamte Polizei. Insbesondere zu erwähnen ist die Kriminalpolizei, die oftmals als "verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft" fungiert. Auch dem Bundeskriminalamt können bei Vorliegen der Voraussetzungen Sozialdaten nach § 73 offenbart werden.

2.1 Strafverfahren wegen eines Verbrechens oder einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung (Abs. 1)

 

Rz. 7

Unter Verbrechen sind Straftaten zu verstehen, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder mehr bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StGB).

 

Rz. 8

Den Begriff "Straftat von erheblicher Bedeutung" gibt es im Strafrecht nicht. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzgebers zum Zweiten SGB-ÄndG von 1994 (vgl. BT-Drs. 12/6334 v. 2.12.1993 S. 10/11) handelt es sich um Straftaten, die nicht Verbrechen sind, aber z. B. einen beträchtlichen Schaden anrichten.

Als Beispiele führt der Gesetzgeber die Bereiche Wirtschaftskriminalität, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Missbrauch im Sozialbereich an und folgert, dass ein Katalog von Straftatbeständen nicht ausreichen wü...

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